Francis Fukuyama über Trump 2.0
Francis Fukuyama ist ein Politikwissenschaftler, Autor und der Olivier Nomellini Senior Fellow am Freeman Spogli Institute for International Studies der Stanford University. Zu seinen bekanntesten Werken zählen The End of History and the Last Man und The Origins of Political Order. Sein neuestes Buch trägt den Titel Liberalism and Its Discontents. Darüber hinaus ist er Autor der Kolumne „Frankly Fukuyama“, die von American Purpose zu Persuasion übergegangen ist. Er gehört außerdem zu dem Beirat von Persuasion.
Diese Woche sprechen Yascha Mounk und Francis Fukuyama darüber, was die Flut an präsidialen Erlassen wirklich bedeutet, wie sich der öffentliche Dienst verändern muss, Trumps Pläne für Grönland und welche Schritte China als Nächstes setzen wird.
Dieses Gespräch wurde gekürzt und leicht überarbeitet, um die Verständlichkeit zu verbessern.
Yascha Mounk: Das letzte Mal, dass wir miteinander gesprochen haben, war kurz nach der Wahl von Donald Trump. Nun sprechen wir wieder – und zwar fünf Tage nach seiner Amtseinführung. Was ist dein erster Eindruck?
Francis Fukuyama: Vor der Wahl gab es viele gemäßigte Republikaner, darunter einige meiner konservativen Freunde, die argumentierten, dass eine zweite Trump-Präsidentschaft gar nicht so anders wäre als die erste. Sie sagten, dass er in seiner ersten Amtszeit gar nicht so viel erreicht habe – entweder weil er nicht in der Lage war, seine Pläne umzusetzen, oder weil er gar nicht wirklich wollte. Ich denke, inzwischen ist vollkommen klar, dass das völlig falsch war. Er ist mit einem klaren Ziel ins Amt gekommen: Rache.
Das ist der zentrale Antrieb, der ihn motiviert. Er ist genauso radikal, wie viele befürchtet haben, was seinen Angriff auf das amerikanische System angeht. Und er ist viel besser darauf vorbereitet, seine Ziele auch wirklich durchzusetzen. Tatsächlich hat er sogar noch ein paar Dinge auf die Agenda gesetzt, die wir nicht erwartet hatten – wie die Übernahme von Panama und Grönland. Ich fürchte wirklich das Schlimmste.
Mounk: Viele haben in den vergangenen Monaten argumentiert, dass Trump dieses Mal über weitaus mehr Macht verfügt. Ich habe es so formuliert: 2016 hatte er keine politische Erfahrung. Er hatte keine wirkliche Kontrolle über die Republikanische Partei. Er hatte keine große Zahl an loyalen Kandidaten, die er in entscheidende Positionen einsetzen konnte.
Dieses Mal wissen wir, dass er die volle Kontrolle über die Republikanische Partei hat. Er hat vier Jahre lang regiert und eine Gruppe loyaler Mitarbeiter aufgebaut. Trotzdem ist es bemerkenswert, wie organisiert diese Administration bisher vorgeht. Auf eine gewisse Art ist es beeindruckend: Schon in den ersten Stunden lagen 100 Präsidialerlasse unterschriftsbereit auf seinem Schreibtisch.
Die Frage ist nun: Wir haben es mit jemandem zu tun, der einen viel konkreteren Plan hat und viel besser darauf vorbereitet ist, ihn umzusetzen. Was genau wird das bedeuten? Und wie weit wird das gehen?
Fukuyama: Ich spreche mal über den Bereich, den ich am genauesten beobachte: den Angriff auf die Bundesbürokratie. Im letzten Jahr haben sich viele über die Schedule-F-Verordnung Sorgen gemacht, die er am Ende seiner ersten Amtszeit erlassen hatte. Sie hätte ihm die Möglichkeit gegeben, faktisch jeden Beamten im öffentlichen Dienst zu entlassen.
Aber um zu zeigen, wie viel durchdachter sie dieses Mal vorgehen: Sie haben Schedule F nicht erneut eingeführt – weil das ihren Gegnern eine allzu klare Angriffsfläche geboten hätte.
Stattdessen haben sie DOGE geschaffen – das „Department of Government Efficiency“, eine Art Kommission für Verwaltungseffizienz, die von Elon Musk und Vivek Ramaswamy geleitet werden sollte. Ziel war es, zwei Billionen Dollar aus dem Haushalt zu streichen und die Regierung nach dem Modell eines Silicon-Valley-Unternehmens umzugestalten. Ich denke allerdings nicht, dass Elon Musk die Aufmerksamkeitsspanne hat, um diese Aufgabe ernsthaft zu übernehmen.
Mounk: Und Vivek Ramaswamy ist bereits aus DOGE ausgestiegen – offiziell, um sich auf seine Kandidatur als Gouverneur von Ohio zu konzentrieren, aber es scheint, als hätte es wachsende Spannungen mit Elon Musk gegeben. Das zeigt erste Risse in der Administration, obwohl sie in dieser ersten Woche bemerkenswert effizient und effektiv vorgegangen ist.
