Francis Fukuyama über 2025
Yascha Mounk und Fukuyama blicken auf dieses Jahr zurück – und wagen Prognosen für 2026.
Wenn dir meine Artikel und Podcasts gefallen, abonniere dich jetzt – oder leite sie an Freunde weiter –, damit dieser Substack weiter wachsen kann!
Francis Fukuyama ist Olivier-Nomellini-Senior-Fellow an der Stanford University. Sein jüngstes Buch heißt Der Liberalismus und seine Feinde. Außerdem schreibt er die Kolumne „Frankly Fukuyama“, die von American Purpose zu Persuasion weitergeführt wurde.
Diese Woche sprechen Yascha Mounk und Fukuyama darüber, warum Donald Trump an Unterstützung verliert, ob die amerikanischen Institutionen widerstandsfähig genug sind, um zu bestehen, und über die Zukunft der Ukraine.
Das Transkript wurde gekürzt und zur besseren Verständlichkeit leicht bearbeitet.
Yascha Mounk: Wir nehmen dieses Gespräch Ende 2025 auf. Es war wirklich ein ereignisreiches, ein prägendes Jahr. Es fühlt sich an, als habe es sich in zwei Phasen entfaltet.
Die erste Phase war Donald Trumps Amtsantritt – und wie beeindruckend effizient er dabei war, die Zügel der Macht zu ergreifen, sehr viel stärker als in seiner ersten Amtszeit. Für einige Monate hatte man das Gefühl, als verändere sich die gesamte Architektur der amerikanischen Regierung.
In den letzten Monaten hingegen wirkte es, als habe diese Revolution auf unterschiedliche Weise begonnen, an Tempo zu verlieren. Der Titel deines jüngsten Beitrags in Persuasion lautet: Don’t Panic, Trump Is Flagging (Keine Panik, Trump lässt nach). Wo stehen wir deiner Ansicht nach jetzt, am Ende dieses Jahres, mit Blick auf die Trump-Regierung und ihre Fähigkeit, Amerika zu transformieren?
Francis Fukuyama: Nun, Yascha, du hast diesen gesamten Bericht in moralisch neutraler Weise vorgetragen. Die Frage ist also, ob er transformativ und effektiv gewesen ist, nicht ob er gut oder schlecht war. Ich denke, die Frage nach gut oder schlecht ist wahrscheinlich die vorgelagerte.
Für mich war das Überraschende tatsächlich, wie schlecht er in seiner zweiten Amtszeit geworden ist. Ich hatte zur Zeit der Wahl verschiedene Dinge geschrieben. Viele zentristische republikanische Freunde von mir sagten, er sei beim ersten Mal gar nicht so schlimm gewesen und werde vermutlich gut für die Wirtschaft sein und so weiter. Ich hielt das für wenig wahrscheinlich und ging davon aus, dass er in seiner zweiten Amtszeit deutlich schlimmer werden würde.
Selbst ich habe nicht vorausgesehen, wie viel schlimmer es werden würde. Er hat eine sehr explizite autoritäre Agenda verfolgt, indem er versucht hat, alles per Exekutiverlass durchzusetzen, den Kongress zu umgehen und die Gerichte so weit wie möglich zu ignorieren.
Anschließend hat er eine regelrechte Rachetour gestartet. Darauf verwies auch das Interview mit Susie Wiles, das in Vanity Fair erschien. Sie glaubte, eine Vereinbarung zu haben, wonach er den Racheteil seiner Agenda nur 90 Tage lang verfolgen würde – tatsächlich hat er ihn danach noch intensiviert.
Mounk: Das ist an sich schon eine außergewöhnliche Aussage: Man hat 90 Tage Zeit, um Rache zu nehmen, und dann werden wir ernst.
Fukuyama: Er hat diese angebliche Vereinbarung vollständig ignoriert, und der Racheteil der Amtszeit ist inzwischen mit großer Wucht in Gang gekommen. Was die Effektivität betrifft, ist das paradoxerweise der eine Lichtblick: Ein Großteil der Inkompetenz aus der ersten Amtszeit scheint zurückgekehrt zu sein.
Zum Teil liegt das daran, dass die Dinge, die er tun will, schlicht nicht machbar sind. Man kann keine Anklage erfinden und eine Grand Jury dazu bringen, jemanden anzuklagen, der nichts Unrechtes getan hat. Das gilt ganz eindeutig sowohl für Letitia James als auch für James Comey. Nur Donald Trump glaubt, sie hätten tatsächlich ein Verbrechen begangen, aber man konnte keinen seriösen Staatsanwalt finden, der diesen Fall vertreten hätte. Als man es schließlich mit einem inkompetenten Staatsanwalt versuchte, wies die Grand Jury die Anklage zurück – was außergewöhnlich ist, weil Grand Jurys in den Vereinigten Staaten Anklagen so gut wie nie zurückweisen.
Mounk: Der berühmte Satz eines New Yorker Staatsanwalts aus den 1980er Jahren lautete: Ich könnte ein Schinkenbrot anklagen, wenn ich wollte.
Fukuyama: Genau. Es stellte sich heraus, dass sie nicht einmal ein Schinkenbrot anklagen konnten. Tatsächlich scheiterte sogar die Anklage wegen eines Verbrechens gegen die Person, die ein Schinkenbrot auf einen ICE-Beamten geworfen hatte. Wir erleben eine Rückkehr zu einer Komödie der Fehler, wie man sie aus der ersten Amtszeit kennt – was, glaube ich, der Sache der Gerechtigkeit an sich zugutekommt. Zugleich ist es sehr aufschlussreich für die schlechten Absichten, die sich jetzt entfalten.
Ich denke, Menschen, die das Justizministerium verfolgen, sind völlig entsetzt darüber, wie Pam Bondi es geschafft hat, es auszuhöhlen. Die gesamte Bürgerrechtsabteilung sowie eine sehr große Zahl von Staatsanwälten und Juristen haben das Ministerium entweder verlassen oder wurden hinausgedrängt. Die Moral ist auf einen Tiefpunkt gesunken, weil jeder sehen kann, was geschieht – und dass es ihnen nicht ernsthaft um Rechtsdurchsetzung geht.
Wenn wir darüber sprechen wollen, was an diesem Jahr ungewöhnlich war, dann muss ein wesentlicher Faktor das außergewöhnliche Ausmaß an politischer Korruption sein, auf das sich diese Regierung eingelassen hat. Es beginnt mit den Begnadigungen. Jeder hatte erwartet, dass er die Angeklagten vom 6. Januar begnadigen würde. Er hatte gesagt, er werde diejenigen nicht begnadigen, die schwere Gewalttaten begangen haben, doch dieses Versprechen wurde fast sofort aufgegeben. Er verkauft Begnadigungen faktisch. Jede wohlhabende Person, die aus dem Gefängnis herauskommen will, wendet sich über einen Mittelsmann an ihn und geht frei.
Warum begnadigt man in einer Regierung, die vorgibt, einen Krieg gegen illegale Drogen zu führen, den ehemaligen Präsidenten von Honduras, Juan Orlando Hernández, der wegen äußerst schwerer Drogendelikte verurteilt worden war? Diese Anklagen stammen noch aus der ersten Trump-Regierung.
Mounk: Das war für mich bemerkenswert. Es gibt Formen der Korruption, bei denen man erkennen kann, wie sie Trumps finanziellen Interessen dienen. Es gibt andere, bei denen es so wirkt, als baue er politische Allianzen auf. Hier wurde es selbst für hartgesottene Beobachter absurd: Dieser Fall entbehrte schlicht jeder Logik.
Fukuyama: Ich vermute, dass wir mit der Zeit erfahren werden, warum das passiert ist. Ich vermute, dass es ein persönliches Element geben wird, bei dem jemand aus Trumps Umfeld persönlich von seiner Freilassung profitiert – denn so scheint er viele dieser Begnadigungen und, ehrlich gesagt, auch die Außenpolitik zu betreiben. Indien erhielt einen Zollsatz von 50 Prozent, weil Premierminister Modi seine Bewerbung um den Friedensnobelpreis nicht unterstützen wollte.
Es ist wirklich schwer zu beschreiben, was seine Außenpolitik eigentlich ist, da ein Großteil von ihr von seinen persönlichen Bedürfnissen und seinem Wunsch nach persönlichem Ruhm bestimmt wird – und nicht von irgendeinem Konzept nationalen Interesses.
Deshalb ist er auch mit Teilen seiner MAGA-Basis aneinandergeraten. Sie hatten erwartet, dass er ein konsequenter Isolationist sein würde, und genau das war er nicht. All das sind Überraschungen, die sich im Laufe des Jahres 2025 ergeben haben – Dinge, von denen ich glaube, dass selbst die Pessimistischsten unter uns sie nicht vorausgesehen haben.
Mounk: Das ist ein großartiger, wenn auch deprimierender Rundumblick, und ich stimme dir zu: Ich hatte ohnehin niedrige Erwartungen an eine Trump-Regierung, aber darin, wie schlimm es geworden ist, wurden sie noch deutlich übertroffen. Bevor wir tiefer in die inhaltlichen Fragen einsteigen, fällt mir etwas auf: Die Trump-Regierung ist der Beweis dafür, dass Schamlosigkeit im Leben tatsächlich funktioniert.
