Anne Applebaum über die Achse der Autokraten
Yascha Mounk und Anne Applebaum sprechen über die neuen Instrumente, die Autokraten einsetzen, um an der Macht zu bleiben.
Anne Applebaum ist Redakteurin bei The Atlantic und Senior Fellow des SNF Agora Institute an der Johns Hopkins University. Zu ihren Büchern gehören Roter Hunger: Stalins Krieg gegen die Ukraine und Der eiserne Vorhang: Die Unterdrückung Osteuropas 1944-1956. Ihr neuestes Buch ist Die Achse der Autokraten – Korruption, Kontrolle, Propaganda: Wie Diktatoren sich gegenseitig an der Macht halten.
Im Gespräch dieser Woche erörtern Yascha Mounk und Anne Applebaum, wie Diktatoren das internationale Finanzsystem nutzen, um ihre Macht zu erhalten und einen Regimewechsel zu vereiteln, wie Demokratien sich intern reformieren können, um einer autoritären Unterwanderung besser standzuhalten, und warum autokratische Regime dazu neigen, starr aber brüchig zu sein.
Das Transkript wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und leicht bearbeitet.
Yascha Mounk: Sie haben ein neues Buch mit dem Titel Autocracy, Inc. veröffentlicht. In den letzten 10 Jahren ist viel über die Gefahr, die von Populismus und Diktaturen ausgeht, geschrieben worden. Wir haben zusammen einen Kurs über Demokratie gehalten. Wie kommt es, dass nach Jahrzehnten, in denen die Demokratie weltweit auf dem Vormarsch war, in den letzten 15 oder 20 Jahren die Demokratie in eine Rezession geraten ist und Diktatoren das Gefühl haben, dass sie - in Ermangelung eines besseren Wortes - zu sich selbst gefunden haben?
Anne Applebaum: Es gibt viele Möglichkeiten, diese Frage zu beantworten - einige davon haben mit der Innenpolitik der Demokratien zu tun. Aber in meinem neuen Buch geht es vor allem darum, wie sich die ehemalige Sowjetunion (sowie China, Iran, Venezuela, Simbabwe) nach der Wende von 1989 etwa ein Jahrzehnt lang geöffnet und dann langsam wieder verschlossen hat und wie sie ihre Diktaturen teilweise mit unserem Geld und unseren Finanzsystemen gestärkt und wieder aufgebaut hat. Das war ein Prozess. Es geschah nicht alles auf einmal.
Es gab einen bestimmten Moment in den Jahren 2013-2014, als sowohl Russland als auch China sagten: "Wenn wir an der Macht bleiben wollen, dann müssen wir mit unseren eigenen Demokratieaktivisten und unseren eigenen Dissidenten konkurrieren, die von Rechtsstaatlichkeit, Transparenz, Korruptionsbekämpfung, Rechten und Menschenrechten sprechen, und wir müssen diese Ideen in unseren eigenen Ländern und auf der ganzen Welt unterdrücken." Und das ist der Moment, in dem die autokratische Welt beginnt, sich zusammenzureißen und ihre Ideen wieder durchzusetzen und in eine Art Wettbewerb mit der Demokratie einzutreten - was, wie ich sagen muss, die meisten Demokraten in den Teilen der Welt, die man gemeinhin als „demokratisch“ bezeichnet, nicht bemerkt haben. Es gibt auch eine einfachere Version davon: Fareed Zakaria hat den Ausdruck "Aufstieg des Rests" erfunden. Die Welt, die wir in den 1990er Jahren hatten, als die USA sowohl wirtschaftlich als auch militärisch die dominierende Macht waren, wich einfach, als andere Länder sich bereicherten und wettbewerbsfähig wurden.
Mounk: Samuel Huntington vertritt diese alte Idee der demokratischen Wellen und der darauffolgenden umgekehrten Wellen, richtig? Es gab diese historischen Momente, in denen sich viele Länder demokratisiert haben, einige von ihnen haben es geschafft, sich als Demokratien zu konsolidieren, andere sind auf der Strecke geblieben, und es gab diese Momente der demokratischen Rezession. Es gab eine große demokratische Welle, die laut Huntington auf die späten 70er Jahre zurückgeht, als Spanien und Portugal und dann viele mittel- und osteuropäischen Länder im Laufe der 80er und 90er Jahre demokratisch wurden, ebenso wie viele Länder in Lateinamerika und anderswo. Ich denke, als Diktator hatte man damals das Gefühl, dass man sich gerade so über Wasser halten konnte. Man sah, wie alle eigenen Kollegen, viele eigene Verbündeten, gestürzt wurden. Aber dann scheint die demokratische Welle an Land gespült worden zu sein, und diese Diktatoren sagten sich: "Hey, wir haben diesen Moment irgendwie überlebt. Es sind 10 oder 15 Jahre vergangen, in denen viele unserer Kollegen gegangen sind, und wir sind immer noch hier." Und dann gingen sie anscheinend in die Offensive.
Was hat es diesen Diktatoren ursprünglich ermöglicht, diese demokratische Welle zu überleben?
Applebaum: Ich glaube, was anfangs geschah, und das kann man in den 90er und 2000er Jahren sehen - ich spreche wieder hauptsächlich von Russland und China - war, dass sie sich demokratisierten. Sie öffneten sich. China begann den Handel mit der Außenwelt. Im Inneren wurde der Kapitalismus zugelassen - die Menschen wurden wohlhabend, konnten Dinge erfinden und Unternehmen gründen. Es gab echte Bemühungen, Russland zu demokratisieren, die Funktionsweise des politischen Systems zu ändern und eine Art freier Wahlen einzuführen. In den frühen 90er Jahren gab es in Russland eine recht starke freie Presse. Es gab miteinander konkurrierende Fernsehsender und interessante Zeitungen. Ich denke also, sie haben sich geöffnet. Und wenn man die Russen damals gefragt hätte - einschließlich einiger Leute, die Wladimir Putin nahe standen - was passiert, hätten sie gesagt: wir holen die demokratische Welt wirtschaftlich ein, und wir holen auch politisch auf. Und Sie hätten Leute gefunden, die auch an diese Theorie glaubten, dass die Globalisierung die Demokratie bringen wird, und die hofften, dass dies auch geschehen würde. Die gleiche Art von Menschen findet man in China, und ich habe einige getroffen. Ich glaube also, dass es eine Öffnung gab. Sie war nicht fiktiv. Die Anführer dieser Gesellschaften sahen sich um und erkannten, dass sie nicht in der Lage sein würden, ihre Macht zu behalten, wenn sie diese Öffnung weiter zuließen, vor allem nicht in der ungehinderten, unkontrollierten Form, in der sie sie haben wollten. Und natürlich würden sie auch ihr Geld nicht behalten können.