Fukuyama: Ich denke, dass DOGE in erster Linie nur geschaffen wurde, um Elon Musk eine Beschäftigung zu geben – damit er nicht in die eigentliche Agenda hineinfunkt. Die wird in Wahrheit von Russ Vought geleitet, der neuer Direktor des Office of Management and Budget wird. Und er ist ein äußerst kluger Stratege. Er hat bereits in der ersten Trump-Regierung in diesem Amt gearbeitet und kennt die Funktionsweise des amerikanischen Regierungssystems genau.
Es ist geradezu verblüffend, mit welcher Detailgenauigkeit sie ihre Gegner ins Visier nehmen. Ein Beispiel: Vergangene Woche wurden mehrere Jurastudenten der Stanford University, die Sommerpraktika im Justizministerium erhalten hatten, plötzlich wieder ausgeladen. Das war eine klare Vergeltungsmaßnahme gegen Stanford. Das ist das Niveau, auf dem sie agieren – sie werfen Praktikanten aus ihren Programmen, nur um eine Universität zu bestrafen.
Sie sind äußerst geschickt vorgegangen. Sie haben nicht versucht, Schedule F wiederzubeleben, da das inzwischen zu einem großen Angriffsziel geworden ist – aber sie haben im Grunde dasselbe erreicht. Sie behaupten, dass es gar nicht nötig sei, massenhaft Beamte zu entlassen. Stattdessen reiche es aus, die eigentlichen Entscheidungsträger einzuschüchtern.
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Mounk: Du hast, insbesondere in deinen zwei Bänden über „politische Ordnung“, über den Aufstieg des modernen Staates und der modernen Demokratien geschrieben, aber in unserem Kontext auch über die Bedeutung eines professionellen, unpolitischen öffentlichen Dienstes. Gleichzeitig bist du aber selbst ziemlich kritisch gegenüber einigen Aspekten der föderalen Bürokratie in den letzten Jahren. Wenn du nichts dagegen hast, erklär doch mal: Warum ist es so wichtig, dass die wichtigsten Positionen im öffentlichen Dienst nicht politisiert werden? Warum ist es entscheidend, dass es eine professionelle Beamtenschaft gibt, die unabhängig von wechselnden Regierungen bestehen bleibt?
Fukuyama: Nun, die öffentliche Verwaltung übernimmt im Grunde alle Regierungsaufgaben – Agrarsubventionen, Sozialversicherung, öffentliche Gesundheit, Sicherheit vor Kriminalität, Außenpolitik – all das muss von verschiedenen Behörden und Verwaltungen organisiert werden. Es gab eine Zeit, in der wirtschaftswissenschaftliche Ideen das Denken über Regierung dominierten. Ökonomen haben in erster Linie über Ressourcen gesprochen, aber selbst sie haben inzwischen verstanden, dass es eine funktionierende Verwaltung braucht. Es gibt bestimmte öffentliche Güter, die nur der Staat bereitstellen kann, und wenn du keine kompetenten Leute hast, die wissen, was sie tun, dann wird das nichts mit effektiven Dienstleistungen.
Das Problem ist, dass die Aufgaben des Staates heute unglaublich komplex sind und ein hohes Maß an Fachwissen und Ausbildung erfordern.
Ein Beispiel, das vielleicht nicht jeder auf dem Schirm hat: Die NOAA, die „National Oceanic and Atmospheric Administration“, also die Behörde, die unter anderem Wettersatelliten ins All schickt, ist in den letzten Jahren deutlich besser geworden. Hurrikan-Warnungen sind heute viel präziser. Die Wettervorhersagen im ganzen Land haben sich enorm verbessert. Und das liegt daran, dass dort hochqualifizierte Meteorologen arbeiten. Wenn wir keine moderne, professionelle Verwaltung haben, droht ein Stillstand vieler grundlegender Regierungsfunktionen.
Mounk: Es gibt hier also zwei miteinander verbundene Probleme, richtig? Zum einen geht es um Kompetenz: Wenn du eingestellt wirst, weil du loyal bist und nicht, weil du am besten für den Job geeignet bist, dann machst du ihn schlechter. Das zweite Problem ist zwar konzeptionell getrennt, aber damit verwandt: Wenn eine Behörde mit politisierten Mitarbeitern besetzt ist, dann könnte sie anfangen, nicht mehr alle Bürger gleich zu behandeln. Sie könnte zum Beispiel sagen: Diese Region, die republikanisch gewählt hat, bekommt Hilfe, aber diese andere, die demokratisch gewählt hat, nicht.
Fukuyama: Das grundlegende Merkmal eines modernen Staates ist seine Unpersönlichkeit – das bedeutet, dass er Dienstleistungen für alle Bürger gleichermaßen erbringt, einfach weil sie Bürger sind. Das steht im Gegensatz zu einem patrimonialen oder klientelistischen System, in dem politische Macht dazu genutzt wird, Freunde und Verbündete zu belohnen.
Das sieht man zum Beispiel an der Katastrophenhilfe. Donald Trump hat versucht, unser System wieder in Richtung eines patrimonialen Staates zu drehen. Als Präsident wollte er keine Katastrophenhilfe nach Kalifornien schicken, weil Kalifornien eine demokratisch geprägte Hochburg ist. Aber wenn ein ähnliches Unglück – etwa ein Hurrikan – Louisiana trifft, fließen die Hilfen sofort, weil es ein republikanischer Staat ist. Diese Art der Politisierung untergräbt massiv die Fähigkeit des amerikanischen Staates, moderne Verwaltungsaufgaben fair und effektiv zu erfüllen.