Das Ausmaß an Schamlosigkeit bei manchen korrupten Verhaltensweisen und bei Elementen dieses Persönlichkeitskults ist frappierend. Es gab kürzlich einen Nachrichtenbeitrag, der im Vergleich zu vielen anderen Dingen der letzten zwölf Monate eigentlich verblasst, der mir aber besonders ins Auge gefallen ist. In den vergangenen Jahren gab es an Juneteenth freien Eintritt in die Nationalparks, und am Martin-Luther-King-Tag schon seit sehr viel länger. Beides wurde von der Trump-Regierung gestrichen – Teil einer breiteren kulturellen Agenda, die aus der MAGA-Bewegung heraus vielleicht nicht überrascht.
Stattdessen gewährten sie freien Eintritt in die Nationalparks an Donald Trumps Geburtstag. Wen interessiert schon, an welchen Tagen Menschen kostenlosen Eintritt in Nationalparks haben? Im US-Regierungshandeln passieren sehr viel schlimmere Dinge. Aber Trumps gesamte Karriere ist immer wieder ein Beweis dafür gewesen, dass diese Form der Schamlosigkeit funktioniert.
Du hast viel über menschliche Leidenschaften nachgedacht, über die Bedeutung von thymos in der Politik und darüber, wie Menschen wie Donald Trump von Megalomanie angetrieben sein könnten – vom Wunsch nicht nur nach Selbstachtung, sondern danach, andere zu dominieren. Wie erklärst du dir, dass wir die Schamlosigkeit von Menschen wie Donald Trump offenbar verzeihen?
Warum führt dieses Verhalten nicht dazu, dass wir so rebellieren würden, wie wir es täten, wenn ein Freund oder Bekannter sich im Alltag ähnlich verhielte? Wir würden sagen: Wir wollen mit dieser Person nichts mehr zu tun haben, wir sind sie leid. Und doch verzeihen wir es, wenn es auf einer größeren politischen Bühne stattfindet.
Genau das finde ich an Donald Trump so interessant. Viele Menschen, die ihn wählen, sind gute Amerikaner, höflich und freundlich, und sie würden einen Nachbarn oder Bekannten, der sich so verhält wie Donald Trump, niemals tolerieren. Und trotzdem wählen sie ihn.
Manche tun es vielleicht widerwillig, weil sie glauben, seine politischen Ansichten zu teilen, aber sein Verhalten abzulehnen. Andere scheinen auf der großen politischen Bühne genau das zu genießen, was sie in ihrem persönlichen Leben niemals akzeptieren würden. Das habe ich nie ganz verstanden.
Fukuyama: Ich glaube schon, dass vieles davon durch das Internet begünstigt wird. Wir haben heute diese elektronisch vermittelte Form der Kommunikation mit anderen Menschen, die den niedrigsten Instinkten keinerlei Schranken auferlegt.
Wenn man darüber nachdenkt: Als ich jung war, sagen wir in den 1960er Jahren, wie hätte man damals Menschen in großem Stil offen beleidigen können? Man hätte in eine Bar gehen und jemanden anschreien können – aber das wäre auch schon die Grenze der Reichweite dessen gewesen, was man sagen konnte. Heute kann man gleichzeitig zu Millionen von Menschen sprechen, und man bekommt umso mehr Aufmerksamkeit, je beleidigender oder widerwärtiger man sich äußert.
Hinzu kommt ein Element der Angst, das viele vernünftige Republikaner dazu gebracht hat, gegenüber Trump auf Linie zu bleiben, weil er diese fanatische Basis hat, mit der er Menschen drohen kann. Das wird jetzt interessant, denn ich nehme wahr, dass sich an dieser Front Risse zeigen. In dem Moment, in dem Menschen beginnen, ihre Angst vor Trump zu verlieren, könnte das ganze Gebilde ziemlich schnell in sich zusammenfallen.
Darauf warten wir nun seit acht Jahren, und bislang ist es nicht passiert. Aber die Leute begreifen inzwischen, dass er höchstens noch drei Jahre im Amt sein wird. Sie müssen über ihre Zukunft nach Trump nachdenken.
Mounk: Liegt das daran, dass Trump älter wird, an der Amtszeitbegrenzung oder daran, dass er unpopulär wird? Oder ist es eine Mischung aus allen drei Faktoren?
Fukuyama: Ich denke, es ist eine Mischung aus allen dreien. Seine Gesundheit und sein geistiger Zustand verschlechtern sich ganz offensichtlich. Er hat schon immer wirr geredet und seltsame Dinge gesagt, aber es wird schlimmer. Gestern oder vorgestern hat er auf Truth Social rund 160 Beiträge abgesetzt. Jemand hat sie gesammelt, und die meisten davon sind vollkommen wirr. Er teilt die bizarrsten Verschwörungstheorien, die es gibt. Das erinnert mich ein wenig an den römischen Kaiser Caligula, der sein Pferd zum Senator oder Konsul machte. Irgendwann steigt einem das zu Kopf.
Das ist ein generelles Problem von Präsidenten und präsidentiellen Systemen. Das gesamte System ist darauf ausgelegt, das Ego dessen zu füttern, der Präsident ist, weil in einer präsidentiellen Administration jeder um einen herum etwas von einem will und einen fürchtet. Selbst ein eher sanftmütiger Präsident wie Jimmy Carter begann sich irgendwann auf eine Weise zu verhalten, die für ihn untypisch war, schlicht wegen der Macht, die dieses Amt verleiht.
Wenn man jemandem wie Trump, der ohnehin narzisstisch und stark auf sich selbst fixiert ist, diese Art von Macht gibt – zusammen mit der Erzählung, er sei verfolgt worden und habe dann allen das Gegenteil bewiesen, indem er wiedergewählt wurde –, dann erhält man eine Persönlichkeit, die glaubt, absolut alles tun zu können. Genau dieses Verhalten beobachten wir. Und irgendwann wird diese Angst erodieren, und wir sehen bereits erste Anzeichen dafür.
Mounk: Wenn die Demokraten 2026 das Repräsentantenhaus zurückerobern und vielleicht auch im Senat stark abschneiden, würde das diesen Prozess beschleunigen. Das ist eines der großen Dinge, auf die man im kommenden Jahr achten sollte.
Wenn deine These lautet, dass die Regierung im Moment feststeckt, dann gibt es zwei Möglichkeiten, das in die Zukunft zu projizieren. Die eine ist, dass ihr schlicht die Energie ausgegangen ist. Sie hatte zu Beginn eine Reihe von Agenda-Punkten, die sie umsetzen wollte. Sie hatte eine Theorie darüber, wie die Vereinigten Staaten zu transformieren seien. Durch eine Mischung aus den Grenzen dieses Programms, Inkompetenz und Gegenwehr anderer Staatsgewalten – einschließlich der Justiz, die, wie ich finde, eine größere Rolle gespielt hat, als manche behaupten – ist sie ins Stocken geraten.
Das Ergebnis könnte ein planloses Herumlavieren in den nächsten drei Jahren sein. Die andere Lesart ist, dass die Regierung, sobald sie merkt, dass sie feststeckt, verzweifelter wird, um sich wieder zu befreien. Trump ist ganz offensichtlich jemand, der ständig hyperaktiv ist. Er ist niemand, der leise verblasst. Es gibt Präsidenten, die in einer zweiten Amtszeit feststecken, denen die Zeit davonläuft, die an ihre Präsidentenbibliothek denken und akzeptieren, dass sie politisch verschwinden. Es ist sehr schwer, sich diesen Verlauf bei Trump vorzustellen.
Es ist offensichtlich eine gute Nachricht, wenn die Regierung feststeckt. Zugleich besteht aber die Sorge, dass genau das zu Verzweiflung führt – und diese die Regierung noch radikaler machen könnte, als sie es in ihrem ersten Jahr ohnehin schon war.
Wie glaubst du, wird sich diese Dynamik entwickeln? Wir zeichnen hier einen Jahresrückblick 2025 auf. Trump trat sein Amt am 20. Januar 2025 an. Wir sind noch nicht einmal ein Viertel durch diese Amtszeit, es liegen noch etwas mehr als drei Jahre vor uns. Ich will nicht, dass du am Ende des Jahres zu optimistisch wirst, aber wie wird sich das deiner Ansicht nach entwickeln? Was werden sie tun, um den Karren aus dem Dreck zu ziehen?
Fukuyama: Eine unmittelbare Sorge sind die Zwischenwahlen im November 2026. Trump und seine republikanischen Mitstreiter wären aus Überzeugung durchaus bereit, zu versuchen, diese Wahl so zu manipulieren, wie sie es bei früheren Wahlen versucht haben. Das wird allerdings schwierig, weil Zwischenwahlen von Bundesstaaten und Kommunen organisiert werden, also von unteren Regierungsebenen. Die Bundesregierung hat glücklicherweise keine zentrale Rolle bei der Durchführung von Wahlen.