Der Regierungswechsel in der Ukraine, der eine kleptokratische, sehr illiberale, im Niedergang begriffene Präsidentschaft in der Ukraine beendete und durch ein demokratischeres politisches System ersetzte - Putin sah das, er sah die jungen Leute, die auf den Straßen demonstrierten, EU-Fahnen hielten und über Korruptionsbekämpfung und Transparenz sprachen. Und er dachte: Genau das darf hier nicht passieren, ich muss das um jeden Preis verhindern. Und die Chinesen scheinen etwa zur gleichen Zeit einen ähnlichen Prozess durchlaufen zu haben. Es gibt ein Dokument aus dem Jahr 2013. Es hat einen fantastischen Namen, es heißt Dokument Nummer Neun. Und in diesem Dokument Nummer Neun werden die sieben Gefahren für die Kommunistische Partei Chinas aufgelistet, die Nummer eins ist die westliche konstitutionelle Demokratie. Irgendwo auf der Liste stehen auch die Zivilgesellschaft und der Aktivismus. Ebenfalls auf der Liste steht eine freie Presse. Sie fangen also an, diese Dinge als Bedrohung zu sehen - in ihrem Fall für die Kommunistische Partei und ihre Form der Macht oder im Fall von Putin für seine persönliche Macht. Und diese Auffassung wird von anderen in der Welt geteilt. Der Glaube, den viele von ihnen in den 1990er und 2000er Jahren hatten, dass sie die Kontrolle aufrechterhalten könnten, indem sie hier und da die Wahlen ein wenig manipulieren, die Medien ein wenig kontrollieren, den einen oder anderen Oligarchen verhaften oder den einen oder anderen Journalisten ermorden, wich, als sie sagten: "Nein, wir brauchen einen uneingeschränkten, offenen Wettbewerb [zwischen den Systemen]. Diese Werte und diese Ideen können uns von der Macht entfernen". Und man kann das Echo dieses Wandels überall auf der Welt hören.
Möchten Sie Zugang zu all meinen Texten, nicht nur zu gelegentlichen öffentlichen Beiträgen? Unterstützen Sie die deutsche Version dieses Newsletters, indem Sie heute Abonnent werden!
Mounk: Um es nochmal zusammenzufassen: In den 90er und frühen 2000er Jahren ließen viele Diktaturen ein gewisses Maß an Offenheit zu, je nachdem, über welches Land wir gerade sprechen. Sie versuchten nicht, das Internet in demselben Ausmaß zu kontrollieren. Sie erlaubten bestimmten Gruppen der Zivilgesellschaft, sich zu betätigen - zum Beispiel, in dem diese eine kleine intellektuelle Zeitschrift für ein paar tausend Menschen veröffentlichen durften. Und dann sagten Sie, dass es 2013 eine Art Phasenwechsel gab, bei dem den besagten Diktaturen diese sanfteren Formen der autoritären Kontrolle nicht mehr ausreichten, sodass sie ihre Repressionsinstrumente wirklich ausweiten und verbessern mussten.
Erläutern Sie uns ein wenig, wie dieser Wandel aussieht.
Applebaum: Lassen Sie mich zunächst Ihren Ausführungen zustimmen. Ich war in China, nicht regelmäßig, aber ich war schon einige Male dort. Vor 2010 war ich dort, und man konnte an öffentlichen Veranstaltungen in Buchläden oder an anderen öffentlichen Orten teilnehmen, wo es sehr, sehr offene Gespräche gab. Man konnte dem Regime gegenüber kritisch sein. Man konnte sagen, was man wollte, solange es nur in diesem kleinen Raum stattfand und sich nicht weiter ausbreitete. Es schien niemanden wirklich zu stören, und es schien auch niemand große Angst zu haben. Und in Russland war es genau das Gleiche. Man konnte sogar eine politische Partei haben, man konnte, wie Sie sagen, eine kleine Zeitschrift oder eine kleine Zeitung veröffentlichen, und man konnte sagen, was man wollte, solange es keinen wirklichen Anklang in der Bevölkerung fand und das Boot nicht wesentlich erschütterte.
Mounk: Warum waren die Diktaturen nicht immer so hart wie heute?
In der Politikwissenschaft gibt es ein Framework, laut dem man als Diktator so viel Unterdrückung wie möglich haben möchte, weil jede Form von unabhängiger Organisation eine potenzielle Bedrohung für einen darstellt. Aber gleichzeitig hat Unterdrückung auch Kosten. Sie hat direkte finanzielle Kosten. Sie bedeutet, dass man einen sehr großen Sicherheitsapparat unterhalten muss. Sie wird wahrscheinlich einige der eigenen Bürger entfremden. Bekanntlich war der ostdeutsche Staat ganz froh, dass seine Bürger Zugang zum Westfernsehen hatten, weil er der Meinung war, dass dies eine Form der Unterhaltung war, die die Menschen in gewisser Hinsicht besänftigte.
Applebaum: Ja, und wenn ich Sie unterbrechen darf, die Russen haben immer noch Zugang zu YouTube. Vielleicht wird er bald abgeschaltet, aber sie durften ihn haben, obwohl alle anderen sozialen Medien aus dem gleichen Grund seit zwei Jahren abgeschaltet sind, weil viele Russen Filme auf YouTube ansehen.
Mounk: Richtig, und es gibt zumindest einige Beweise dafür, dass die zugrunde liegende Theorie tatsächlich zutrifft. Es gibt ein großartiges natürliches Experiment: Studien haben das "Tal der Ahnungslosen" untersucht, ein Gebiet um Dresden, das aus topografischen Gründen kein westdeutsches Fernsehen empfangen konnte. Und es scheint so zu sein, dass die Menschen, die keinen Zugang zum Westfernsehen hatten, ihr eigenes Regime weniuger mochten: sowohl, weil sie sich mehr langweilten, als auch, weil das Westfernsehen anderen Ostdeutschen einige der Probleme Westdeutschlands aufzeigte; sie erkannten, dass es auch in Westdeutschland beunruhigende Dinge wie Arbeitslosigkeit oder Kriminalität gibt. Und das scheint die Ansichten der Menschen tatsächlich zum Negativen verändert zu haben.