Mounk: Lass mich kurz den Advocatus Diaboli spielen. Die Gegenposition zu diesem Argument ist ja, dass die Lösung darin besteht, eine unpersönliche, neutrale Verwaltung zu haben, die einfach nur die vom Gesetzgeber verabschiedeten Regeln umsetzt. Eine Verwaltung, die politisch neutral ist und keine eigenen Werte in die Aufgaben des Staates einfließen lässt.
Aber das Problem in den USA – und in vielen westlichen Demokratien – ist, dass es eine starke Korrelation zwischen Bildung und politischer Einstellung gibt. Institutionen wie das „National Institutes of Health“ oder das „Centers for Disease Control“ werden in großen Teilen von Public-Health-Experten geleitet. Dann sieht man, dass genau diese Experten während der Corona-Pandemie einen offenen Brief unterzeichnen, in dem sie erklären, dass Massenproteste für Rassengerechtigkeit im Grunde genommen gut für die öffentliche Gesundheit seien – weil rassistische Ungleichheiten selbst ein Gesundheitsrisiko darstellen.
Und dann fragen sich viele: Wie kann ich darauf vertrauen, dass diese Verwaltung wirklich unpolitisch ist, wenn sie sich in einem Fall strikt an Regeln hält und in einem anderen plötzlich ideologisch argumentiert?
Wie gehen wir mit diesem weitverbreiteten Eindruck um, dass diese Experten zwar behaupten, unpolitisch zu sein, aber in Wahrheit sehr wohl ihre eigenen Werte und Überzeugungen durchsetzen?
Fukuyama: Gut, dass du das ansprichst, denn das führt direkt zu meinem zentralen Punkt über die Bürokratie. Ich denke allerdings, dass dein Ausgangspunkt falsch ist.
Seit Langem gibt es eine konservative Kritik am Verwaltungsstaat, die besagt, dass er von liberalen Bürokraten geführt wird, die nicht unter demokratischer Kontrolle stehen. Aber das Problem der Bürokratie ist nicht, dass sie zu viel Handlungsspielraum hat und sich politischer Kontrolle entzieht. Das Problem ist genau das Gegenteil: Die Verwaltung ist überreguliert und hat zu wenig Spielraum, um selbst Entscheidungen zu treffen.
Wenn man die Verwaltung wirklich reformieren will, muss man sie befähigen, ihre eigene Expertise zu nutzen.
Schau dir das Beispiel aus dem Gesundheitswesen an: Das Problem mit Public-Health-Experten ist nicht, dass sie politisiert sind, sondern dass sie eine bestimmte Perspektive haben. Ihre Aufgabe ist es, die öffentliche Gesundheit zu maximieren.
Mounk: Es gibt zwei verschiedene Kritikpunkte an den Gesundheitsbehörden. Der eine ist, dass sie Gesundheit über alles stellen – also zum Beispiel verhindern, dass jemand zur Beerdigung seiner Tante geht. Das ist aus ihrer Sicht verständlich, weil sie in ihrer Arbeit alles durch diese eine Brille sehen.
Der zweite Kritikpunkt ist jedoch, dass viele der einflussreichsten Public-Health-Experten des Landes – über tausend von ihnen – während der George-Floyd-Proteste einen Brief unterzeichnet haben, in dem sie sagten: Geht auf die Straße, um zu demonstrieren, denn das ist im Interesse der öffentlichen Gesundheit. Und das direkt nachdem sie gesagt hatten, dass Menschen wegen Corona nicht zur Beerdigung ihrer Angehörigen gehen dürfen.
Fukuyama: Ja, sie haben eine liberale Schlagseite. Aber ich denke einfach nicht, dass das so entscheidend war. Ich glaube nicht, dass irgendjemand aufgrund dieses Briefs anders gehandelt hat. Das eigentliche Problem war, dass die politischen Entscheidungsträger ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden sind.
Es war nicht das Problem, dass diese Beamten einen Brief geschrieben haben – dieser hatte letztlich keinerlei Einfluss. Das Problem war, dass die politischen Behörden nicht versucht haben, die verschiedenen gesellschaftlichen Interessen gegeneinander abzuwägen. Sie haben sich stattdessen viel zu sehr auf diese Experten verlassen.
Die mit Abstand größte Notwendigkeit zur Deregulierung – und hier stimme ich der generellen Stoßrichtung der Trump-Regierung tatsächlich zu – betrifft die Verwaltung.
Beamte arbeiten unter einer unglaublichen Last aus sich immer weiter anhäufenden Vorschriften. Weißt du, wie viele jährliche Berichte die Bundesverwaltung – angefangen beim Pentagon – jedes Jahr an den Kongress liefern muss?
Mounk: Hunderte oder tausende, nehme ich an.
Fukuyama: Die Zahl liegt in den Hunderttausenden.
Mounk: Wow. Niemand im Kongress hat tatsächlich die Zeit, hunderttausend Berichte zu lesen, die jedes Jahr eingereicht werden.