Schwierig wird es für sie auch, wenn die Umfragen zur möglichen Größe einer demokratischen „blauen Welle“ im nächsten November stimmen. Es ist eine Sache, eine Wahl zu manipulieren, die um zwei oder drei Prozentpunkte kippt, wie bei vielen früheren Wahlen. Wenn der demokratische Herausforderer mit zehn Punkten Vorsprung führt, wird das sehr viel schwerer. Dann bleibt einem letztlich nur die Entscheidung der Bürger.
Eine Eskalation über diesen Punkt hinaus würde Maßnahmen erfordern wie den Einsatz von ICE oder des Militärs, um einen Gegner an der Machtübernahme zu hindern. Und an diesem Punkt – ohne allzu naiv klingen zu wollen – ist es schwer vorstellbar, dass, sollte Trump versuchen, eine dieser Machtbehörden zur Aufhebung von Wahlergebnissen einzusetzen, diese einfach salutieren und gehorchen würden.
Diese Sorge schwingt im Hintergrund der Debatten darüber mit, ob man gegen Mark Kelly und andere Demokraten mit nationalem Sicherheitsprofil vorgehen sollte, die Soldaten dazu raten, rechtswidrigen Befehlen nicht zu folgen. Trump rechnet offenbar damit, dass er möglicherweise rechtswidrige Anordnungen erlassen wird, und will persönliche Loyalität sicherstellen.
Letztlich läuft das auf eine Frage hinaus, auf die wir die Antwort nicht kennen: Wie würden sie reagieren? Ein besonders beunruhigender Bereich ist ICE. Die Behörde verfügt inzwischen über ein größeres Budget als das FBI und als jede andere inländische Strafverfolgungsbehörde. Sie rekrutiert sehr schnell, und die Menschen, die jetzt bereit sind, zum ICE zu gehen, sind vermutlich starke Trump-Unterstützer.
Es ist möglich, dass er bis zum nächsten November über ein Zwangsinstrument verfügt, das ihm persönlich loyal ist – was einige erschreckende Möglichkeiten eröffnet, wie es eingesetzt werden könnte. Dennoch fällt es schwer zu glauben, dass es selbst für ihn nicht eine Brücke zu weit wäre, im Grunde militärische Gewalt einzusetzen, um an der Macht zu bleiben. Was meinst du?
Mounk: Frank, du hast mir eine Frage gestellt, auf die ich antworten möchte, aber ich antworte mit einer Gegenfrage. Ich glaube, die Einschätzung hängt von der Antwort auf den folgenden Punkt ab.
Es gibt eine Lesart dessen, was in den vergangenen neun Monaten passiert ist, die uns relativ optimistisch stimmen würde, was die Robustheit der amerikanischen Institutionen angeht. Wir haben es mit einer Regierung zu tun, die Normen und Regeln bricht, realen Schaden anrichtet, Korruption betreibt und schwere Machtmissbräuche begeht. Und doch scheint sie nicht kurz davor zu stehen, Macht in einer Weise zu konzentrieren, die es unmöglich machen würde, über die Regierung zu berichten oder sie zu kritisieren. Es gibt keine Unterwerfung der Medien. Die New York Times lobt Donald Trump nicht jeden Tag.
Wie du angemerkt hast, gibt es Sorgen über Eingriffe auf lokaler Ebene bei den Zwischenwahlen. Dennoch stimme ich dir zu, dass es unwahrscheinlich wirkt, dass sie eine demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus verhindern könnten, falls die Demokraten gewinnen. Die Frage ist dann: Warum ist das so?
Liegt es daran, dass die amerikanischen Institutionen gerade einem außergewöhnlichen Stresstest unterzogen werden und – unvollkommen und zu hohen moralischen Kosten – tatsächlich standhalten? Halten sie Trump davon ab, Macht in der Weise zu konzentrieren, wie Erdoğan es in der Türkei getan hat?
Oder liegt es daran, dass die Trump-Regierung weniger kompetent ist, als sie zunächst wirkte? Hat sie weniger Plan, als es in den ersten Monaten schien? Ist Trump zu sehr auf persönliche Rache fixiert, zu abgelenkt, zu sehr damit beschäftigt, Tiraden auf Truth Social zu posten? In diesem Fall würden wir trotz der extremen Normbrüche keinen echten Stresstest erleben.
Wie siehst du das? Wie viel Vertrauen sollten wir aus der bisherigen, scheinbaren Widerstandsfähigkeit des Systems ziehen? Und in welchem Ausmaß ist das schlicht Glück – dass Trump neben seiner Verachtung demokratischer Normen unkonzentriert, reizbar und stärker auf persönlichen Vorteil und Korruption fokussiert ist als auf einen systematischen Abbau der Machtkontrollen?
Fukuyama: Beides kann zugleich zutreffen. Es könnte sein, dass er weniger kompetent darin ist, die Demokratie abzubauen, als er sein könnte, und dass es zugleich viel mehr Widerstand gibt, als er erwartet hat. Ich bin ziemlich zuversichtlich, dass die amerikanischen Institutionen das nächste Jahr überstehen werden und dass die Demokraten wahrscheinlich das Repräsentantenhaus gewinnen. Wenn das passiert, wird Trumps Macht deutlich geschwächt.
Der Grund, warum ich das sage, ist folgender: Ein stärkeres Zwangsszenario, in dem Wahlergebnisse ignoriert und Gewalt eingesetzt wird, um an der Macht zu bleiben, wird intern offenbar nicht ernsthaft diskutiert. Republikanische Loyalisten und Trump-Loyalisten versuchen vielmehr hektisch zu klären, was sie tun werden, sobald die Demokraten das Repräsentantenhaus übernehmen. Sie reden nicht darüber, zu Trump zu gehen und ihn aufzufordern, ICE einzusetzen, um zu verhindern, dass Demokraten ihre Sitze einnehmen. So spricht im Moment niemand.
Ich werte das als Zeichen dafür, dass grundlegende demokratische Institutionen weiterhin respektiert werden. Wenn Wähler klar sagen, dass sie diese Regierung nicht wollen, besteht eine weitverbreitete Annahme, dass die Macht übergeben werden muss. Eine deutlich gefährlichere Machtübernahme zu planen, würde ein Maß an Planung und Koordination erfordern, für das ich keinerlei Anzeichen sehe.
Ich glaube auch, dass das über Trump selbst hinausgeht. Wenn man sich anschaut, wie er sich bei früheren Wahlen verhalten hat, waren seine Bemühungen stets schlampig und reaktiv. Ich sehe derzeit keine Hinweise darauf, dass er ernsthaft erwägt, ICE oder andere Zwangsorgane einzusetzen, um eine Wahl zu kippen.
Mounk: Aber was, wenn er es doch täte? Das ist die gegenfaktische Frage. Ich stimme zu, dass es nicht wahrscheinlich wirkt. Aber mit Blick auf unser Vertrauen, dass die amerikanische Republik nicht nur Trump überlebt, sondern auch Vance oder Donald Trump Jr. oder wen auch immer die nächsten zwanzig Jahre noch hervorbringen – geben dir die letzten Monate mehr oder weniger Vertrauen, dass die Institutionen einem systematischeren, kühler geplanten Versuch standhalten könnten, sie zu Fall zu bringen?
Fukuyama: Viel hängt von der Führungsspitze all dieser Machtinstitutionen ab. Auch wenn Pete Hegseth versucht hat, „woke“ Offiziere in Führungspositionen zu ersetzen, halte ich die Sozialisation des Offizierskorps im US-Militär für ziemlich tiefgreifend. Man müsste sehr viel mehr Menschen aussortieren, um Generäle zu finden, die bereit wären, ihren Truppen zu befehlen, einen völlig illegalen und verfassungswidrigen Machtgriff zu unterstützen.
Ich denke außerdem, dass selbst innerhalb der Machtinstitutionen eine Spaltung besteht. Gouverneure kontrollieren theoretisch die Nationalgarde. Polizeibehörden sind vollständig getrennt. ICE ist eine neue Organisation. Können sie tatsächlich als Speerspitze genutzt werden, um die US-Regierung zu übernehmen? Ich weiß es nicht. Das erscheint mir ein sehr schwer vorstellbares Szenario, zumal es viele andere organisierte Gruppen mit Waffen gäbe, die sich dem widersetzen könnten.
Ich bin mir nicht sicher, dass irgendjemand einen Weg einschlagen will, an dessen Ende diese Organisationen gegeneinander kämpfen.
Mounk: Es gibt auch sehr viel leichtfertige Rede von Bürgerkrieg. Sicherlich kann man nach manchen der derzeit gängigen politikwissenschaftlichen Definitionen eines Bürgerkriegs in den Vereinigten Staaten theoretisch dorthin gelangen – aber das liegt daran, dass diese Definitionen einen Bürgerkrieg auf etwa hundert Menschen herunterdefinieren, die innerhalb eines Jahres durch politische Gewalt sterben.
Davon haben wir vermutlich ohnehin schon ein paar Dutzend pro Jahr, etwa durch Attentate oder Todesfälle bei Protesten und ähnlichen Ereignissen. Könnte man über diese Hundert-Grenze kommen? Ja, das ist durchaus vorstellbar.
