Hamish McKenzie ist Mitgründer von Substack, einer Plattform für Texte und andere Inhalte. Er ist Autor und ehemaliger Journalist mit Wohnsitz in San Francisco.
In dieser Woche sprechen Yascha Mounk und Hamish McKenzie darüber, wie Substack entstanden ist, warum das Geschäftsmodell der Plattform anderes Verhalten belohnt als klassische soziale Medien – und warum Substack trotz Kritik an seinem Bekenntnis zur Meinungsfreiheit festhält.
Das Transkript wurde gekürzt und zur besseren Verständlichkeit leicht bearbeitet.
Yascha Mounk: Ich kenne dich als Mitgründer von Substack, aber eigentlich bist du ja gelernter Journalist. Wie landet ein netter, ehrlicher Journalist plötzlich in der Tech-Welt?
Hamish McKenzie: Der CEO von Substack ist Chris Best – mein enger Kollege und Mitgründer. Wir haben das Unternehmen im Juli 2017 gestartet, und ziemlich schnell kam dann noch ein dritter Gründer dazu: Jairaj Sethi, unser Chief Technology Officer. Meine Rolle war von Anfang an, das Ganze aus der Perspektive eines Journalisten mitzugestalten – also mit Autorinnen und Autoren zusammenzuarbeiten, Journalist:innen zu unterstützen, ihnen auf der Plattform zum Erfolg zu verhelfen und natürlich auch die Geschichte von Substack nach außen zu erzählen. Aber wie bin ich aus der Welt des Journalismus hier gelandet? Die Schuld trägt Chris. Ich mache ihn für alles verantwortlich – für die Genialität des Systemdesigns von Substack genauso wie für alles andere, was an Substack wichtig ist. Ich hatte damals gerade an einem Buch gearbeitet und nebenbei bei einer Firma namens Kik gejobbt, um meine Rechnungen zu bezahlen. Chris war einer der Gründer von Kik, und wir wurden richtig gute Freunde. Als mein Buch fertig war, war auch seine Zeit bei Kik vorbei – und er kam dann mit dieser Idee um die Ecke, die ihm nicht mehr aus dem Kopf ging. Aus der wurde später Substack.
Mounk: Was war denn die Idee damals? Eine der faszinierenden Sachen an erfolgreichen Startups ist ja, dass sie sich ständig verändern. Substack ist heute etwas ganz anderes als damals, als ich vor fünf Jahren dazugekommen bin. Trotzdem gibt es eine klare Entwicklungslinie, eine Richtung. Ich glaube, wir haben inzwischen ein Gefühl dafür, wo es in fünf Jahren stehen könnte. Aber was war der ursprüngliche Pitch? Was sollte Substack am Anfang eigentlich sein und tun?
McKenzie: Die Idee ist aus einer Art kreativer Leerlaufphase von Chris entstanden. Er wollte wieder mit dem Schreiben anfangen und hatte einen Blogpost angefangen, in dem er sich über den Zustand der Medien ausgelassen hat – vor allem darüber, wie die Anreizstrukturen sozialer Medien zu schlechten Verhaltensweisen führen. Und zwar nicht nur bei denen, die einfach nur das Social-Media-Spiel gewinnen wollen, sondern auch bei klassischen Medien, die sich diesen Mechanismen unterwerfen müssen, um überhaupt noch Aufmerksamkeit zu bekommen und ihr Geschäftsmodell zu retten. In diesem Blogpost hat Chris das alles ziemlich scharf umrissen – und dann hat er mir den Text geschickt, um Feedback zu bekommen, weil ich eben der Journalist war, den er kannte. Mein Feedback war: Die Argumente sind alle gut, aber Leute in den Medien kennen diese Probleme längst. Was sie nicht haben, ist eine produktive Lösung dafür. Ich habe ihm also vorgeschlagen, ein paar Absätze dranzuhängen, in denen er eine Alternative, einen besseren Weg skizziert.
Er hat den Blogpost dann nie zu Ende geschrieben – aber im Gespräch mit mir und durch eigenes Nachdenken kam er an den Punkt, an dem er sagte: Die Lösung liegt darin, die Leser und Abonnenten zu den Kunden zu machen – und nicht die Werbekunden. Es soll direkte Zahlungen von den Leser:innen an die Autor:innen geben, damit sich diese darauf konzentrieren, ein echtes Publikum zu bedienen, statt zu versuchen, im Algorithmus-Game von Social Media viral zu gehen. Diese Gespräche waren letztlich der Ursprung des Substack-Modells.