Fukuyama: Ein Beispiel: Die Federal Reserve muss dem Kongress einen Bericht über die Ein-Dollar-Münze vorlegen. Wann hast du das letzte Mal irgendwo in den USA eine Ein-Dollar-Münze gesehen? Diese Vorschrift ist über hundert Jahre alt, aber sie wurde nie abgeschafft. Und so sitzt jedes Jahr irgendein Bürokrat bei der Federal Reserve tagelang da und schreibt einen Bericht über den Stand der Ein-Dollar-Münze. Das ist nur eines von unzähligen Beispielen dafür, wie sich Bürokratie durch die gesamte Regierung zieht.
Das Problem ist, dass viele Reformwillige denken, man könne Regierungsversagen durch immer neue Vorschriften lösen, um sicherzustellen, dass die Behörden tun, was sie sollen. Aber das ist genau der falsche Ansatz. Sie brauchen mehr Entscheidungsfreiheit, um die Aufgaben auszuführen, die ihnen von den politischen Instanzen übertragen wurden.
Mounk: Lass uns das Gespräch etwas weiter fassen und über einige der anderen Erlasse und Ankündigungen der Trump-Regierung sprechen. Es gibt über hundert davon, also ist es schwer, sie zusammenzufassen. Aber es wirkt wie ein ziemlicher Mischmasch an Maßnahmen, oder?
Einige richten sich gegen die DEI-Bürokratie (Diversity, Equity, Inclusion), die in vielen Teilen des Bundesstaates überhandgenommen hat. Für diejenigen von uns, die sich Sorgen um bestimmte Formen linker Identitätspolitik machen, mag es hier Punkte geben, die man wertschätzen kann.
Andere Maßnahmen scheinen möglicherweise verfassungswidrig zu sein – zum Beispiel die geplanten Änderungen am Geburtsrecht oder eine der Maßnahmen, die mich diese Woche besonders beunruhigt hat: die Ankündigung, dass Trump das US-Militär an der Südgrenze einsetzen will. Was hältst du von diesen Anordnungen?
Fukuyama: Diese Tendenz, per Dekret zu regieren, hat in den letzten Jahren immer mehr zugenommen. Der Grund dafür ist, dass der Kongress – der eigentlich diese Politik gestalten sollte – nicht funktioniert. Und die Trump-Leute sind extrem ungeduldig. Sie wollen nicht einmal darauf warten, dass ein Kongress, den sie kontrollieren, Regeln erlässt. Also versuchen sie, das Parlament zu umgehen und alles direkt aus dem Weißen Haus heraus zu steuern. Und das ist extrem gefährlich, weil viele dieser Erlasse mit Sicherheit von einem Gericht aufgehoben werden. Und genau da liegt der kommende Verfassungskonflikt. Denn früher oder später wird ein Richter – vielleicht sogar alle neun Richter am Supreme Court, von denen einige Trump selbst ernannt hat – ihm sagen, dass er etwas nicht tun kann. Und dann wird es richtig brenzlig. Was passiert, wenn Trump sich einfach weigert, sich dem Urteil zu beugen?
Mounk: Lass uns kurz über Außenpolitik sprechen. Du hast vorhin erwähnt, dass Trump es offenbar ernst meint mit der Idee, die amerikanische Kontrolle über den Panamakanal wiederherzustellen oder sogar auszuweiten. Das war eines der Themen seiner Antrittsrede. Was er dort nicht erwähnt hat, ist Grönland oder Dänemark. Aber laut Berichten in der Presse hatte er ein Telefonat mit Mette Frederiksen, der dänischen Premierministerin, in dem er sehr nachdrücklich betonte, dass er es ernst meint mit dem Wunsch, einen Deal mit Dänemark auszuhandeln, der den USA die rechtliche Kontrolle über Grönland geben würde. Natürlich haben die USA dort bereits eine Militärbasis.
Dann gibt es noch Trumps Beziehungen zu Russland, die ziemlich verwirrend sind. Berichten zufolge wurde die Unterstützung für die Ukraine bereits gekürzt oder gestoppt – wobei sich das möglicherweise schon wieder geändert hat, bis diese Podcast-Folge erscheint. Gleichzeitig hat Trump überraschend scharfe Töne gegenüber Putin angeschlagen. In einem Tweet schrieb er sinngemäß: „Ich mag Russland und will eine Einigung, aber das kann entweder auf die einfache oder auf die harte Tour laufen. Wenn du nicht mitspielst, dann wirst du es schwer haben.“ Das klang für mich fast wie ein Mafia-Boss, der so tut, als wäre er freundlich, aber in Wahrheit eine ziemlich unverhohlene Drohung ausspricht.