Um zu etwas zu gelangen, das ein Laie tatsächlich als Bürgerkrieg erkennen würde, müssten unterschiedliche Teile der amerikanischen Staatsverwaltung gegeneinanderstehen, weil sie unterschiedlich interpretieren, wer das Sagen hat oder ob man einem rechtswidrigen Befehl folgen sollte. Ich halte das nicht für völlig unvorstellbar, aber ich denke, wir sind davon noch ziemlich weit entfernt.
Fukuyama: Es gab auch einige Beispiele, in denen er Nationalgardetruppen aus anderen Bundesstaaten, aus roten Staaten, in blaue Städte geschickt hat. Als wir uns ausmalten, wie ein Konflikt aussehen könnte, war das genau die Art von Szenario, bei der lokale Behörden sich gegen solche föderalen Eingriffe wehren würden.
Sie sind bislang ziemlich vorsichtig vorgegangen. Sie haben schlimme Dinge getan, etwa US-Bürger festgenommen und so weiter, aber sie haben die Dinge nicht wirklich bis zu einer offenen Konfrontation getrieben, bei der dieses Eskalationspotenzial bestanden hätte. Auch das gibt einem ein wenig Hoffnung, dass es, wenn es hart auf hart kommt, tatsächlich nicht in Gewalt münden wird.
Mounk: Ich muss sagen, dass man heutzutage im Umgang mit verschiedenen Behörden des amerikanischen Staates nicht immer beeindruckt ist. Aber jedes Mal, wenn ich mit ranghohen Militärs zu tun hatte oder an Institutionen wie der Naval Academy eingeladen war, habe ich zutiefst ernsthafte Menschen und zutiefst ernsthafte Institutionen erlebt. Das ist ein großer Trumpf, den die Vereinigten Staaten nach wie vor besitzen.
Wir haben den justiziellen Aspekt hier noch nicht wirklich behandelt. Es gibt sehr unterschiedliche Interpretationen darüber, ob der Supreme Court Donald Trump zu Diensten ist – das wäre die extremste Lesart –, ob er versucht, die größten Konflikte zu umschiffen, um Trumps Zorn zu vermeiden, oder ob es optimistischere Deutungen gibt, nach denen er eine konservative Mehrheit hat, die ungefähr dem entspricht, was die Federalist Society 2013 oder 2014 gewollt hätte, bevor Donald Trump in die Politik eintrat. Nach dieser Sichtweise wäre er tatsächlich eine konstitutionalistische Kraft, die klare und extreme Machtmissbräuche Trumps einhegen wird. Wo ordnest du dich in diesem Spektrum ein?
Eine Möglichkeit, wie eine Trump-Regierung versuchen könnte, sich aus der Sackgasse zu befreien, bestünde darin, gerichtliche Entscheidungen in extremerer Weise zu ignorieren als bislang. In diesem Jahr gab es mehrere Situationen, in denen ein Richter sagte, diese Person dürfe nicht abgeschoben werden, und die Regierung erwiderte: Sie ist bereits im Flugzeug, wir sind nicht rechtzeitig dort angekommen. Einiges davon war nicht aufrichtig. Manchmal wollten sie diese Anordnungen ganz bewusst unterlaufen. Aber bislang haben sie nicht einfach gesagt, als Reaktion auf ein grundlegendes Urteil darüber, was sie künftig zu tun haben: Wir ignorieren den Supreme Court. Wie viele Truppen habt ihr?
Das ist ein Hund, der bisher nicht gebellt hat. Könnte er in den nächsten drei Jahren bellen? Wie siehst du das Kräfteverhältnis zwischen Exekutive und Judikative in dieser Zeit?
Fukuyama: Nun, die unteren Ebenen der Bundesgerichtsbarkeit waren, wie ich finde, sehr gut. Sie haben sich tatsächlich gegen einige der offensichtlich illegalen Dinge gestemmt, die Trump per Exekutiverlass durchsetzen wollte. Die große Frage ist daher wirklich der Supreme Court. Ich würde sagen: Wenn wir alle aus der Weihnachtspause zurück sind, werden wir es wissen. Es liegen derzeit drei wirklich große Fälle beim Supreme Court, in denen es wahrscheinlich zu Entscheidungen kommen wird.
Nicht erst am Ende der Amtsperiode im Juni, sondern innerhalb der nächsten Wochen. Der eine ist der Fall zur Staatsbürgerschaft durch Geburt nach dem 14. Zusatzartikel. Der zweite betrifft Zölle. Der dritte: die Aufhebung von Humphrey’s Executor. Meine Prognose ist im Moment, dass Trump sowohl im Zoll- als auch im 14.-Zusatzartikel-Fall verlieren wird, während er beim Humphreys-Executor-Fall wahrscheinlich gewinnen und sich durchsetzen wird.
Mounk: Was in etwa mit der Falltheorie der Federalist Society übereinstimmt? Die Federalist Society vor Trumps Eintritt in die Politik hätte vermutlich dafür plädiert, so etwas wie Humphrey’s Executor aufzuheben, aber nicht die beiden anderen Punkte vertreten.
Fukuyama: Genau. Man sieht das ja. Das Wall Street Journal ist sehr kritisch gegenüber der Staatsbürgerschaft durch Geburt und gegenüber den Zöllen, ganz eindeutig, befürwortet aber zugleich geschlossen die Aufhebung von Humphreys Executor – und steht damit für so etwas wie den traditionellen konservativen Republikanismus. Nach den mündlichen Verhandlungen vor dem Gericht zu den Zöllen halte ich es für einen echten Kraftakt, die derzeitige Politik zu verteidigen. Und der Fall zum 14. Zusatzartikel steht derart im Widerspruch zum offensichtlichen Wortlaut der Verfassung. Er dreht sich um diese eine kleine Formulierung: „subject to the jurisdiction thereof“.
Der 14. Zusatzartikel sagt, dass alle Personen, die im Gebiet der Vereinigten Staaten geboren oder eingebürgert sind und der dortigen Jurisdiktion unterliegen, Bürger der Vereinigten Staaten sind. Konservative versuchen, das über diese kleine Wendung auszuhebeln, indem sie behaupten, Einwanderer – illegale Einwanderer – unterlägen irgendwie nicht der Jurisdiktion der Vereinigten Staaten. Erstens: Wenn man Originalist ist, ist das ein völlig unredliches Argument, denn gemeint sind damit tatsächlich Native Americans, weil es zum Zeitpunkt der Verabschiedung des 14. Zusatzartikels noch Indianerstämme gab, die als souveräne Nationen galten.
Ich denke, diese Formulierung bezieht sich darauf, dass sie weiterhin souverän waren und man respektierte, dass sie nicht einfach der Jurisdiktion der Vereinigten Staaten unterfielen, weil sie ihre eigene Souveränität hatten. Und es stimmt schlicht nicht, dass illegale Einwanderer nicht den Gesetzen der Vereinigten Staaten unterliegen. Sie mögen diese Gesetze umgehen, aber sie unterliegen ihnen ganz eindeutig.
Ich sehe wirklich keine Grundlage dafür, den 14. Zusatzartikel ernsthaft zu kippen. Und dann stellt sich die politische Frage: Wenn Trump diese beiden großen Rückschläge erleidet, was wird er dann tun? Ich bin mir nicht sicher, ob er viel anderes kann, als planlos herumzuschlagen. Bei den Zöllen wird er sicher versuchen, andere rechtliche Grundlagen zu finden, um sie aufrechtzuerhalten. Aber das wird extrem chaotisch. Es wird all diese Klagen geben, in denen Unternehmen versuchen, das Zollgeld zurückzubekommen, das sie an den Staat abführen mussten. Das sähe für ihn wirklich nicht gut aus.
Mounk: Wenn man sich in der Welt umschaut, ist das Bild der Vereinigten Staaten in gewisser Weise gemischt. Will heißen: Es war ein sehr, sehr schlechtes Jahr für die USA, aber man kann auch sehen, dass Trumps Zeit im Rampenlicht vielleicht zu Ende geht.
Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, dass die Demokraten 2028 gewinnen – auch wenn die Demokratische Partei weiterhin mit tiefen Problemen der Unbeliebtheit zu kämpfen hat. Blickt man auf den Westen insgesamt, wird sehr deutlich, dass dieser politische Moment noch nicht vorbei ist. Wir dachten, Polen könnte bei den jüngsten Wahlen eine Wende geschafft haben, und dann gingen die Präsidentschaftswahlen an den Vertreter einer rechtspopulistischen Partei aus dem Lager von Recht und Gerechtigkeit.
Man sieht Giorgia Meloni ziemlich fest im Amt in Italien, auch wenn sie zumindest in der Außenpolitik moderater war, als man hätte erwarten können. Und vor allem sieht man in Umfragen Nigel Farages Reform in Großbritannien vorne sowie in Frankreich Jordan Bardella oder Marine Le Pen – je nachdem, wer antreten wird, was von einem Gerichtsurteil abhängt – klar führend in den Präsidentschaftsumfragen.