Wenn man sich also dieses Kalkül ansieht, kann man den Wandel, der nach 2013 stattgefunden hat, eindeutig so beschreiben, dass die Menschen sagten, wir müssen die Unterdrückung verschärfen. Wir können die relative Offenheit der letzten 10 oder 20 Jahre nicht riskieren. Aber das ist mit Abstrichen verbunden. Und wie sehen diese Kompromisse aus?
Applebaum: Also zunächst einmal haben Sie Recht. Was sie im Falle Russlands und Chinas tun, ist sehr teuer. Wenn man dann noch den Fall Iran oder Venezuela hinzunimmt, haben wir Beispiele für Diktaturen, die lieber ihr Land in den Ruin treiben und zu einem gescheiterten Staat werden lassen, als die Macht abzugeben. Nicolás Maduro hat es geschafft, dass sein Land - zuerst Chávez und dann Maduro - vom reichsten Land Südamerikas zum ärmsten wurde. Viele Millionen Venezolaner sind ins Exil gegangen, um zu fliehen. Und so war er bereit, einen unglaublich hohen Preis für die Macht zu zahlen.
Für manche Menschen ist der Machterhalt alles wert, jeden Preis. Und die Zerstörung ihres Landes ist ein Preis, den sie ebenfalls zu zahlen bereit sind. Im Falle Russlands ist es klar, dass die Auswirkungen allein der letzten beiden Kriegsjahre, aber auch der letzten 15 Jahre ständig wachsender Unterdrückung, für den russischen Lebensstandard entsetzlich waren - ganz zu schweigen von der wahrscheinlich halben Million Russen, die im Krieg getötet oder verwundet wurden, dem Verlust von nationalem Wohlstand durch Sanktionen oder militärische Verluste. Die russische Wirtschaft ist in vielerlei Hinsicht aus dem Gleichgewicht geraten; schon sehr kleine Veränderungen könnten ausreichen, um ein neues Krisengefühl zu erzeugen.
Ich kann keine Vorhersage darüber machen, was dort passieren wird. Aber es ist nicht gut für Russland. Die Entscheidungen, die Putin getroffen hat, waren insofern gut für ihn, als sie ihn am Leben und sehr wohlhabend gehalten haben, aber sie waren nicht gut für das Land. Und das ist etwas, das er zu akzeptieren bereit ist.
Dieses Gespräch gibt es auf Englisch auch als Podcast!
Mounk: Ich glaube, dass Diktaturen immer diesen bizarren manichäischen Charakter haben, d.h. sie scheinen unglaublich stabil zu sein, weil die Macht ja unglaublich konzentriert ist. Sie sehen in vielerlei Hinsicht weniger chaotisch aus als Demokratien. Aber wir wissen aus der Geschichte, dass die meisten Diktaturen in Wirklichkeit scheitern. Und manchmal scheitern sie, weil der Diktator stirbt und es ein Nachfolgeproblem gibt. Manchmal scheitern sie, weil es einen Militärputsch gibt. Manchmal scheitern sie, weil es einen Massenaufstand gibt. Aber es gibt viele Beispiele von Diktaturen, die heute unglaublich stabil aussehen und morgen plötzlich stürzen.
Das ist natürlich einer der Gründe für die Paranoia vieler Autokraten, denn ein demokratischer Regierungschef weiß, dass er bis zu den nächsten Wahlen in zweieinhalb Jahren keine Probleme haben wird. Aber ein Diktator denkt, na ja, morgen oder in zwei Stunden könnte der Armeegeneral vor dem Palast stehen und versuchen, einen Staatsstreich zu inszenieren - und, nebenbei bemerkt, wenn das passiert, werde ich nicht nach Hause gehen, um für 100.000 Dollar Reden für Goldman Sachs zu halten und meinen Ruhestand zu genießen; ich bin wahrscheinlich tot oder, im besten Fall, im Exil.
Was glauben Sie, wie stabil diese Autokratien sind? Glauben Sie, dass sie durch die Verschärfung der Unterdrückung auf gewisse Weise ein Problem gelöst haben, wie es frühere Generationen von Diktatoren nicht taten, oder haben sie sich sogar anfällig für neue Formen des Drucks gemacht, die wir vielleicht noch gar nicht sehen?
Applebaum: Natürlich sind sie immer anfällig für Druck. Das beste Beispiel dafür ist der seltsame Marsch von Prigoschin nach Moskau, dem Leiter der Wagner-Gruppe, einem Putin nahestehenden General, der in der Ukraine eine Armee von Sträflingen zu diesem Marsch befehligte. Er kündigte an, dass er nach Moskau marschieren würde (es war nie wirklich klar, was er tun wollte), und an jenem Morgen trat Putin im Fernsehen auf und hielt diese panische Rede, in der er sich tatsächlich auf Nikolaus II. bezog, der der letzte Zar Russlands war, und in der er praktisch sagte: "Wir sind im Jahr 1917, und eine Krise und eine Katastrophe stehen uns bevor.“ Davor hat er also eindeutig Angst. Das ist genau das Modell, das er fürchtet.
Aber ich will auch sagen, dass es Dinge in der modernen Welt gibt, die allen Diktatoren, nicht nur den Russen und Chinesen, ein größeres Gefühl der Stabilität und Sicherheit geben, als es ihre Vorgänger in der Vergangenheit hatten. Und das ist nun eines der Themen in meinem Buch. Einige davon sind Ihnen wahrscheinlich schon bekannt; das Ausmaß der Überwachung, das sie durchführen können, nicht nur die physische Überwachung mit Straßenkameras und so weiter, sondern auch über das Internet, durch die Überwachung der Gedanken und Beobachtungen der Menschen, durch die Kontrolle von Gesprächen - das ist es, was die Chinesen tun, und sie versuchen sogar vorherzusagen, wo sich Dissens entwickeln könnte. Sie verfügen über Instrumente und Technologien, die einer früheren Generation einfach nicht zur Verfügung standen. Das ist der erste Teil.