Und dann ist da natürlich noch die China-Frage. Ich glaube, Trump hat ein echtes Gespür dafür, dass Amerika in einem Konkurrenzverhältnis zu China steht. Er ist überzeugt, dass China die USA ausnutzt. Wenn du dich an den Wahlkampf 2016 erinnerst – damals gab es diesen berühmten Supercut von Trump, in dem er gefühlt 200 Mal das Wort „China“ verwendete. Aber gleichzeitig hat er eine der ersten Maßnahmen, die auf eine harte Linie gegen China abzielten, rückgängig gemacht – nämlich die Anordnung, dass ByteDance TikTok an einen US-Eigentümer verkaufen muss, um weiterhin in den USA operieren zu dürfen. Dann gibt es seine Äußerungen über Taiwan, die suggerieren, dass es ihn gar nicht so sehr stören würde, wenn Peking versuchen würde, die Insel mit China wiederzuvereinen. Wie sollen wir all diese einzelnen Punkte zusammenbringen? Mein Eindruck ist, dass Trump nach einer Art klassischer Einflusszonen-Logik denkt. Er scheint zu sagen: „Wir können in unserer Einflusszone tun, was wir wollen.“
Fukuyama: Ich denke, das ist eine Art knallharter Realismus, den wir bei einem amerikanischen Präsidenten schon lange nicht mehr gesehen haben. Er verweist immer wieder auf McKinley als sein Vorbild – und McKinley hat tatsächlich das amerikanische Imperium erweitert. Aber das steht in einem gewissen Widerspruch zu Trumps isolationistischen Instinkten. Grönland und Panama haben aus seiner Sicht einen Vorteil: Sie ziehen die USA nicht in endlose Kriege hinein. Aber diese Ideen erinnern an eine sehr alte Vorstellung von nationaler Macht, die wir nach 1945 eigentlich überwunden glaubten – nämlich, dass Großmächte einfach versuchen, ihre territoriale Kontrolle zu maximieren. Das wirklich Beunruhigende an der Grönland-Sache ist, dass Trump alles, was er will, durch eine ruhige, friedliche Verhandlung mit Dänemark hätte erreichen können. Aber stattdessen insistiert er auf einer lauten, aggressiven Kampagne gegen einen traditionellen Verbündeten, der Amerika in vielen anderen Bereichen unterstützt hat. Es sieht so aus, als würde er tatsächlich auf volle US-Souveränität über Grönland drängen – nicht nur auf Zugang, sondern auf echte Kontrolle. Und ich glaube, der Grund dafür ist, dass er sich eine Zukunft vorstellt, in der die Weltkarten neu gezeichnet werden. Und wenn es dann eine Karte der Vereinigten Staaten gibt, soll da dieses riesige Stück Land mit einer amerikanischen Flagge drauf sein. Ich glaube ehrlich gesagt, dass genau das sein Antrieb ist – nicht strategisches Eigeninteresse, sondern eine Art Machtsymbol.
Mounk: Wie würde das ablaufen? Ich habe einen Tweet von einem dänischen Politiker gesehen, der sagte: „Klar, wir sind kein mächtiges Land und die USA sind ein mächtiges Land. Aber unter keinen Umständen werden wir unser Recht über Grönland aufgeben. Amerika müsste es sich schon holen.“ Dänemark ist offensichtlich nicht in der militärischen Position, Grönland zu verteidigen. Wenn US-Truppen einfach in das Territorium eines EU-Landes einmarschieren und erklären, dass Grönland jetzt Teil der Vereinigten Staaten ist, dann würde das doch unweigerlich zu einem massiven Bruch in der transatlantischen Allianz führen. Lass uns das mal ernst nehmen: Es gibt Verhandlungen, Dänemark sagt „Nein, wir machen keinen Deal“, die USA erweitern ihre Militärbasis und marschieren in die größten Städte oder Dörfer Grönlands ein. Dann hissen sie eine US-Flagge und erklären das Gebiet als amerikanisch. Was würde passieren?
Fukuyama: Nun, der NATO-Artikel 5 besagt, dass die Bündnispartner jeden NATO-Staat verteidigen müssen, der angegriffen wird. Aber was passiert, wenn ein NATO-Mitglied ein anderes NATO-Mitglied angreift? Soll man dann Grönland verteidigen oder Dänemark? Ich weiß es nicht. Das ist so unvorstellbar, dass es schwer ist, die langfristigen Folgen zu prognostizieren. Aber es würde auf jeden Fall die gesamte moralische Grundlage der NATO zerstören – die Idee, dass sie eine Wertegemeinschaft ist. Wir haben das in abgeschwächter Form bereits beim Irakkrieg gesehen. Damals gab es so viel europäische Opposition gegen die Invasion, dass einige Leute sagten: „Wir leben eigentlich gar nicht mehr im selben moralischen Universum.“ Aber das hier wäre ein Irakkrieg auf Steroiden. Und die Folgen wären nicht nur geopolitische Neuausrichtungen – die kommen sicher. Ich denke, es würde auch das gesamte Konzept des „Westens“ als eine Gemeinschaft liberaler Werte zunichtemachen. Und das war in den letzten Jahrzehnten enorm wichtig.
Mounk: Ja, das wäre ein echter Einschnitt. Europa würde dann wahrscheinlich viel stärker versuchen, eine Art strategische Autonomie aufzubauen. Aber gleichzeitig wäre es viel zu gespalten, um das wirklich effektiv zu tun. Das würde Europa massiv schwächen, weil es dann nur noch eine Ansammlung einzelner Staaten wäre – ohne den Schutz der USA, ohne die Fähigkeit, mit den USA zu koordinieren. Und das würde es extrem anfällig für Druck aus Russland oder vielleicht sogar aus China machen. Dann könnten einzelne europäische Staaten gezwungen sein, Deals mit diesen Mächten abzuschließen, die ihren Interessen dienen. Und egal, wie kompliziert man das Thema der Unabhängigkeit Taiwans sehen mag oder welche historischen Ansprüche China auf die Insel hat – es ist offensichtlich, dass die USA noch viel weniger einen historischen Anspruch auf Grönland haben, als China ihn auf Taiwan erhebt.