Am Anfang haben wir gesagt: Wir machen es einfach, ein kostenpflichtiges Publikationsformat zu starten. Manche Leute waren verwirrt – sie dachten an akademische Journale oder an Magazine. Also haben wir das Ganze vereinfacht und gesagt: Wir machen es einfach, einen kostenpflichtigen Newsletter zu starten. Die Reaktion war oft: „Wer soll denn für Newsletter zahlen?“ Es gibt so viele Inhalte kostenlos im Netz – und dazu noch richtig gute. Aber wir waren überzeugt, dass Menschen bereit sind zu zahlen, wenn sie einem Autor oder einer Autorin vertrauen, wenn sie deren Arbeit lieben. Sie würden gern zahlen. Sie wollen unterstützen. Sie wollen Teil einer Mission sein.
Mounk: Was waren denn damals die häufigsten Kritikpunkte oder der größte Skeptizismus gegenüber der Idee und eurem Geschäftsmodell, die sich heute eindeutig als falsch erwiesen haben? Und mit welchen Schwierigkeiten, auf die man euch schon damals hingewiesen hat, kämpft die Plattform womöglich immer noch?
McKenzie: Ich glaube, wir machen bei dem, was wir uns vorgenommen haben, gute Fortschritte. Eine zentrale Herausforderung war: Können wir ein Netzwerk aufbauen, das groß genug ist, damit neue Stimmen sich dort entwickeln können – und schnell genug Erfolge durch Abos erzielen, um dann ihr eigenes kleines Imperium aufzubauen? Und ich denke, das ist uns in gewissem Maß gelungen – auch wenn da noch riesiges Potenzial nach oben ist. In den Anfangstagen lautete die Standardfrage: „Wer zahlt denn bitte für kostenpflichtige Newsletter?“ Ein früheres Vorbild war Ben Thompson mit seiner Publikation Stratechery, eine Mischung aus Blog und Newsletter, für die er 100 Dollar im Jahr verlangte, wenn man alles lesen wollte. Unsere Überlegung war: Klar, damals gab es nicht viele Ben Thompsons. Aber mit einem Modell wie unserem – und mit der Nachfrage von Leser:innen, die hungrig sind nach hochwertigem, wertvollem Content und die sich mehr Nähe wünschen zu den Autor:innen, denen sie vertrauen – da lässt sich eine riesige Energie freisetzen. Und genau das hat sich bewahrheitet. Die Herausforderung jetzt ist, das Ganze weiter zu skalieren – damit es genug potenzielle Abonnenten da draußen gibt, die nur darauf warten, von neuen Publizist:innen erreicht zu werden.
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Mounk: Ich glaube, ein Zeichen dafür, dass das wirklich funktioniert hat, ist, wenn berühmte Romanautor:innen wie Elif Shafak in Großbritannien oder Sherman Alexie in den USA nach einem Kanal suchen, über den sie direkt mit ihren Leser:innen kommunizieren können. Oder wenn etablierte Journalist:innen aus ganz unterschiedlichen Gründen klassische Medien verlassen wollen – wie zuletzt Jennifer Rubin bei der Washington Post oder Paul Krugman bei der New York Times. Ich nehme an, dass die Herausforderung am Anfang darin bestand, talentierte, ernsthafte Autor:innen zu gewinnen – mit oder ohne bekannten Namen. Wie seid ihr das damals angegangen, als die Plattform noch ganz am Anfang stand?
McKenzie: Genau, wir mussten erst mal ein paar Erfolgsgeschichten vorweisen können, um anderen überhaupt die Zuversicht zu geben, dass dieses Modell für sie funktionieren könnte. Ganz am Anfang habe ich zum Beispiel einen davon überzeugt – das war Bill Bishop. Den kannte ich noch aus meiner Zeit als Reporter in Hongkong. Er war damals immer eine meiner wichtigsten Quellen für China-Themen. Ich war auch selbst Abonnent seines Newsletters Sinocism, der sich an englischsprachige Leser:innen richtet und die Beziehungen zwischen den USA und China beleuchtet.
Bill war sowieso schon an dem Punkt, wo er ein kostenpflichtiges Angebot zu seinem kostenlosen Newsletter hinzufügen wollte. Wir hatten ein gutes Verhältnis, also war es nicht allzu schwer, ihn davon zu überzeugen, das mit uns zu machen – statt sich selbst irgendwas zusammenzubasteln mit den Tools, die es damals so gab. Und als sein Start bei Substack dann direkt erfolgreich war, konnten wir zu anderen hingehen und sagen: Schaut, das hat bei Bill Bishop funktioniert – wir glauben, bei euch kann es auch klappen. Danach kamen weitere, die in der Anfangszeit erfolgreich waren. Zum Beispiel Daniel Lavery, einer der Mitgründer von The Toast, einer Kultur-Website. Komplett anders als Bill Bishop, der sich an ein Business-Publikum richtet. Laverys Zielgruppe bestand eher aus Bibliothekar:innen, die aus eigener Tasche 50 Dollar im Jahr gezahlt haben – statt das über ein Firmenkonto laufen zu lassen.