Die Beziehungen untereinander sind ein weiterer neuer Aspekt. Warum konnte sich Maduro an der Macht halten, obwohl er zutiefst unpopulär und ein katastrophal gescheiterter Herrscher ist, der sein Land zerstört hat? Weil er Investitionen aus Russland erhalten hat. Die Russen haben ihm militärische Ausrüstung verkauft. Es liegt daran, dass die Chinesen in venezolanische Unternehmen investiert und Überwachungstechnologie an den venezolanischen Staat verkauft haben. Es liegt daran, dass die Kubaner eine Geheimpolizei und die Ausbildung für die Geheimpolizei angeboten haben. Es liegt daran, dass die Iraner, ganz am anderen Ende der Welt, den Venezolanern helfen, Sanktionen zu umgehen und in ihre Ölindustrie zu investieren. Es ist also fast so, als gäbe es einen Club von Autokraten, die zu Hilfe kommen, wenn ihre Bruder-Autokraten in Schwierigkeiten sind, sowohl weil sie dort Geld verdienen wollen oder weil sie ihre natürlichen Ressourcen wollen, aber auch weil sie - es ist nicht gerade eine ideologische Verbindung - ein Gefühl dafür haben, dass es für den Rest von ihnen schlecht ist, wenn ein Diktator fällt. Es ist klar, dass sie bereit sind, selbst arme und gescheiterte Führer zu unterstützen. Dieses Netzwerk, diese Verbindungen zwischen ihnen, sind Teil dessen, was die gegenwärtige Situation ausmacht.
Nach Maduros gestohlener Wahl gratulierten Russland, China, der Iran und eine Reihe anderer Länder in Kuba Maduro zu seinem großen Sieg und boten ihm sofort Legitimität an. Sie agieren auf vielfältige Weise zusammen, in verschiedenen Bereichen, wirtschaftlich, militärisch und anderswo. Und ich glaube, das ist einer der Gründe, warum sie sich länger halten - Lukaschenko, der Präsident von Weißrussland, wäre 2020 nicht mehr am Leben gewesen, wenn er nicht von den Russen gerettet worden wäre. Maduro wäre weg, wenn er nicht von dem autokratischen Netzwerk gerettet worden wäre.
Mounk: Sicherlich wäre Bashar al-Assad ohne die Hilfe Russlands und anderer Länder gestürzt worden.
Was ist das Ziel, das sie verfolgen? Sie haben es so beschrieben: Es handelt sich um einen Club zum Überleben, zur gegenseitigen Unterstützung gegen Versuche, im Inland oder international einen Regimewechsel herbeizuführen. Und es ist tatsächlich ein Verteidigungsbündnis.
Eine andere Art, über die potenziellen Ziele nachzudenken, könnte darin bestehen, sich von der Dominanz der Vereinigten Staaten in den 1990er Jahren inspirieren zu lassen, als Amerika wirklich die einzige Supermacht war. Vielleicht ist es das, worauf Fareed hinaus will, wenn er über den Aufstieg der anderen spricht. Er versucht zu sagen, dass wir keine Welt wollen, die vollständig von den Vereinigten Staaten dominiert wird, und deshalb sind wir bereit, mit jedem zusammenzuarbeiten, der bereit ist, auf der anderen Seite der Vereinigten Staaten zu stehen, um diese Art von Gegengewicht zu schaffen.
Eine dritte Charakterisierung könnte eine offensivere sein. Im Falle Russlands könnte man meinen, dass es ein Gefühl von imperialistischer Nostalgie gibt, ein Gefühl, dass das Land die Stellung verloren hat, die es einst hatte, und versucht, diese Art von dominanter Position in der Region wiederherzustellen. Wie sollten wir darüber denken? Ist das von Land zu Land unterschiedlich? Unterscheidet sich Russland mit seiner imperialistischen Nostalgie in dieser Hinsicht von China?
Applebaum: Ich würde da einen Unterschied machen. Ich glaube nicht, dass sie alle gleich sind. Ich glaube, dass es stimmt, dass sie sich alle in einem Konflikt mit einer von den USA dominierten Welt sehen, und sie haben eine eigene Sprache, um darüber zu sprechen. Die Russen verwenden das Wort "Multipolarität", was eigentlich ein recht neutrales Wort sein könnte. Aber in der Praxis meinen sie damit die Schaffung einer Welt, in der sie durch nichts eingeschränkt werden - keine Normen, keine UNO, keine internationalen Menschenrechtsorganisationen, keine NROs. Das ist es, was sie meinen, wenn sie darüber sprechen. Sie benutzen diese Sprache innerhalb der internationalen Institutionen, sie benutzen sie in ihrer Propaganda und in ihrer Kommunikation. Und das ist eine Sache, die sie alle gemeinsam haben. Im Falle des Irans geht es darum, den Dschihad in andere Länder zu tragen und Stellvertreter im gesamten Nahen Osten zu schaffen und zu bewaffnen (sie haben auch in Lateinamerika und anderswo eine seltsame Rolle gespielt). Im Falle Venezuelas haben sie vor nicht allzu langer Zeit über eine Invasion Guyanas gesprochen. Und sie wollen die Möglichkeit haben, dies zu tun, ohne dass jemand sie daran hindert oder sagt, dass dies gegen internationales Recht verstößt. Ein Teil der Kampagne gegen die so genannte US-Hegemonie besteht darin, dass sie sowohl intern als auch extern die Freiheit haben wollen, sich so zu verhalten, wie sie wollen. Und das gilt übrigens auch innerhalb unseres Landes.
Mounk: Wie sollte die demokratische Welt darauf reagieren? Viele Versuche, Demokratiebewegungen in diesen Ländern zu unterstützen, sind gescheitert, und, was noch spektakulärer ist, Versuche, Demokratie mit Waffengewalt zu exportieren, wie im Fall des Irak, sind ebenfalls gescheitert.
Wie können demokratische Länder für ihre Werte eintreten und sicherstellen, dass Autokratien nicht die internationale Ordnung des 21. Jahrhunderts prägen - dass die "Autocracy Inc." ihre feindlichen Übernahmen nicht weiter ausdehnt -, ohne in die Art von Fallen zu tappen, die ihrerseits die demokratische Legitimität zu untergraben scheinen, die Schätze und in bestimmten Kontexten auch das Blut demokratischer Nationen ausbluten lassen und daher ihre Stellung in der internationalen Ordnung selbst schwächen?
Möchten Sie Zugang zu all meinen Texten, nicht nur zu gelegentlichen öffentlichen Beiträgen? Unterstützen Sie die deutsche Version dieses Newsletters, indem Sie heute Abonnent werden!
Applebaum: Zunächst einmal hatte der ursprüngliche Grund für den Einmarsch in den Irak, der Zweck, der Grund und die Erklärung dafür, nichts mit Demokratie zu tun - ich will das jetzt nicht noch einmal aufrollen, und Sie haben in den nächsten sechs Stunden wahrscheinlich eine Menge anderer Dinge zu tun, aber das war nicht der Zweck.