Fukuyama: Ich glaube nicht, dass Donald Trump jemals ernsthaft vorhatte, Taiwan zu verteidigen. Das war schon immer bloß eine Drohkulisse. Die ganze Idee einer möglichen Intervention basiert auf Schall und Rauch, aber es gibt überhaupt keinen Konsens darüber. Trump hat das nie wirklich als etwas betrachtet, wofür er amerikanisches Blut und Geld riskieren würde. Und wenn die USA gerade dabei sind, sich mit ihren eigenen Verbündeten über Grönland zu streiten – warum sollte Peking dann nicht einfach in Taiwan einmarschieren? Das wäre die perfekte Gelegenheit.
Mounk: Ich glaube, einer der Hauptgründe, warum Peking bisher nicht versucht hat, Taiwan mit Gewalt zu erobern, ist die Sorge vor massiven Konsequenzen – wirtschaftlich, diplomatisch, für den internationalen Ruf des Landes. Aber wenn die USA gerade Grönland besetzen und vielleicht auch noch in Panama einmarschieren, dann ist es schwer zu sehen, warum die internationale Gemeinschaft sich plötzlich hinter amerikanische Sanktionen gegen China stellen sollte.
Fukuyama: Ich glaube, die großen Länder des Globalen Südens – Indien, Südafrika, Brasilien – würden die USA in so einem Szenario nicht unterstützen. Es gibt vielleicht ein paar autoritäre Regierungen, die das als Gelegenheit sehen, ihre eigenen Pläne zu legitimieren. Aber kein bedeutendes Land würde auf Amerikas Seite stehen, wenn es tatsächlich Grönland annektieren würde. Die USA würden nicht nur keinerlei Unterstützung bekommen – sie würden weltweit verurteilt werden.
Mounk: Was bedeutet das für das Verhältnis der USA zu China? Es wirkt ja fast so, als würde die Trump-Regierung in manchen Bereichen eher sanft gegenüber China agieren – vielleicht, weil Trump strategischer ist, als viele denken. Er scheint erkannt zu haben, dass er bei jüngeren Wählern punkten kann, indem er TikTok diesen überraschenden Freifahrtschein gibt. Und wir haben ja schon darüber gesprochen, dass er nicht wirklich bereit wäre, Taiwan mit amerikanischem Blut und Geld zu verteidigen.
Auf der anderen Seite gibt es in der Regierung auch echte China-Hardliner. Und wie ich vorhin schon erwähnt habe, scheint Trump seit langer Zeit geradezu besessen von wirtschaftlicher Konkurrenz mit China zu sein – und vielleicht auch von einem größeren geopolitischen Machtkampf um Einfluss auf der Weltbühne. Wird die Trump-Regierung also eine weiche Linie gegenüber China fahren oder eine harte? Oder wird es eine seltsame Mischung aus beidem? Was glaubst du, wie sich die Beziehungen zwischen den USA und China in den kommenden Jahren entwickeln werden?
Fukuyama: Tja, Yascha, du stellst mal wieder eine Frage, die unmöglich zu beantworten ist, weil Trump dazu völlig widersprüchliche Signale gesendet hat. Ich hätte eigentlich gedacht, dass es für ihn ziemlich einfach wäre, eine explizit harte Linie gegenüber China zu fahren.
Die eigentliche wirtschaftspolitische Frage ist eine ernsthafte: Wenn man wirklich hart gegenüber China auftritt, dann insbesondere in Handelsfragen. Chinas Handelsüberschuss hat im vergangenen Jahr ein Allzeithoch erreicht. Sie setzen noch stärker auf ihre Strategie, die Welt mit billigen Industrieprodukten zu überfluten – was völlig verrückt ist. Und ich finde tatsächlich, dass alle Länder, die bereit sind, chinesische Waren zu kaufen, sich selbst dazu zwingen sollten, das einzuschränken oder ganz aufzuhören. Das wäre eine Politik, die tatsächlich sinnvoll wäre. Aber wer weiß schon, wie Trump über solche Dinge denkt? Er hat vermutlich immer noch diese Vorstellung, dass er irgendeinen Deal mit Xi Jinping aushandeln kann.
Bei Russland und der Ukraine habe ich dagegen eine klare Antwort. Er war in seinen Aussagen völlig widersprüchlich. Einerseits hat er harte Dinge über Russland gesagt – dass der Krieg ein Fehler war, dass Russland sich selbst geschwächt hat und so weiter. Und dann, nur ein paar Tage später, behauptet er, dass Selenskyj einen riesigen Fehler gemacht hätte, indem er die russische Invasion bekämpft hat – er hätte einfach nachgeben sollen, dann hätte es keinen Krieg gegeben. Das ist auf so vielen Ebenen völlig absurd. Es ist moralisch verrückt, es ist strategisch verrückt, einfach vollkommen absurd.