Diese frühen Erfolgsgeschichten haben wir dann genutzt, um gezielt Leute anzusprechen, die in ein ähnliches Raster passten – also Leute mit Blogger- oder Podcaster-Instinkt, die diszipliniert genug waren, regelmäßig Inhalte zu produzieren. Und wir haben versucht, mediale Aufmerksamkeit für diese Geschichten zu bekommen, damit andere auf das Modell aufmerksam werden. Es ging ja nicht nur darum, ein neues soziales Netzwerk zu starten, wo man einfach einen Button klickt und sofort Dopamin-Kicks bekommt. Wir wollten ein komplett neues Modell etablieren – und das braucht viel Erklärung, viel persönliche Betreuung, viel Überzeugungsarbeit und viele kleine Unterhaltungen.
Und genau das machen wir bis heute. Wir bauen persönliche Vertrauensbeziehungen zu den Autor:innen auf Substack auf – auch wenn dir jede Vertriebsperson sagen würde: Das ist nicht skalierbar. Aber es schafft Tiefe. Und wenn diese Leute dann wiederum ihren Kolleg:innen erzählen, wie gut ihre Erfahrungen mit Substack waren, dann stärkt das das gesamte Ökosystem.
Mounk: Hattest du das Gefühl, dass es irgendwann so einen Wendepunkt gab – so einen Moment, an dem man plötzlich gemerkt hat: Jetzt greift das alles ineinander, jetzt trägt es sich? Für mich persönlich war das so: Als ich 2020 ernsthaft darüber nachdachte, ein Magazin zu gründen, das sich für philosophisch liberale Ideen einsetzt, hatte ich im Juni noch nie von Substack gehört. Ich dachte, ich müsste vielleicht eine eigene Website aufbauen – oder eine dieser damals bekannteren Plattformen nutzen, wie etwa Patreon. Ein Freund sagte dann: „Hey, ein paar andere Freunde von mir machen gerade so eine Reihe verknüpfter Newsletter auf einer Plattform namens Substack. Ich glaube, das könnte für dich besser passen.“ Ich hatte keine Ahnung, was das war.
Ein paar Wochen später habe ich Persuasion auf Substack gestartet – und ein paar weitere Wochen später hatten wir durch Abos so viel Einkommen generiert, dass wir Personal einstellen, Redakteur:innen und Autor:innen bezahlen und das Magazin wirklich aufbauen konnten. Für mich war es also ungefähr Mitte 2020, als Substack von etwas völlig Unbekanntem zu einem zentralen Teil meines Berufslebens wurde. War das Zufall – oder gab es damals tatsächlich so einen Moment, an dem ihr in eine breitere Öffentlichkeit durchgebrochen seid?
McKenzie: Ja, es gab diesen bestimmten Moment im Jahr 2020. Wir hatten uns davor schon ein bisschen Momentum erarbeitet – durch Mundpropaganda und durch Netzwerke in der New Yorker Medienwelt, die eher unter dem Radar liefen. In bestimmten Kreisen – etwa unter Newsletter-Nerds oder bei den Urgesteinen der Blogosphäre – kannte man Substack schon, auch in Teilen von Silicon Valley. Aber wir haben uns nie lautstark vermarktet. Bis heute haben wir bei Substack keine Marketingabteilung. Wir setzen stark auf persönliche Empfehlungen – auf das Vertrauen von Kolleg:innen untereinander.
Aber 2020 hat das Ganze plötzlich Fahrt aufgenommen – durch die Pandemie. Plötzlich gab es ein gesteigertes Bedürfnis nach Sinn, nach fundierten Stimmen, nach echten Expert:innen – gerade im Bereich Gesundheit, aber auch in der Politik. Gleichzeitig saßen die Leute viel mehr zu Hause, hingen am Handy und suchten nach Lesestoff. Die Medienbranche rutschte in eine noch größere Krise als ohnehin schon: wirtschaftlich – weil Jobs verloren gingen, Zeitungen schlossen, Nachrichtenseiten dichtmachten oder stark kürzten. Aber auch kulturell war da etwas los: Es gab so eine Art manischen Moment, in dem Leute, deren Ansichten nicht mehr zu ihrer Redaktion passten, enorm unter Druck gerieten – oder sogar von ihren Chefredaktionen rausgedrängt wurden.