Es stimmt auch, dass die Unterstützung der USA für Demokratiebewegungen in der Vergangenheit erfolgreich war - am bekanntesten ist wohl die Solidarnosc-Bewegung in Polen in den 1980er Jahren, oder allgemeiner gesagt, die antikommunistischen Bewegungen im gesamten Sowjetblock über mehrere Jahrzehnte. Und das geschah meist durch sehr billige Dinge wie Radio Free Europe und das Angebot alternativer Nachrichtenquellen, was im Großen und Ganzen nicht sehr teuer war. Diese Maßnahmen waren erfolgreich und sie haben funktioniert. Es ist also nicht so, dass alles scheitert. Es geht darum, dass die Autokraten in letzter Zeit besser darin geworden sind, sich zu wehren.
Mein Argument in diesem Buch ist, dass wir zuallererst das Ausmaß des Problems erkennen und verstehen müssen. Zweitens müssen wir die Art und Weise untersuchen, in der wir diese Systeme ermöglichen. Und wir müssen mit einigen internen Reformen beginnen. Ich spreche über das Finanzsystem, das voller Schlupflöcher ist, die von den Autokratien genutzt werden - Geldwäsche, Briefkastenfirmen, die Steueroasen, in denen sich heute wahrscheinlich etwa 10 % des weltweiten Vermögens befinden. Ich meine, diese Dinge sind nicht Teil der Landschaft, wie Bäume oder Berge. Das sind von Menschen geschaffene Institutionen, die man abschaffen kann, und wir könnten sie jetzt abschaffen, was einen großen Einfluss darauf hätte, wie sich Geld in der autokratischen Welt bewegt. Wir könnten auch damit beginnen, uns mit unseren sozialen Medien zu befassen, und mit der Regulierung sozialer Medien meine ich nicht das Verbot von Dingen oder die Schaffung eines Informationsministeriums. Ich meine zum Beispiel, dass die sozialen Unternehmen online die gleichen Gesetze befolgen müssen wie die Menschen offline. Und in beiden Fällen sind das Dinge, die wir mit Verbündeten und sogar in Verbindung mit den Demokratiebewegungen in der autokratischen Welt tun könnten und sollten, denn niemand weiß mehr über die russische Kleptokratie als die russische Opposition. Sie verfolgen sie, sie verstehen sie, sie wissen, wie sie funktioniert. Niemand weiß mehr über die Beziehungen des venezolanischen Regimes zum Drogenhandel als die venezolanische Opposition. Und ich glaube, wir verbringen nicht genug Zeit damit, ihnen zuzuhören und zu versuchen zu verstehen, was sie tun, anstatt uns vorzustellen, dass jeder Konflikt ein militärischer Konflikt ist.
Drittens: Eine der besten Methoden, um sicherzustellen, dass die Welt friedlich bleibt, ist die Abschreckung in einer Zeit, in der all diese Länder ihre militärischen Arsenale sehr schnell aufrüsten. Dies ist nicht der Zeitpunkt, die NATO aufzugeben. Dies ist nicht der Moment, um unsere anderen Verbündeten in Asien, die Japaner oder die Südkoreaner, im Stich zu lassen. Dies ist der Moment, sich daran zu erinnern, dass man, wenn man Frieden will, bereit sein muss, ihn zu verteidigen. Und das bedeutet hoffentlich, dass man es nie tun wird. Ich spreche mich also nicht für neue Kriege aus. Ich plädiere auch nicht für eine Invasion. Aber ich sage, dass wir verstehen sollten, was passiert, die Beziehungen zwischen diesen Ländern, ihre Ambitionen, die immer größer werden, und dass wir psychologisch besser darauf vorbereitet sein sollten, zurückzuschlagen. Und noch einmal, in einer idealen Welt würden wir dies mit Verbündeten und in Absprache mit Verbündeten tun. Es gibt 50 oder mehr Länder, die sich an den Gesprächen über Hilfe und Unterstützung für die Ukraine beteiligt haben. Das sind also 50 Länder, die mehr oder weniger mit den allgemeinen Zielen der demokratischen Welt verbündet sind, und wir könnten zusammenarbeiten.
Ich fasse also zusammen: Intern müssen wir unser eigenes Verhalten in Ordnung bringen, mehr Widerstandskraft schaffen, unsere Demokratien auf all die Arten stärken, über die Sie und ich im Laufe der Jahre gesprochen haben, aber uns auch dessen bewusst sein, was geschieht, und darauf vorbereitet sein, dagegen vorzugehen.
Im weiteren Verlauf des Gesprächs erörterten Anne Applebaum und Yascha Mounk, inwieweit Donald Trump eine Bedrohung für die amerikanische Demokratie darstellt, was Demokratien angesichts des scheinbar festgefahrenen Konflikts in der Ukraine tun sollten und wie sie auf einen etwaigen Konflikt in Taiwan reagieren könnten. Dieser Teil ist für zahlende Mitglieder reserviert...
...danke, dass Sie unsere Mission unterstützen, indem Sie einer von ihnen sind.
Mounk: Ich möchte Sie zu zwei konkreten Fällen befragen, von denen Sie einen bereits angesprochen haben, nämlich die Ukraine. Ich denke, eine der wirklichen Errungenschaften sowohl der Biden-Administration als auch des westlichen Bündnisses bestand darin, der Ukraine erhebliche Hilfe zukommen zu lassen (wenn auch vielleicht nicht so viel, wie sie es hätten tun können).
Im Moment sieht es immer mehr danach aus, als würde sich der Konflikt in einen relativ festgefahrenen Zustand verwandeln. Die Zahl der Opfer auf beiden Seiten ist nach wie vor horrend, aber der große Versuch einer ukrainischen Gegenoffensive ist gescheitert. In diesem Jahr ist Russland vor allem in die Offensive gegangen und hat versucht, Gebietsgewinne zu erzielen, und obwohl Russland dabei in gewissem Maße erfolgreich war, stagniert die Situation im Grunde. Wie wird sich dieser Konflikt Ihrer Meinung nach entwickeln? Glauben Sie, dass es noch eine realistische Hoffnung für die Ukraine gibt, Russland vollständig von ihren Grenzen zurückzudrängen, oder müssen wir eine Art Verhandlungslösung ins Auge fassen, sei es in Form eines Einfrierens dieses Konflikts oder in Form eines tatsächlichen Friedensvertrags in den kommenden 12 oder 18 Monaten?