Aber eines ist ziemlich sicher: Trump will nicht als Verlierer dastehen. Wenn es ein Friedensabkommen gibt, das Russland erlaubt, über die Ukraine hinwegzumarschieren, und dann Bilder aus Kiew auftauchen, die so aussehen wie die Bilder aus Kabul nach Bidens Truppenabzug aus Afghanistan, dann wäre das ein Desaster für ihn. Er will dieses Szenario um jeden Preis vermeiden. Und aktuell kann er das nur verhindern, wenn er die Position der Ukraine irgendwie stärkt. Genau deshalb wird das hier, glaube ich, eine ziemlich langwierige Verhandlung werden. Und das macht mich ein bisschen weniger besorgt. Tatsächlich hat mir kürzlich ein ukrainischer Freund gesagt, dass die Stimmung in Kiew gerade etwas hoffnungsvoller ist – nicht, weil sie sich große Illusionen über Trump machen, sondern weil sie einfach genug haben von Bidens halbherziger Unterstützung. Sie denken sich: Egal, was kommt – es kann eigentlich nur besser werden als das.
Mounk: Ich möchte das Gespräch abschließen, indem ich ein wenig die Perspektive wechsle und darüber spreche, wie wir den bemerkenswerten Erfolg der Trump-Bewegung und den generellen Aufstieg populistischer Kräfte verstehen sollten. Es fällt mir auf, dass Trump vielleicht etwas gelungen ist, was eigentlich die Aufgabe von Politikwissenschaftlern und politischen Theoretikern gewesen wäre – nämlich Begriffe zu klären und zu erkennen, wenn zwei Elemente, die oft in einen Topf geworfen wurden, eigentlich auseinanderfallen.
In der Politikwissenschaft haben wir lange angenommen, dass zwei Aspekte des autoritären Populismus automatisch zusammengehören. Der erste ist das populistische Element – also die anti-elitäre und anti-pluralistische Haltung, die Idee, dass jemand wie Donald Trump (oder Narendra Modi oder Recep Erdoğan) sagt: „Ich allein vertrete das wahre Volk.“ Und aus dieser Behauptung leitet er dann seine Legitimität ab, genau das zu tun, was er für richtig hält. Wenn es traditionelle Einschränkungen seiner Macht gibt – sei es durch politische Normen oder explizite gesetzliche Grenzen –, dann betrachtet er sich nicht wirklich als daran gebunden. Denn wie könnte es legitim sein, die wahre Stimme des Volkes in ihrem Handeln einzuschränken? Das ist der eine zentrale Teil dieses Populismus.
Der zweite Aspekt, den wir lange mit diesem Populismus verknüpft haben, ist eine Art ethnischer Majoritarismus. Gerade weil Trump 2016 besonders stark unter weißen, älteren, ländlichen, männlichen Wählern aus der Arbeiterklasse gepunktet hat, war eine gängige Interpretation seines Wahlsiegs, dass es sich um eine Art letzte Rebellion der einstigen weißen Mehrheit handelte.
Aber ich glaube, dass diese beiden Dinge – der populistische Anspruch und der ethnische Majoritarismus – nicht mehr so eng miteinander verbunden sind, falls sie es überhaupt je waren. Sie haben sich zunehmend voneinander gelöst. Und das liegt zum einen an den sich verändernden Wählerstrukturen: Trump hat sowohl 2020 als auch noch stärker 2024 massiv unter hispanischen, asiatisch-amerikanischen, indigenen und, wenn auch in geringerem Maße, afroamerikanischen Wählern zugelegt. Auch unter jungen Wählern und Frauen hat er an Unterstützung gewonnen. Man kann also heute kaum noch behaupten, dass Trumps Wählerbasis einfach nur aus der weißen Arbeiterklasse besteht.
Zum anderen hat er diese veränderte Wählerbasis sehr bewusst angesprochen – in seiner Antrittsrede hat er sich explizit bei diesen Gruppen für ihre Unterstützung bedankt. Und ich glaube, dass viele dieser Wähler eine ganz andere Perspektive haben als die klassische Erzählung von der „verlorenen weißen Arbeiterklasse“. Sie sind nicht die Verlierer der Globalisierung. Sie sind nicht nostalgisch für das Amerika der Vergangenheit, weil sie selbst oder ihre Eltern und Großeltern damals vielleicht ausgegrenzt oder marginalisiert wurden. Sie glauben nicht daran, dass ihr Vater es besser hatte, weil er in einer Gewerkschaft war und einen sicheren Fabrikjob hatte. Vielmehr haben viele dieser Wähler das Gefühl, dass sie gerade erst anfangen, den amerikanischen Traum zu verwirklichen – dass es ihnen besser geht als ihren Eltern und dass ihre Großeltern vielleicht noch sehr arme Bauern in einem kleinen Dorf in Lateinamerika waren. Sie haben also eine optimistischere Haltung. Und deshalb habe ich angefangen, den Begriff des aufstrebenden Populismus zu verwenden – ein Populismus, der seine anti-elitäre, demokratiegefährdende Komponente beibehält, aber nicht aus einer Nostalgie für eine vergangene ethnische Mehrheit gespeist wird, sondern aus einem Aufstiegswillen.
Fukuyama: Ich glaube, dass in der heutigen politischen Rechten diese beiden Strömungen – der ethnische Nationalismus und eine multiethnische populistische Bewegung – klar voneinander zu unterscheiden sind. Und ganz offensichtlich ist die nationalistische, weiße Identitätskomponente nicht mehr so stark. Es ist faszinierend, wie viele indisch-amerikanische Politiker und Unternehmer mittlerweile Stars der amerikanischen Rechten geworden sind. Trump hat tatsächlich eine multiethnische Koalition aufgebaut.