Die Alternative für Deutschland ist die stärkste Partei in nationalen Umfragen. Das heißt nicht, dass sie diese Bundestagswahl wahrscheinlich gewinnen würde, die ohnehin noch eine ganze Weile entfernt ist, weil es ein Verhältniswahlsystem ist und sie weit von einer absoluten Mehrheit entfernt sind. Aber sie könnten sehr wohl erstmals in ostdeutschen Landesparlamenten in die Regierung eintreten und in einem davon sogar eine absolute Mehrheit erreichen.
Offenkundig ist dieser Moment, was auch immer er ist, noch nicht vorbei. Was auch immer den Aufstieg dieser populistischen Parteien antreibt, wirkt weiter. Die enorme Schwäche der Moderaten – sowohl in der Mitte links als auch in der Mitte rechts – vertieft sich weiter.
Ich glaube, das sollte unsere Erwartungen für die Vereinigten Staaten prägen. Zusammengenommen mit dem, was in Großbritannien, Frankreich und Deutschland passiert, und mit dem, was man in Polen nach der schnellen Gegenreaktion auf eine moderatere Regierung gesehen hat, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass die Demokraten 2028 gewinnen – weil die Trump-Regierung entgleist und weit außerhalb des kulturellen Mainstreams der Vereinigten Staaten steht.
Trump ist inzwischen ziemlich unbeliebt und es ist unklar, ob er einen Nachfolger hat, der sein Charisma und all das mitbringt. Es ist nicht schwer, sich einen demokratischen Sieg 2028 vorzustellen, einen demokratischen Sieg 2032 und 2036, selbst wenn die Republikaner sehr extreme Kandidaten aufstellen. Dass es den Demokraten gelingt, tatsächlich die breite politische Mehrheit aufzubauen, die nötig wäre, um dauerhaft zu bestehen und über diesen Moment hinauszukommen, ist angesichts des internationalen Kontexts deutlich schwerer vorstellbar. Wie bewertest du diesen Gesamtmoment für die Demokratie außerhalb der Vereinigten Staaten?
Fukuyama: Das sind zwei unterschiedliche Fragen, die man nacheinander besprechen sollte. Die Gefahr in Europa ist offensichtlich, aber es gibt auch die Gefahr, dass man sich entmutigen lässt, wenn man zu sehr katastrophisiert und glaubt, man könne sich gar nicht wehren. Ich denke, es gibt viele Wege, sich zu wehren. Einer der wichtigsten Punkte in Europa ist tatsächlich das Verhältniswahlsystem.
Das führt dazu, dass keine dieser populistischen Parteien eine Mehrheit in den Parlamenten bekommt. Selbst wenn sie bei kommenden Wahlen zulegen, haben die anderen Parteien dann zwei Möglichkeiten: Sie können eine Koalition bilden oder ein cordon sanitaire errichten. Genau das tun die Parteien in Österreich derzeit, um die Freiheitliche Partei von der Macht fernzuhalten.
So oder so reduziert das die Bedrohung durch diese populistischen Parteien. Eine Koalition mit ihnen einzugehen, kann sogar die bessere der beiden Strategien sein. Das war sowohl bei Geert Wilders’ Partei in den Niederlanden als auch bei der Dänischen Volkspartei der Fall. Sie waren Teil von Koalitionen, mussten regieren und tatsächlich Kompromisse eingehen.
Sie konnten sich nicht länger als radikale Außenseiter inszenieren, die alles verändern würden. Das Interesse an ihnen ließ einfach nach. Ich glaube, es gibt Wege, mit ihnen umzugehen. Es gibt aber auch Unbekannte, etwa Jordan Bardella in Frankreich. Nach vielem, was man von ihm sieht, scheint er zumindest im Moment deutlich näher bei Giorgia Meloni zu sein als bei Viktor Orbán.
Er trifft sich mit Wirtschaftsvertretern, und ich glaube nicht, dass die französische Bevölkerung bereit ist, die EU aufzugeben und sich hart gegen sie zu stellen, wie es die Ungarn getan haben. Frankreich hat ein präsidentielles System, ein Mehrheitswahlsystem, auch wenn es ein Zwei-Runden-System ist. Es wird einen Präsidenten Frankreichs geben. Aber ich bin nicht überzeugt, dass es, falls er es wäre, zwangsläufig in einem Desaster enden müsste.
All diese Dinge hängen miteinander zusammen. Wenn zum Zeitpunkt dieser europäischen Wahlen Trump wirklich so aussieht, als sei er auf dem Weg nach draußen, wird das auch Auswirkungen haben. Dann wirken die populistischen Parteien weniger wie eine unvermeidliche Welle, die alle überrollt, sondern eher wie ein Schuss, der abgefeuert wurde und das Ziel knapp verfehlt hat.
Mounk: Ich stimme vielem zu, was du gesagt hast, will aber bei zwei Punkten den Skeptiker geben. Erstens haben weder Großbritannien noch Frankreich wirklich ein Verhältniswahlsystem. In Großbritannien hast du recht, dass Nigel Farage in Umfragen weit von 50 Prozent entfernt ist. Aber wenn sich die Umfragen nicht wesentlich ändern, hätte er vermutlich eine klare eigene Mehrheit im Parlament.
In Frankreich ist es, wie du sagst, ein Präsidentschaftssystem mit Stichwahl. Bardella wird sehr wahrscheinlich in der zweiten Runde stehen und führt in den meisten Konstellationen – sicher gegen jeden linken Kandidaten. Gegen einige Kandidaten aus der Mitte oder der Mitte rechts, etwa Édouard Philippe, sieht es eher nach 50:50 aus, was schwerer vorherzusagen ist. Aber auch das ist außergewöhnlich.
Selbst gegen diese Kandidaten aus der Mitte oder der Mitte rechts liegt er vorne. Wenn man ihn gegen jemanden wie Jean-Luc Mélenchon antreten lässt, den Kandidaten der radikalen Linken, könnte Mélenchon durchaus in die zweite Runde kommen, weil er eine starke persönliche Anhängerschaft hat, obwohl er in der französischen Gesamtbevölkerung sehr unpopulär ist. Bardella könnte dann mit 75 Prozent oder mehr gewinnen. Das wäre das genaue Gegenteil jener berühmten Wahl 2002, als Jacques Chirac gegen Jean-Marie Le Pen antrat und 80 Prozent der Franzosen für den moderaten Kandidaten aus der Mitte rechts stimmten.
Dieses Mal könnte der Kandidat der extremen Rechten, der Erbe von Le Pens Bewegung, mit einer überwältigenden Mehrheit gewinnen, falls es tatsächlich zu einem Duell mit Mélenchon kommt. Was würde das für Europas Position bedeuten?
Ich stimme dir zu, dass Farage und Bardella in mancher Hinsicht moderater sind als Trump. Das ist sicher richtig. Farage war ein Gegner der Europäischen Union und einer der Gründe, warum Großbritannien die EU verlassen hat. Bardella sagt nicht, dass er aus der EU austreten will. Ich habe allerdings gehört, dass er in privaten Gesprächen gesagt haben soll, er werde als eine seiner ersten Amtshandlungen nach Frankfurt zur Europäischen Zentralbank gehen und sagen: Entweder ihr kauft unsere Schulden und helft uns aus unserer Haushaltskrise – oder alles fliegt in die Luft, und Frankreich ist zu groß, um zu scheitern.
Ich glaube nicht, dass er die EU verlassen will, aber ich denke, er will Forderungen an die EU stellen, die für Deutschland, die Niederlande und andere Länder sehr schwer zu schlucken wären – auf eine Weise, die eine massive politische Krise in der EU auslösen könnte.
Der letzte Punkt, den ich machen möchte, ist folgender: Populistische Parteien als Juniorpartner in eine Koalition zu holen, war unter bestimmten Umständen eine gute Strategie. Das ist in den Niederlanden und einigen anderen Ländern passiert. Sie wurden gezwungen, Entscheidungen zu treffen und Regierungsverantwortung zu übernehmen. Sie konnten nicht alle ihre Versprechen einlösen, und das kostete sie Unterstützung.
In vielen dieser Länder stellt sich nun jedoch die Frage, ob eine Mitte-rechts-Partei bereit ist, der Juniorpartner zu sein, der ihnen den Weg ins Amt des Premierministers oder Präsidenten ebnet und ihnen letztlich die Macht verschafft. Das erscheint mir als eine sehr viel schwierigere Abwägung.
Fukuyama: Selbst ein Juniorpartner zwingt dich allerdings dazu, von bestimmten extremen Positionen abzurücken. Ich freue mich nicht auf Europas Zukunft, vor allem wegen des Mangels an wirklich inspirierenden Führungspersönlichkeiten. Keir Starmer ist eines der schlimmsten Beispiele. Alle atmeten erleichtert auf, als er nach all den verrückten Kandidaten gewählt wurde, die die Konservativen aufgestellt hatten. Aber er ist einfach so uninspiriert.
Mounk: Starmer ist, glaube ich, eine echte Warnung für die Demokraten in den Vereinigten Staaten. Er gewann einen großen Wahlsieg – relativ knapp beim Stimmenanteil, aber mit einer riesigen Parlamentsmehrheit. Er gewann, weil die Menschen eine schlecht regierende, zunehmend extreme Conservative Party satt hatten, selbst wenn Rishi Sunak, der letzte konservative Premierminister, vergleichsweise moderat war.