Applebaum: Sie haben Recht, das Bündnis, das wir zur Verteidigung der Ukraine geschaffen haben - was Putin, glaube ich, nicht erwartet hat, und ich bin mir nicht sicher, ob selbst Joe Biden es erwartet hat -, war bemerkenswert und außergewöhnlich. Die Ukraine hat jedoch nicht die Existenz und die Stärke der Autokratie, Inc. vorausgesehen, Russlands Verbündete, ob es nun die Iraner sind, die sie mit Drohnen beliefern, oder die Nordkoreaner, die sie mit Munition versorgen, oder die Chinesen, die Komponenten für ihre Rüstungsindustrie exportieren. Wir haben das nicht vorhergesehen, und ich glaube nicht, dass wir es vor dem Krieg so verstanden haben, wie wir es jetzt verstehen.
Und ich glaube nicht, dass diese Regierung - ich will nicht zu hart sein, aber ich glaube nicht, dass sie verstanden hat, was nötig war, um dieses Bündnis zu besiegen. Russland kann also auf verschiedene Weise besiegt werden. Es kann auf dem Schlachtfeld besiegt werden, und darauf waren wir nicht vorbereitet. Ich denke, das wäre im Herbst 2022 möglich gewesen, als die Ukrainer siegten und Gebiete zurückeroberten. Und zu diesem Zeitpunkt bekamen wir irgendwie kalte Füße, und die Leute waren plötzlich besorgt, dass Russland verlieren und es schreckliche Konsequenzen geben könnte, was, wie ich im Nachhinein denke, ein großer Fehler war.
Aber Russland kann auch politisch und wirtschaftlich besiegt werden. Und ich glaube nicht, dass wir bisher die Art von wirtschaftlichem Druck auf Russland ausüben, die Putin dazu zwingen würde, seinen Kurs zu ändern oder andere in seinem Umfeld dazu zu zwingen, ihn zu einem Kurswechsel zu bewegen. Und lassen Sie mich noch anmerken, und das hängt eigentlich mit Ihrem Punkt über Verhandlungen zusammen. Seit dem ersten Tag des Krieges, noch bevor er ausbrach, haben die Leute darüber gesprochen: "Können wir nicht eine Einigung aushandeln? Können wir nicht etwas Land gegen Frieden tauschen?" Das Problem dabei ist, dass wir Druck auf die Ukrainer ausüben könnten. Wir könnten sie dazu bringen, nicht mehr zu kämpfen. Wir könnten ihnen die Waffen wegnehmen. Aber wie bringt man die Russen dazu, nicht mehr zu kämpfen? Wie kann man Land gegen Frieden tauschen, so dass Frieden entsteht? Im Moment gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Russen ihr Hauptziel aufgegeben haben, nämlich die Zerstörung der Ukraine als Staat, die Entfernung des Landes von der Landkarte und das Ende der ukrainischen Unabhängigkeit. Irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, an dem die Russen sagen: "Dieser Krieg lohnt sich nicht mehr", so wie die Franzosen irgendwann zu dem Schluss kamen, dass sich der Krieg in Algerien nicht mehr lohnt, oder die Briten Indien nicht mehr besetzen wollten. Ich meine, dies ist ein Kolonialkrieg, und es wird eine Zeit kommen, in der die Menschen in Moskau und St. Petersburg sagen: "Das ist es uns nicht mehr wert." Aber bis es so weit ist, worüber soll man dann verhandeln? Man könnte einen Waffenstillstand aushandeln, der ein paar Monate hält, aber wie verhindert man, dass die Russen sich neu gruppieren, aufrüsten und im nächsten Jahr wieder einmarschieren, was im Grunde genommen das Gleiche ist wie zuvor? Es gab also einen Krieg im Jahr 2014. Die Ukrainer haben de facto einige Gebiete aufgegeben. Sie haben die Krim aufgegeben. Sie haben etwas Land in der Ostukraine aufgegeben. Sie haben keine ernsthaften Anstrengungen unternommen, um es zurückzubekommen; es gab einige Kämpfe entlang der Grenze, aber die waren immer noch relativ gering. Und in dieser Zeit haben die Russen aufgerüstet, nachgerüstet, ihre Armee wieder aufgebaut und sind wieder eingefallen. Die Mentalität der Russen muss sich also ändern. Und solange das nicht geschieht, ist die Ukraine in Gefahr, ist Polen in Gefahr, ist Deutschland in Gefahr - denken Sie daran, dass Putin als junger Mann ein KGB-Offizier in Ostdeutschland war. Er erinnert sich also an die Zeit, als das sowjetische Imperium bis nach Berlin reichte. Und natürlich sind die baltischen Staaten in Gefahr und der Rest des postsowjetischen Raums.
Wir sind noch nicht zu diesem Schluss gekommen. Wir haben das nicht verstanden. Wir haben nicht versucht, echten wirtschaftlichen Druck auf Russland auszuüben. Wir haben die 300 Milliarden Dollar an eingefrorenem Geld, die wir von ihnen haben, nicht genommen. Wir haben es nicht ausgegeben. Ich meine, es gibt viele Dinge, die wir immer noch nicht getan haben, weil in den Hinterköpfen der Menschen immer noch die Vorstellung herrscht, dass wir den Konflikt durch Verhandlungen beenden werden. Und auch hier gilt: Ich will nicht, dass der Krieg andauert. Ich will unbedingt, dass er zu Ende ist. Ich habe Freunde, die jetzt an der Front kämpfen, und ich will nicht, dass sie sterben. Ich wünsche mir wirklich von ganzem Herzen, dass der Krieg zu Ende geht, aber ich glaube einfach nicht, dass er zu Ende geht, solange es in Russland nicht zu einem Sinneswandel kommt. Und wenn das geschieht, könnte es eine territoriale Verhandlung geben, und wir können über den Verlauf der Grenze sprechen. Aber die Vorstellung, dass es eine einfache Lösung gibt, bei der wir nur ein paar Diplomaten brauchen, die sich in einen Raum setzen und sie ohne andere Formen von Druck erreichen können - ich sehe einfach nicht, dass wir dafür schon bereit sind.
Mounk: Ich möchte Sie zum zweiten Fall befragen. Angesichts dessen, was wir über Russlands ursprüngliche Kriegsziele wissen, angesichts dessen, was wir über die territoriale Aggression in Georgien und an vielen anderen Orten wissen, glaube ich, dass die Ambitionen sehr weitreichend sind; und deshalb müssen diese Ambitionen auf irgendeine Art und Weise erfüllt werden, und es ergibt Sinn, das eher früher als später zu tun. Was das genau für die Frage bedeutet, ob eine Verhandlungslösung angestrebt werden soll oder nicht, ist meines Erachtens sehr viel komplizierter. Aber ich glaube hier an den grundlegenden Rahmen.