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Mounk: Viele Menschen, die Kolumnist:innen bei einigen der bekanntesten Zeitungen waren – und manche sind es bis heute –, haben mir sehr deutlich gesagt: Die Texte, die sie schreiben wollten, durften sie nicht schreiben. Sie durften sie nicht veröffentlichen. Ich kenne viele solcher Beispiele aus persönlichen Gesprächen. Ich werde hier keine Namen nennen, aber das sind Autor:innen, die die meisten Hörer:innen dieses Podcasts sofort kennen würden. Und es geht um Artikel, die zu jeder anderen Zeit völlig unproblematisch gewesen wären – und es auch heute noch wären. Ich glaube wirklich, dass das ein Moment war, in dem eine große Sehnsucht nach direktem, unvermitteltem Zugang zu den echten Gedanken von Autor:innen spürbar wurde. Denn gerade in dieser Zeit war besonders greifbar, wie sehr genau das in den klassischen Medien verschwunden war.
McKenzie: Ganz genau. Das war eine Phase enormen gesellschaftlichen Drucks. In diese Zeit fiel auch der Harper’s Letter, um den es online eine intensive Debatte gab. Und in genau diesem Zeitraum verließen eine Reihe prominenter Journalist:innen ihre Medienhäuser – genau zu dem Zeitpunkt, als Persuasion gegründet wurde. Andrew Sullivan, Bari Weiss, Matt Yglesias, Glenn Greenwald – sie alle kehrten renommierten Institutionen den Rücken: der New York Times, Vox, dem New York Magazine, The Intercept. Und sie kündigten an, dass sie künftig auf Substack veröffentlichen würden – um eine direkte Beziehung zu den Leser:innen zu pflegen, denen ihre Arbeit wirklich etwas bedeutet. Das war ein wichtiger Moment für Substack – auf einmal waren wir auf der großen Bühne, und immer mehr Leute hörten von uns.
Mounk: Ihr steht dabei politisch vor einer interessanten Balance. Ihr verteidigt einen Wert, der eigentlich überparteilich sein sollte – ein Wert, der in der Verfassung der Vereinigten Staaten verankert ist und der jedem Journalisten, egal welcher politischen Richtung, wichtig sein sollte: Meinungsfreiheit.
Ich finde, Substack hat diesen Wert auf beeindruckende Weise verteidigt – auch unter Angriffen. Aber der Wert selbst ist in gewisser Weise politisch geworden. Das kann sich vielleicht unter einer möglichen Trump-Regierung wieder ändern, aus offensichtlichen Gründen. Aber zumindest in den vergangenen Jahren hatte man stark das Gefühl, dass die Linke in entscheidenden Punkten das Ideal der Meinungsfreiheit aufgegeben hat – und stattdessen lieber über die Gefahren von „Misinformation“ sprach, oft mit dem Ergebnis, dass damit explizite oder implizite Zensur gerechtfertigt wurde. Mehr und mehr sind es heute liberale Abweichler wie ich, aber auch viele Konservative und sogar Leute weiter rechts, die den Wert der Meinungsfreiheit für sich beanspruchen. Was ich an Substack spannend finde: Es gibt dort wirklich Autor:innen aus dem gesamten politischen Spektrum – auch unter den prominenteren. Einige stehen deutlich weiter rechts von mir, andere deutlich weiter links. Wie schafft ihr es, beides aufrechtzuerhalten – das klare Bekenntnis zur Meinungsfreiheit, obwohl dieser Begriff inzwischen politisch aufgeladen ist, und gleichzeitig ein Ort zu bleiben, der für Menschen aller politischen Richtungen attraktiv ist?
McKenzie: Ja, und im Laufe der Jahre gab es immer wieder Kampagnen, um bestimmte Autor:innen von der Plattform zu drängen oder um uns zu zwingen, unsere Moderationspolitik zu ändern. Das ist nie einfach. Es ist ein emotional aufgeladenes Thema. Aber unsere Perspektive ist: Meinungsfreiheit und Pressefreiheit – die für mich untrennbar zusammengehören – sind Grundpfeiler einer lebendigen Kultur. Sie schützen Stimmen am Rand, sie geben den Machtlosen eine Stimme gegen die Mächtigen.