Die Leute waren erleichtert, dass die Labour Party von jemandem geführt wurde, der moderater war als Jeremy Corbyn und andere, und das reichte, um ihn zu wählen. Aber wenn man erst einmal im Amt ist, beurteilen die Menschen einen nicht danach, welchen Alternativen sie entgangen sind, sondern danach, ob man ein Programm und eine Vision hat. Und die hat Keir Starmer nicht. Das ist ein großer Unterschied zur Third-Way-Politik, die ihre eigenen Schwächen hatte.
Als Bill Clinton in den Vereinigten Staaten gewählt wurde und Tony Blair in Großbritannien, hatten sie tatsächlich ein Programm. Dazu gehörte auch ein Programm kultureller Erneuerung, das sich damals real anfühlte – dieser ganze Moment von Cool Britannia, nicht Rule Britannia, sondern Cool Britannia, das modernere, aufregendere Großbritannien.
Ich erinnere mich, als Gerhard Schröder in Deutschland gewählt wurde – nicht jemand, der eine besonders glanzvolle Kanzlerschaft hatte, und ganz sicher nicht jemand, der nach seiner Amtszeit eine glanzvolle Rolle gespielt hat als Handlanger Wladimir Putins. Ich war damals 16 Jahre alt. Mein ganzes Leben lang hatte Helmut Kohl regiert. Schröder stand für eine Art kulturelle Befreiung, für ein Weitergehen von diesem etwas dubiosen Deutschland der 1980er und frühen 1990er Jahre. Es gab diesen Moment der Aufbruchsstimmung.
Starmer hatte nichts davon. Wenn du all das nicht hast und alles, was du sagen kannst, ist: Ich bin nicht Boris Johnson und ich bin nicht Jeremy Corbyn, dann wirst du sehr schnell extrem negativ beurteilt. Treffen wir den Moment intellektuell? Müssen wir die liberale Tradition erneuern, um aus diesem Moment herauszukommen? Müssen wir erneuern, wie Menschen, die sich der liberalen Demokratie verpflichtet fühlen, den Wählern ein echtes Angebot machen?
Müssen wir die Annahmen, mit denen ich aufgewachsen bin – als jemand, der politisch in den frühen 2000er Jahren sozialisiert wurde –, viel radikaler über Bord werfen, um wirklich neu anzufangen? Oder glaubst du, wir haben die intellektuellen Bausteine für eine Welt nach Donald Trump und Nigel Farage bereits, und wir müssen nur Politiker dazu bringen, sie zu übernehmen und darauf aufzubauen? Wie orientierungslos sind wir intellektuell deiner Meinung nach?
Fukuyama: Darauf habe ich keine einfache Antwort. Ich glaube aber, dass es einen Weg nach vorne für Liberale gibt. Wie du weißt, bin ich ein großer Befürworter der Abundance-Agenda, und die hat viel mit Staatsmacht und exekutiver Autorität zu tun. Eine Sache, die Trump getan hat und die ihn überdauern wird, ist, dass er die Natur exekutiver Macht verändert hat.
Ich glaube, einer der Gründe, warum diese starkmännischen populistischen Führer Menschen ansprechen, ist, dass bestehende liberale Regierungen feststecken. Sie bekommen nichts hin. Sie haben sich viel zu viele Regeln und Beschränkungen auferlegt. Das zeigt sich auf vielerlei Weise. Dieser Instinkt, jemanden „in die Beine zu schießen“, entsteht bei Polizeikräften, die in der Verfolgung von Kriminellen extrem eingeschränkt sind.
Das ist vor allem in Lateinamerika ein großes Thema, wo es ein außer Kontrolle geratenes Kriminalitätsproblem gibt und demokratische Regierungen, die strikt dem Rechtsstaat folgen, schlicht nicht in der Lage waren, damit umzugehen. In den Vereinigten Staaten hat das viel mit Dingen wie Infrastruktur und der Fähigkeit zu tun, öffentliche Projekte umzusetzen, die extrem eingeschränkt ist.
Wir hatten gerade dieses Beispiel einer öffentlichen Toilette – eine einzige Toilette, ein Toilettensitz –, die 1,7 Millionen Dollar kostet und Jahre in der Umsetzung braucht. Wie Mark Dunkelman argumentiert, haben wir diese Phasen durchlaufen: hamiltonianisch oder jeffersonianisch. Die Hamiltonianer wollen staatliche Macht effektiv nutzen, um Dinge im gemeinsamen Interesse zu tun. Die Jeffersonianer sind extrem misstrauisch gegenüber konzentrierter Staatsmacht und wollen sie daher so weit wie möglich streuen.
Seit den 1960er Jahren befinden wir uns in einer sehr jeffersonianischen Phase, in der die Macht stark in die Zivilgesellschaft und auf die lokale Ebene verlagert wurde. Hier in Kalifornien konnten viele Städte deshalb landesweit und sogar national wichtige Projekte blockieren. In diesem Sinne steht Abundance für die Erkenntnis, dass staatliche Macht – demokratisch legitimiert und innerhalb der Grenzen des Rechtsstaats – tatsächlich für gute Zwecke eingesetzt werden kann.
Wir haben ein paar Generationen junger Amerikaner erlebt, die nicht daran glauben, dass das möglich ist, die den Staat für den Feind halten. Darin treffen sie sich mit traditionellen Konservativen, die den Staat ohnehin nie mochten. Jede Vision zur Wiederbelebung des Liberalismus muss deshalb auf einem anderen Staatsverständnis beruhen: dass ein demokratisch legitimierter Staat tatsächlich handlungsfähig sein kann. Er muss in vielen Bereichen freigesetzt werden – nicht nur beim Bauen, sondern auch bei der Bewältigung vieler Probleme, die jenseits der heutigen staatlichen Kapazitäten zu liegen scheinen.
Das ist mein allgemeines Gefühl dazu. Es ist kein Bruch mit dem Liberalismus, denn liberale Gesellschaften konnten das früher. Ich benutze dieses Beispiel immer wieder: In den frühen 1930er Jahren haben die Vereinigten Staaten die Golden-Gate-Brücke und die Tennessee Valley Authority gebaut – all das innerhalb von drei oder vier Jahren. Das war eine Art Höhepunkt des Hamiltonianismus, als die Roosevelt-Regierung den Staat nutzte, um viele progressive Dinge zu erreichen. Ich glaube, das ist eine Vision, zu der wir zurückkehren können – und zurückkehren müssen.
Mounk: Inwieweit besteht das Problem darin, dass Liberalismus mit großem L – oder schlicht demokratische Normen – oft herangezogen werden, um Dinge zu rechtfertigen, die zutiefst ineffizient und in einer Weise ungerechtfertigt sind, die so nicht stimmt? Nicht Liberalismus oder demokratische Normen verlangen diese Dinge. Ein Beispiel ist, dass es einen derartigen Verfahrensaufwand gibt, um überhaupt irgendetwas zu bauen.
Angeblich liegt das am Rechtsstaat und am Liberalismus und an individuellen Rechten. Tatsächlich liegt es aber an einem Bündel von rechtlichen Verfahren, Verwaltungsverfahren und Umweltgesetzen, für die wir uns entschieden haben. Wir hatten den Rechtsstaat ganz eindeutig auch in Phasen der amerikanischen Geschichte, in denen man eine Eisenbahn bauen konnte – und eine Eisenbahn ist sogar gut für die Umwelt. Das folgt daraus nicht zwingend.
Ein weiterer Bereich betrifft die Einwanderung. Wenn man nach Europa schaut, werden sehr grundlegende Möglichkeiten, die Grenze zu schließen und Menschen abzuschieben, durch extrem großzügige Auslegungen einer europäischen Menschenrechtscharta und anderer Doktrinen durch europäische Richter unterlaufen. Damit zwingst du viele Menschen faktisch, sich zu entscheiden: Wollen sie den Rechtsstaat respektieren – oder wollen sie zumindest das Gefühl haben, dass ihre Politiker an den Grenzen überhaupt handlungsfähig sind?
Wenn du die Frage so rahmst, dass Menschen sagen: Uns ist die Begrenzung von Einwanderung wichtiger als Demokratie, dann hast du ein riesiges Problem. Der dritte Bereich ist die öffentliche Sicherheit. Da gibt es vergleichende Unterschiede: Europa hat mehr Wohlfahrtsstaat und insgesamt niedrigere Kriminalitätsraten als die Vereinigten Staaten.
Aber auch: In einem europäischen Supermarkt – wenn du reingehst und eine Menge Zeug klaust – wird es einen Sicherheitsmann geben, der dich zu Boden bringt und festhält, bis die Polizei kommt. Du wirst wahrscheinlich nicht besonders lange ins Gefängnis gehen, weil europäische Gesetze nicht besonders strafend sind, aber man wird dich daran hindern, das zu tun.