Im zweiten Fall, dem von Taiwan, ist die zugrunde liegende empirische Frage, welche Ziele das Land verfolgt, eine ganz andere. Mir scheint, dass es grob gesagt zwei Denkschulen gibt, wenn man versucht, die chinesische Außenpolitik zu interpretieren, und insbesondere, wenn man zu interpretieren versucht, was es bedeuten würde, wenn China tatsächlich versuchen würde, Taiwan durch eine Invasion oder, was vielleicht wahrscheinlicher ist, eine Blockade in die Herrschaft der KPCh einzubinden. Die erste ist, dass China eine Revisionsmacht ist, dass es seinen Einfluss in Ostasien ausweiten will, dass es vielleicht ein regionaler Hegemon mit einem Einflussbereich werden will, der schließlich Länder wie Japan und Südkorea einschließt, die ihm derzeit feindlich gegenüberstehen. Die zweite Interpretation, für die ich einige sehr plausible Argumente anführen muss, ist die, dass Taiwan für Peking ein Fall für sich ist; dass es immer ein Teil der chinesischen Souveränität war, oder zumindest seit mehreren Jahrhunderten, dass sie eine andere Reihe von Herrschern in Taiwan immer noch als eine Form der ideologischen Konkurrenz für die Herrschaft über ganz China betrachten, und zwar auf eine Art und Weise, die aus der Perspektive der Regimestabilität inakzeptabel ist, und dass daher eine Invasion oder Blockade Taiwans keinen Vorhersagewert dafür hätte, wie sich China gegenüber allen anderen in der Region verhalten wird.
Und wenn man dieser zweiten Interpretation folgt, dann spricht meiner Meinung nach mehr dafür, dass Peking die Wiedervereinigung der Insel mit dem Festland mit Gewalt durchsetzen könnte. Und ich sage das mit großem Widerwillen, weil ich einen wunderbaren Monat und mehr in Taiwan verbracht habe und die wunderbaren Menschen dort kenne, die eine blühende Demokratie aufgebaut haben und die sich sehr, sehr für ihre Regierungsform einsetzen; die aus sehr gutem Grund nicht unter der Fuchtel der KPCh stehen wollen. Aber natürlich wären die Kosten für einen echten Versuch, Peking in dieser Angelegenheit zu konfrontieren, enorm hoch. Es würde ein echtes Risiko eines Weltkriegs bedeuten, und es würde auch das Risiko mit sich bringen, einfach gedemütigt zu werden und am Ende mit viel weniger Macht in der Region dazustehen, wenn wir Taiwan nicht helfen, sich selbst zu verteidigen. Wie sollten wir also Ihrer Meinung nach einen möglichen Angriff des Festlandes auf Taiwan konzeptionell angehen? Und wie sollte der Westen Ihrer Meinung nach in einem solchen Fall reagieren?
Applebaum: Es fällt mir sehr schwer, völlig hypothetisch über eine Invasion Taiwans zu sprechen, weil vieles davon abhängt, wie es aussieht und was zu diesem Zeitpunkt in den Vereinigten Staaten und in der Welt geschieht. Lassen Sie mich dazu mehrere Dinge sagen. Erstens: Ich gehe davon aus, dass die Chinesen nicht in Taiwan einmarschieren wollen. Sie werden wirtschaftlichen Druck und Informationskriegsführung einsetzen, um Taiwan zu verändern und zu übernehmen. Und das geschieht die ganze Zeit über. Wenn man in Taiwan ist, passiert fast jeden Tag etwas: Ein Flugzeug fliegt vorbei oder es gibt einen gefälschten Skandal im Internet. Auf Taiwan lastet ständig ein enormer Druck. Und die Chinesen sind ständig auf der Suche nach Leuten in Taiwan, die auf ihrer Seite sind. Sie werden ständig nach einer Möglichkeit suchen, nicht den Preis für eine Invasion zu zahlen. Und ich denke, die richtige Haltung für uns ist die so genannte Stachelschwein-Theorie: die Kosten einer Invasion Taiwans sehr, sehr hoch anzusetzen. Und wenn wir das verhindern wollen, sollten wir die Taiwaner bewaffnen, mit ihnen trainieren - all die Dinge, die wir übrigens nicht mit der Ukraine gemacht haben, um deutlich zu machen, dass wir eine Sicherheitsbeziehung zu ihnen haben. Ich habe vorhin schon ein wenig über Abschreckung gesprochen. Wir sollten China abschrecken, genauso wie wir sie vor einer Invasion in Südkorea und Japan abschrecken sollten, was der Effekt ist, dass unsere Streitkräfte auch dort sind.
Vieles würde davon abhängen, was die Taiwanesen tun und wie sie sich verhalten würden: Würden sie kämpfen oder würden sie nicht kämpfen, oder würden einige von ihnen kämpfen? Die Entscheidung müsste im Kontext des jeweiligen Augenblicks getroffen werden. Und bei Ihrem zweiten Szenario möchte ich eine Warnung aussprechen: Selbst wenn Sie glauben, dass die Chinesen von Taiwan besonders besessen sind und keine Ambitionen in Japan oder anderswo haben, wissen Sie nicht, wie die Eroberung Taiwans China verändern würde. Denn ich glaube, die Eroberung der Krim hat Russland verändert. Und sie hat Putin verändert, sie hat sein Regime verändert, sie hat plötzlich die Möglichkeit des Imperialismus und der Wiedererrichtung des Sowjetimperiums, all diese mythischen Dinge, wieder real werden lassen. Und der enorme Zuspruch, den Putin durch diese Invasion erhielt, war einer der Gründe, die ihn dazu inspirierten, die zweite große Invasion im Jahr 2022 zu planen. Er stellte sich vor, dass er diese Art von Auftrieb wieder bekommen würde. Eroberungen und Kriege verändern Länder, und besonders in Diktaturen können sie die Denkweise des Diktators verändern. Die Vorstellung, die Chinesen könnten Taiwan irgendwie bekommen und dann würde alles wieder normal werden, halte ich für einen sehr großen Fehler. Es ist also besser, sich darauf vorzubereiten, sie abzuschrecken, und es ist besser, die Taiwaner und ihre Wünsche genau zu beobachten und ihnen zuzuhören, als sich darauf vorzubereiten, ihnen die Macht zu überlassen, denn die Folgen könnten anders sein, als man es sich vorstellt.