Mounk: Ja, und in einem Gespräch mit Arlie Hochschild, das wir demnächst als Podcast veröffentlichen, haben wir genau darüber gesprochen. Arlie ist eine Soziologin, die ich schon einmal im Podcast hatte, als sie ihr Buch Strangers in Their Own Land veröffentlicht hat. Darin beschreibt sie die deep story – also die tief verwurzelte Erzählung – der Menschen in Louisiana, mit denen sie viel Zeit verbracht hat. Diese Geschichte besagt, dass diese Leute in einer langen Warteschlange zum amerikanischen Traum stehen, aber plötzlich bleibt die Schlange stehen. Sie stecken fest und sehen, wie andere Leute an ihnen vorbeiziehen. Und diese Wut über das Gefühl, übergangen zu werden, hat sicher eine große Rolle bei Trumps Wahl 2016 gespielt – und spielt vielleicht auch heute noch eine Rolle.
Aber diese Erzählung passt überhaupt nicht auf die Latino-Wähler in Miami-Dade, die für Trump gestimmt haben. Für sie könnte die deep story eine ganz andere sein: „Der amerikanische Traum ist da drüben, wir könnten ihn erreichen – es ist schwer, aber wir sind jung, wir sind optimistisch, wir können es schaffen. Aber es gibt all diese Leute, die uns davon abhalten wollen.“ Und wer sind diese Leute? Natürlich könnten sie sagen, dass es die WASPs sind, die Leute mit weißem Privileg, die ihre Position verteidigen wollen. Aber ich glaube, dass viele dieser Wähler das gar nicht so sehen. Sie haben vielmehr das Gefühl, dass es die Bürokratie ist, die sie daran hindert, ihr kleines Geschäft aufzubauen. Dass sie zu viel Steuern zahlen müssen. Dass die akademische und wirtschaftliche Elite mit ihren komplizierten Sprach- und Verhaltensnormen sie verunsichert – dass sie sich ständig fragen müssen, ob sie gerade das Falsche gesagt haben.
Fukuyama: Ich glaube, du hast absolut recht. Nur ein kleiner Kommentar: Es ist witzig, dass du den Begriff WASP benutzt. Vor 20 Jahren hatte das noch eine echte Bedeutung – White Anglo-Saxon Protestant. Das war vor allem im frühen 20. Jahrhundert ein reales Konzept, als viele große gesellschaftliche Institutionen tatsächlich von weißen Protestanten dominiert wurden, die in irgendeiner Form britische Vorfahren hatten. Und das Lustige ist, dass dieser Begriff heute völlig verschwunden ist. Niemand spricht mehr über WASPs, weil sich das Establishment so stark erweitert hat. Wie ich schon sagte: Indischstämmige Amerikaner werden sehr schnell ein Teil dieses Establishments werden.
Mounk: Faszinierend, dass du das aufgegriffen hast, denn ich habe den Begriff ganz bewusst verwendet. Ich habe gerade einen Essay-Entwurf in der Schublade, den ich hoffentlich in den nächsten Wochen fertigstelle – über den Tod des WASPs und die Tatsache, dass es niemand bemerkt hat. Wenn man sich die Biden-Regierung ansieht, gibt es dort praktisch keinen einzigen WASP mit echter Macht – selbst wenn man den Begriff in der weitesten Definition versteht. Also einfach nur jemand, der weiß, angelsächsischer Herkunft und protestantisch ist. Und natürlich gibt es am Supreme Court kaum noch WASPs. Es gibt zwar einige weiße Männer, aber fast alle sind Katholiken.
Ich glaube, in der Trump-Regierung gab es mehr Leute, die in diesem weiteren Sinne als WASPs durchgehen – also weiße, angelsächsische Protestanten. Und in gewisser Weise ist Donald Trump selbst ein WASP. Aber wenn man den Begriff in seinem ursprünglichen, engeren Sinn versteht, dann gehörten WASPs nicht zu den Baptisten aus dem Süden der USA oder zu den schottisch-irischen Einwanderern in Appalachia, die vielleicht auch protestantisch waren. Gemeint waren die Nachfahren der Mayflower-Siedler – die alte Elite der Vereinigten Staaten. Menschen, die in Boston auf dem Beacon Hill lebten oder in bestimmten Gegenden von Connecticut oder in der Landaristokratie Virginias.
Und in diesem engeren Sinn gab es selbst in der Trump-Regierung kaum noch WASPs. Es ist bemerkenswert, wie schnell ihr Einfluss in den letzten Jahrzehnten verschwunden ist – besonders im Vergleich zu 1970, aber selbst im Vergleich zu der Zeit, als ich Mitte der 2000er Jahre erstmals in die USA kam.
Fukuyama: Und was die Nostalgie betrifft – wen zum Teufel interessiert es eigentlich, dass die WASPs nicht mehr an der Macht sind? Den WASPs selbst ist das doch völlig egal. Tatsächlich waren viele von ihnen sogar führend daran beteiligt, sich selbst aus der Macht zu drängen. Ein großer Teil dieser Wokeness-Bewegung wurde ja ironischerweise von genau diesen alten weißen Eliten vorangetrieben. Aber ja, es ist wirklich eine bemerkenswerte Entwicklung.
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