In den Vereinigten Staaten gibt es – aus Gründen, die ich nie ganz verstanden habe – in meiner Nachbarschaft in New York eine neue Apotheke, in der die Hälfte der Dinge eingeschlossen ist. Das ist ein berühmter Talking Point. Es ist auffällig. Ein Teil des Grundes ist: Wenn ich reingehen würde, ein paar Dinge nehmen und rausspaziere, würde der Sicherheitsmann mich nicht stoppen – wegen der Regeln, an die er sich halten soll.
Vielleicht liegt das daran, dass es in den Vereinigten Staaten mehr Waffen gibt, oder an Versicherungen oder was auch immer. Aber es gibt Demokratien in Europa, die es schaffen, das so zu regeln, dass, wenn ein Laden einen Sicherheitsmann hat, dieser einen tatsächlich am Stehlen hindert. Das ist funktionaler als jemanden einfach gehen zu lassen und darauf zu setzen, dass vielleicht später ein Polizist das Videomaterial anschaut und ihn festnimmt. Sehr wahrscheinlich passiert das nie.
Wie können wir diesen realen Konflikt entschärfen – zwischen Rechtsstaat und Demokratie und unserer Fähigkeit, Dinge zu erledigen? Einen Konflikt, der nicht aus unveränderlichen Gründen real ist, sondern weil wir schlechte Entscheidungen getroffen haben?
Fukuyama: Ich denke, die meisten Beschränkungen unserer Handlungsfähigkeit sind das Ergebnis schlechter Entscheidungen und völlig unnötig. Ich könnte dich die nächste Stunde damit unterhalten, dir nur Geschichten über absurde Regeln zu erzählen, die es unglaublich schwer machen, Dinge zu bauen oder Entscheidungen zu treffen. Du hast vollkommen recht.
Zum Beispiel: Warum erlebt Nigel Farage in Großbritannien gerade ein Comeback? 2016 stimmten die Briten – knapp, das stimmt – dafür, die Europäische Union zu verlassen. Am meisten hat sie ein hohes Maß an Einwanderung aufgebracht. Trotz dieses Votums und trotz des Traumas des EU-Austritts sind die Einwanderungszahlen danach gestiegen.
Ich denke, der Europäische Gerichtshof und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte haben eine Rolle dabei gespielt, das sehr schwierig zu machen. Ich erinnere mich, dass David Cameron irgendwann sagte: Es gab einen syrischen Terroristen in Großbritannien, der in Großbritannien tatsächlich Gewalttaten begangen hatte, und man wollte ihn nach Syrien zurückschicken – und das europäische Gericht ließ das nicht zu. Das ist für mich ein perfektes Beispiel dafür, dass es so etwas wie „zu viel Rechtsstaat“ geben kann.
Es scheint sehr schwierig zu sein, für eine moderne liberale Demokratie Dinge tatsächlich zurückzubauen. Es fällt ihnen schwer, einen Trade-off zu machen: zwischen immer mehr Regeln und Verfahren und Zielen wie Effizienz und Wirksamkeit. Aber es muss geschehen. Wenn man das nicht tut, wird man ständig diesen starken Männern ausgeliefert sein, die sagen: „Ich ignoriere den Rechtsstaat einfach komplett und schlage alles kurz und klein.“ Zwischen diesen Positionen muss es einen Mittelweg geben.
Mounk: Ein weiteres eindrückliches Beispiel dafür stammt von Rory Stewart, dem britischen Politiker, damals, als er die britische Entwicklungsbehörde leitete. Er war Secretary of State for International Development. Er stellte fest, dass ein Teil der Gelder an eine Organisation weiterfloss, der er misstraute. Ich weiß nicht mehr genau, ob er im Grunde sicher war, dass sie terroristische Gewalt unterstützen würde, oder ob es eher ein Verdacht war, aber er dachte: Wir sollten dieser Organisation wirklich kein Geld geben.
Er durchläuft dann diesen geradezu unglaublichen Prozess, den er durchlaufen musste, und wie sehr er immer wieder hohe Beamte in sein Büro zitieren und sie gewissermaßen zusammenpferchen musste, um zu fragen: Haben wir aufgehört, das Geld zu überweisen? Wegen bürokratischer Verfahren und Hürden und des Rechtsstaats und all solcher Dinge war es für ihn praktisch unmöglich sicherzustellen, dass der britische Staat aufhört, Geld an diese gefährliche Gruppe zu geben.
Das ist erstaunlich. Nichts davon rechtfertigt irgendetwas von dem, was Trump getan hat, aber es erklärt, warum Menschen so etwas sehen und sagen: Vielleicht ist genau das, was wir brauchen. Ich glaube, das von innen heraus in den Griff zu bekommen – durch Leute, denen gute Regierungsführung und der Rechtsstaat und sein Schutz tatsächlich am Herzen liegen – ist genau der Punkt.
Ich will nicht zu lange weitermachen, aber noch ein bisschen internationaler Ausblick: Wie ist die Lage in der Ukraine Ende 2025? Werden wir 2026 ein Ende dieses schrecklichen Krieges sehen? Gibt es überhaupt noch eine Chance auf ein Ende – kein gerechtes Ende, denn ich glaube, das ist überhaupt nicht realistisch –, aber zumindest eines, das verhindert, dass Russland den Konflikt in den nächsten Jahren erneut entfacht, und das der Ukraine einigermaßen grundlegende Sicherheitsgarantien gibt?
Fukuyama: Ich mache mir große Sorgen um die Ukraine nach vier Jahren wirklich schrecklicher Kämpfe. Alles, was derzeit auf dem Tisch liegt, wird einen russischen Übernahmeversuch höchstens hinauszögern. Es ist ziemlich bemerkenswert, dass Putin keinen Zentimeter nachgegeben hat. Es gab dieses jüngste Treffen mit Selenskyj und europäischen Regierungschefs, bei dem sie versucht haben, das 28-Punkte-Dokument so zu verändern, dass einige der Garantien tatsächlich gestärkt und einige der territorialen Zugeständnisse zurückgenommen werden.
Selbst wenn es ihnen gelingt, Trump dafür zu gewinnen, ist für mich nicht klar, dass Putin irgendetwas davon akzeptieren wird. Ich glaube, es wird wahrscheinlich deutlich mehr einseitige Maßnahmen der Europäer erfordern. Sie müssen die Zurückhaltung Belgiens überwinden, um das beschlagnahmte russische Geld freizugeben.
Die Ukraine braucht jedes Jahr ungefähr 30 Milliarden Dollar an Budgethilfe. Die Europäer haben das bisher geleistet, aber sie können das nicht unbegrenzt tun. Es gibt Wege, das zu umgehen, aber so wie europäische Entscheidungsprozesse funktionieren, kann ein einziger zögerlicher Akteur das sehr leicht blockieren. Im Moment weiß ich nicht genau, wo das steht. Sie versuchen natürlich, dieses Veto – und auch das aus Ungarn und der Slowakei – zu überwinden, aber ob ihnen das gelingt, ist weiterhin äußerst unsicher.
Am ungeheuerlichsten ist für mich die Kapitulation, die moralische Kapitulation, die in dieser Idee steckt: dass wir tatsächlich Business-Deals machen und dass unser Hauptziel in diesen Verhandlungen nicht die Sicherheit einer demokratischen Ukraine sein soll, sondern neue Möglichkeiten gemeinsamer amerikanisch-russischer Geschäftsvorhaben, an denen die ganze Trump-Familie beteiligt sein kann. Das ist so abstoßend und erschütternd. Ich bin da überhaupt nicht optimistisch. Selbst wenn all die optimistischen Dinge, die ich über die Wahl im nächsten Jahr gesagt habe, eintreffen, glaube ich nicht, dass das früh genug passiert, um der Ukraine wirklich viel zu helfen.
Mounk: Worauf sollten wir 2026 international noch achten? In Ungarn steht eine Wahl an – ein kleines Land, aber wichtig wegen des Modells, das Viktor Orbán abgegeben hat. Es besteht die Möglichkeit, dass die Opposition gewinnt, auch wenn es unsicher ist. Was erwartest du jenseits Europas? Verbessert China einfach weiter seine internationale Stellung?
Fukuyama: Irgendetwas wird mit Venezuela passieren. Ich glaube, die Regierung hat sich in eine Ecke manövriert, in der sie einen Angriff auf Venezuela nicht vermeiden kann – nicht nur das Vorgehen gegen Boote, sondern auch Angriffe auf Ziele an Land. Denn man kann nicht so lange einen Flugzeugträger und all diese Kräfte dort unten halten, ohne irgendwann etwas mit ihnen zu tun. Ich würde erwarten, dass das passiert. Und sobald es passiert, löst man eine Kette von Ereignissen aus, die sehr schwer zu kontrollieren ist.
Selbst wenn man Maduro loswird, ist nicht klar, wer dieses Vakuum füllen wird. Anders als im Irak glaube ich, dass Venezuela tatsächlich eher über eine demokratische Struktur verfügt als der Irak oder Afghanistan, weil es letztes Jahr eine Wahl gab, es einen sehr klaren Sieger gab und es eine sehr gute Führungspersönlichkeit mit hoher Legitimität gibt.