Mounk: Ich habe versprochen, dass ich das Interview nicht mit einem Gespräch über Donald Trump beginnen werde. Und ich denke, ich habe mein Versprechen gehalten. Aber natürlich können wir nicht überhaupt nicht über Donald Trump sprechen. Und wir können auch nicht über die allgemeine Bedrohung durch autoritären Populismus in scheinbar konsolidierten Demokratien schweigen. Ein gutes Jahrzehnt nach dem Beginn dieses Kampfes, etwas weniger als ein Jahrzehnt, nachdem Donald Trump zum ersten Mal die politische Bühne in den Vereinigten Staaten betreten hat; ein Jahrzehnt, nachdem Recht und Gerechtigkeit in Polen an die Macht gekommen sind, die sie dann natürlich wieder verloren haben (und Ihr Mann ist jetzt Außenminister Polens); ein paar Jahrzehnte nach dem Aufstieg von Bewegungen wie dem ehemaligen Front National in Frankreich, die sich von den wirklichen Rändern des politischen Systems zu einem schnell wachsenden Anteil an der Macht entwickelt haben - wie besorgt sollten wir über die Aussichten der Demokratie in diesen Ländern sein? Ich war von Anfang an sehr besorgt darüber, und ich denke, die Entwicklung in vielen Ländern, von Venezuela bis zur Türkei und Indien, ist ein weiterer Beweis dafür.
Gleichzeitig gibt es einige interessante Stimmen, wie zum Beispiel Sheri Berman, die sagen, dass, wenn man sich Westeuropa anschaut, all diese Parteien anscheinend gemäßigter waren, als sie an der Regierung waren, wie in Italien mit Giorgia Meloni. Sie scheinen nicht so viel Schaden angerichtet zu haben, wie Leute wie ich vor fünf oder zehn Jahren vielleicht befürchtet haben.
Wie sollten wir also über den Zustand der Demokratie in ihren Kernländern im Allgemeinen denken? Was sollte uns das sagen? Und wie sollte das unsere Interpretation dessen beeinflussen, was in einer zweiten Amtszeit von Trump passieren könnte?
Applebaum: Es mag für viele Amerikaner seltsam klingen, aber Trump und der Trumpismus und wie auch immer Sie ihn nennen wollen, der MAGA-Teil der Republikanischen Partei, sind viel extremer als jede rechtsextreme Partei, die in der europäischen Politik eine bedeutende Rolle spielt. Es gibt keine andere rechtsextreme europäische Partei, die versucht hat, eine Wahl zu stehlen oder das Ergebnis einer Wahl zu verändern. Es gibt keinen Anführer, der so flüssig und wiederholt lügt wie Trump. Selbst wenn man sich Marine Le Pen oder Meloni oder Wilders in den Niederlanden ansieht, treten sie in der demokratischen Politik an, und sie haben sogar bewiesen, dass sie zu Kompromissen fähig sind. Wilders hat bei den letzten Wahlen in den Niederlanden ein gutes Ergebnis erzielt und kann sich an der Bildung einer Koalitionsregierung beteiligen. Wir haben dieses politische System in den Vereinigten Staaten nicht, es gibt also keine Entsprechung. Können Sie sich vorstellen, dass Trump einen Kompromiss mit einer Gruppe von Sozialdemokraten eingeht? Das ist sehr schwierig. Der Vergleich zwischen Europa und den Vereinigten Staaten ist also heikel.
Es stimmt, dass diese Parteien, die Republikanische Partei und die extreme Rechte in der europäischen Politik, viel gemeinsam haben. Sie beobachten sich gegenseitig. Sie leihen sich Memes und Symbole, sie verwenden dieselbe Sprache und dieselben Narrative (und tatsächlich leihen sie sich natürlich auch Narrative von den Russen). Aber Trumps Extremismus ist selbst in dieser Gruppe ziemlich bemerkenswert. Und ich denke, dass das Phänomen, das er geschaffen hat, selbst wenn er morgen verschwinden würde, uns noch Jahrzehnte beschäftigen würde. Wir haben es jetzt mit einem politisierten Teil der amerikanischen Bevölkerung zu tun, der die amerikanischen Institutionen aktiv ablehnt, der dem Wahlsystem misstraut, der allen Medien gegenüber misstrauisch ist - jetzt auch Fox. Mit allem, was nach Berichterstattung oder Journalismus aussieht, wollen sie nichts zu tun haben. Sie sind feindselig gegenüber dem Schulsystem und den Universitäten. Und wie ich schon sagte, es ist wahrscheinlich ein Drittel des Landes. Und wie wird es mit dieser Gruppe weitergehen? Wird sie wachsen oder schrumpfen? Sie werden für immer einen Einfluss auf die amerikanische Politik haben - soweit es Sie und mich betrifft. Vielleicht müssen sich meine Kinder darüber keine Sorgen machen, aber ich denke, wir schon. Die Frage, was die Demokratie widerstandsfähig macht, wie wir dafür kämpfen und wie wir die Menschen davon überzeugen können, dass sie wichtig ist, sind Fragen, die zumindest die Amerikaner noch lange beschäftigen werden. Ich glaube nicht, dass es etwas ist, das verschwinden wird. Ich glaube auch, dass die tieferen Argumente über die offene und die geschlossene Gesellschaft, über traditionelle Formen der Familienorganisation und über etwas anderes und Moderneres - diese Auseinandersetzungen und Konflikte werden uns auch noch lange Zeit begleiten. Es wird keinen Moment geben, in dem man sagen kann: "Wir haben gewonnen" oder "Es ist vorbei" und "Wir sind zu einem Schluss gekommen und gehen jetzt weiter." Vielleicht wird das eines Tages passieren. Ich meine, es gibt einige alte Traditionen, die verschwinden und nicht wieder auftauchen. Allerdings muss ich sagen, dass ich das Wiederaufleben der Idee der Konföderation, nicht nur im Süden, sondern auch anderswo in den USA, und das Wiederaufleben der Sprache der weißen Vorherrschaft nicht erwartet hatte. Als ich in den Vereinigten Staaten aufwuchs, hatte ich das nicht erwartet. Es war nicht Teil meiner Erziehung und ich konnte mir nicht vorstellen, dass es wiederkommen würde. Man weiß also nie, was zurückkommen kann.
Aber wie gesagt, einige der grundlegenden Meinungsverschiedenheiten über das Wesen der Gesellschaft und darüber, wie wir leben sollten und was für ein Land wir sein sollten, werden uns noch lange Zeit begleiten. Und ich glaube nicht, dass sie nur durch wirtschaftliche Umverteilung oder eine vereinfachte Vorstellung von Bildung beseitigt werden können. Ich denke, dass sie eine große, lange politische Diskussion und einen Wettbewerb erfordern. Ich fürchte, das wird sich nicht so schnell erledigen.