Aber in Lateinamerika hätte selbst wenn der heilige Petrus persönlich in einem lateinamerikanischen Land mithilfe amerikanischer Waffen an die Macht käme, das verheerende Auswirkungen auf seine Legitimität. Ich halte María Corina für eine sehr gute und sehr inspirierende Führungspersönlichkeit, aber sie war gezwungen, diesen Pakt mit dem Teufel einzugehen, um Maduro zu verdrängen – und ich mache mir große Sorgen, wie das ausgeht.
Mounk: Ich verstehe grundsätzlich nicht, was der Plan ist. Im Fall Iran war die Trump-Regierung ziemlich gerissen – ich meine das rein politisch, unabhängig davon, wie man den Inhalt bewertet. Trump sagte: Ich mag Frieden, aber ich bin auch stark. Sie bauen eine Atombombe. Wir gehen eines Nachts rein – ein Luftangriff. Wir werfen ein paar Bomben ab. Wir erklären den Sieg – auch wenn die Frage, ob das Irans Atomprogramm wirklich wesentlich geschädigt hat, völlig offen ist.
Ich kann sehen, warum ihn das anspricht. Ein Tag, an dem er zeigen kann, dass er bereit ist, weltweit Stärke zu demonstrieren. Er kann den Sieg verkünden. Und selbst für manche in dieser Koalition, die keine ausländischen Verstrickungen wollen: Wie wütend werden sie schon sein über einen einzigen Luftangriff ohne amerikanische Opfer? Aber was ist der Plan in Venezuela?
Fukuyama: Ich glaube nicht, dass sie einen Plan hatten. Ich glaube nicht, dass sie einen Plan hatten. Ich denke, ihre Hoffnung war: Man macht diese große Machtdemonstration, stellt sich hinter María Corina und dann gibt Maduro einfach auf und tritt zurück. Das hat er nicht getan. Ich glaube, sie haben sich verkalkuliert, weil die oberen Ränge des venezolanischen Militärs – die pro Kopf gerechnet ungefähr zehnmal so groß sind, wie sie sein müssten – im Grunde Kriminelle sind, die am Status quo sehr viel Geld verdienen, und die werden nicht nachgeben.
Dieses Bluffen bestand darin, mit Invasion und Intervention zu drohen, ohne wirklich bereit zu sein, das durchzuziehen. Jetzt stecken sie fest, weil sie diese Drohungen ausgesprochen haben – und wenn sie jetzt zurückrudern, sehen sie ziemlich dumm aus. Dann sieht die Trump-Regierung ziemlich dumm aus.
Deshalb glaube ich, dass sie auf die eine oder andere Weise eskalieren müssen. Am wahrscheinlichsten ist, dass sie beginnen, Ziele an Land anzugreifen. Dann gibt es wieder sehr viel mehr Kontroversen mit Demokraten, die behaupten, sie handelten illegal, ohne Autorisierung und so weiter. Das wird einfach kein schönes Bild abgeben.
Mounk: Es wäre wirklich ironisch, wenn ausgerechnet ein Regimewechselkrieg aus freien Stücken eines der Dinge wäre, die dazu beitragen, dass Trump in der öffentlichen Meinung an Popularität verliert. Das wäre eine merkwürdige Ironie der Geschichte.
Lass mich dich als letzte Frage nach China fragen. All diese Entwicklungen, über die wir sprechen, helfen China. Ich sehe durchaus, selbst in Europa, dass es schwerer geworden ist, das Argument zu machen, es gebe gute Gründe, sich vor chinesischem Einfluss zu fürchten, wenn die Alternative Donald Trump ist. Zugleich hat China erhebliche Quellen innerer Schwäche. Wie denkst du über Chinas Rolle in der Welt – und worauf sollten wir dort 2026 und darüber hinaus achten?
Fukuyama: Kurzfristig ist die Bedrohung, glaube ich, tatsächlich chinesische Elektroautos. Ich verstehe immer noch nicht, warum Europa nicht eine härtere Linie fährt und das tut, was wir getan haben. Wir haben jetzt einen Zoll von 100 Prozent auf chinesische E-Autos – deshalb sieht man sie in den Vereinigten Staaten nicht.
Wenn man darüber nachdenkt, wie wichtig die deutsche Autoindustrie für die soziale Stabilität in Deutschland – und damit in Europa – ist, dann finde ich es verrückt, nicht protektionistisch zu sein: um sicherzustellen, dass sie diesen Kern der europäischen Industriewirtschaft nicht so zerlegt, wie sie es in anderen Sektoren getan hat. Das ist keine prinzipielle Frage von fairem Handel oder Verbraucherschutz, denn die Chinesen subventionieren diese Hochtechnologien massiv.
Das ist es, was mir kurzfristig wirklich Sorgen macht. Europa und viele andere Teile der Welt werden überrollt werden und am Ende von der Deindustrialisierung bedroht sein, wenn die Chinesen so weitermachen wie derzeit. Ich glaube nicht, dass die Menschen diese Gefahr schon begriffen haben. Wir haben es zum Glück, aber ich glaube nicht, dass Europa es bisher hat.
Mounk: Was die Schutzmaßnahmen angeht: Ich glaube, das Problem ist ein bisschen, dass Deutschland in einer Situation steckt, in der es so oder so verliert – also: doomed if we do und doomed if we do not. Die Deutschen sind stark abhängig von Exporten nach China. Und diese Abhängigkeit nimmt ab, weil China inzwischen so viel selbst produziert. Zum Beispiel sind Autoexporte nach China drastisch gefallen.
Ich denke, Mercedes-Benz und BMW wären in echten Schwierigkeiten, wenn sie gar keine Autos mehr nach China exportieren könnten. Wenn du also im Kanzleramt sitzt, denkst du: Ich will sicherstellen, dass Volkswagen nicht bankrott geht und nicht noch mehr Jobs in Deutschland streicht – was es, glaube ich, 2025 zum ersten Mal in seiner Geschichte getan hat.
Vielleicht sollte ich dafür sorgen, dass diese billigen E-Autos, die mit den normalen Volkswagen-Modellen konkurrieren, nicht mehr aus China hereinkommen. Aber wenn wir das tun, geraten plötzlich Mercedes und BMW in die Krise, weil sie tatsächlich noch eine ordentliche Zahl an Luxusfahrzeugen nach China exportieren können. Plötzlich können sie das nicht mehr. Was, um alles in der Welt, macht man dann?
Fukuyama: Ja – ich glaube, es ist absehbar, dass dieser Exportmarkt verschwinden wird. Die chinesische Regierung wird dafür sorgen, dass er verschwindet. Wenn sie nicht wenigstens ihre industrielle Basis in Europa schützen, werden sie so oder so in Schwierigkeiten geraten. Ich glaube, sie sind in größeren Schwierigkeiten, wenn sie diese heimische europäische Produktionsbasis verlieren. Ich denke, jeder wird sich von China verabschieden müssen, weil China einfach nicht der Handelspartner ist, für den wir es gehalten haben.
Mounk: Dann noch eine wirklich allerletzte Frage: Siehst du Anzeichen dafür, dass Europa sich erneuert, die Tragweite dieses Moments versteht, strategisch handelt, um mehr strategische Autonomie zu gewinnen, und herausfindet, wie es wirtschaftlich konkurrenzfähig bleiben kann? Oder glaubst du, der Kontinent hat den Ernst der Zeit immer noch nicht verstanden und rutscht weiter in den Niedergang? Ich bin sehr pessimistisch, weil ich Europäer bin. Also will ich, dass ein optimistischer Amerikaner wie du mir ein bisschen Hoffnung gibt.
Fukuyama: Wir waren gerade auf dieser Konferenz in Wien. Da liegt ein Hundert-Dollar-Schein auf dem Bürgersteig, den die Europäer einfach aufheben könnten – und zwar indem sie tatsächlich einen Binnenmarkt schaffen, den sie derzeit nicht haben. Es gäbe enorme Effizienzgewinne, wenn man die 27 verschiedenen Regelbücher, die europäische Produzenten betreffen, zumindest teilweise miteinander in Einklang bringen würde, und sie haben es einfach nicht getan.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie es tun, aber kein europäisches Oberhaupt hatte bislang wirklich die Durchsetzungskraft oder die Vision, so etwas auf die Beine zu stellen. Angesichts dessen, dass es Dinge gibt, die sie sich zwar vorstellen könnten, die aber schlicht unmöglich sein werden – etwa die tatsächlichen Entscheidungsregeln in der EU zu ändern, auf qualifizierte Mehrheitsentscheidungen umzustellen –, ist das eine riesige Aufgabe.
Einen echten Binnenmarkt zu schaffen, so wie sie es eigentlich schon vor Jahrzehnten hätten tun sollen, scheint dagegen deutlich machbarer zu sein – und sie tun es trotzdem nicht. Das lässt mich daran zweifeln, wie ernst es ihnen wirklich ist.
Falls du meinen Podcast „The Good Fight” (auf Englisch) noch nicht abonniert hast, mache das jetzt!
Dieses Transkript wurde mit Hilfe von KI übersetzt und von Niya Krasteva redigiert.