Das ist ein langfristiges Projekt. Das gewinnt man nicht mit einem Pressestatement. Auch nicht, indem man einem Shitstorm standhält – oder vor einem einknickt. Man muss diesen Wert immer wieder aktiv leben. Und das heißt: Auch ein paar Schläge einstecken. Auf Unternehmensebene ist das bei uns fest verankert – Meinungsfreiheit ist ein Kernwert. Wenn du bei uns arbeiten willst, musst du bereit sein, für Meinungsfreiheit einzustehen. Und genau das hilft uns in turbulenten Phasen – weil wir intern nicht denselben Druck verspüren wie andere Firmen, die dann in die eine oder andere Richtung kippen.
Mounk: Heißt das konkret, dass ihr im Bewerbungsprozess gezielt nach der Haltung zur Meinungsfreiheit fragt? Wenn jemand sonst ein super Kandidat ist, aber in dieser Frage eher ausweichend antwortet – würdet ihr dann zögern, die Person einzustellen? Wie stellt ihr sicher, dass diese Unternehmenskultur erhalten bleibt?
McKenzie: Es ist nicht einfach. Und je größer eine Firma wird, desto härter muss man daran arbeiten, solche Standards zu halten. Aber ja – wir fragen das ganz direkt im Bewerbungsgespräch. Zum Beispiel so: Substack steht immer wieder in der Kritik wegen seiner Zurückhaltung bei der Inhaltsmoderation. Unser Ansatz ist: so wenig Eingriff wie möglich – und ein klares Bekenntnis zur Meinungsfreiheit. Wir haben dafür ordentlich Prügel eingesteckt – vom Atlantic, von der New York Times, von so ziemlich allen. Und wenn das wieder passiert, dann wirst du von Freund:innen und Familie gefragt: Was ist da los? Warum wird Substack gerade so kritisiert? Und dann ist die Frage: Wie gehst du damit um? Kannst du das vertreten – nicht nur gegenüber deinem Umfeld, sondern auch für dich selbst? Und wenn jemand da zögert oder sich unwohl fühlt, ist das völlig okay – aber dann sagen wir: Wahrscheinlich wirst du dich bei Substack nicht wohlfühlen.
Das gibt uns ein gutes Rückgrat, wenn es mal wieder heiß hergeht. Und abgesehen davon: Wir sind keine 20-Jährigen, die mal eben ein Startup gegründet haben. Ich bin 43. Ich erinnere mich noch gut daran, wie die ACLU früher eine kompromisslose Haltung zur Meinungsfreiheit hatte – und als sehr linke, sehr liberale Organisation galt. Ich habe aber auch oft erlebt, dass Leute auf der Rechten sich heute das Label „Free Speech“ umhängen, aber es im Grunde nur als politische Waffe nutzen, um ihren Willen durchzusetzen. Deshalb hilft es, wenn das Gründerteam, das Führungsteam und die Leute im Unternehmen ein bisschen Lebenserfahrung mitbringen – und bereit sind, in stürmischen Zeiten ruhig zu bleiben.
Und dann ist da auch die Art, wie wir darüber sprechen. Wir haben unsere Prinzipien zur Inhaltsmoderation formuliert, als gerade nicht alles brannte. Wir haben erklärt: Hier ist unser Ansatz – und zwar nicht, weil wir keinerlei Verantwortung übernehmen wollen für das, was auf der Plattform passiert. Es gibt Inhaltsrichtlinien für extreme Fälle, im Einklang mit dem First Amendment. Du darfst auf Substack keine Gewalt verherrlichen, keine privaten Daten veröffentlichen (doxing), keine Spamflut auslösen und keine Pornografie posten – letzteres ist technisch gesehen kein Verstoß gegen das First Amendment, aber es verändert die Kultur einer Plattform fundamental. Wenn man das zulässt, muss man dafür ganze Strukturen und Systeme aufbauen – und wir haben daran kein Interesse. Aber diese Grundsätze in einer ruhigen Phase aufzuschreiben, war hilfreich – weil wir seitdem immer wieder darauf zurückverweisen können, gegenüber anderen, aber auch gegenüber uns selbst.
Mounk: Erklär uns mal, was genau diese Prinzipien sind. Klar ist: Es ist nicht alles erlaubt – es gibt gesetzliche Grenzen. Ihr seid beispielsweise verpflichtet, zu verhindern, dass jemand über eure Plattform Kinderpornografie verbreitet – das ist das offensichtlichste Beispiel. Aber ihr trefft ja auch bewusste Entscheidungen, etwa Pornografie im Allgemeinen zu verbannen. Was ist erlaubt, was nicht? Wie habt ihr diese Regeln festgelegt? Und wie sorgt ihr dafür, dass sie so angewandt werden, dass sich Menschen mit ganz unterschiedlichen politischen Überzeugungen fair behandelt fühlen?
McKenzie: Wir schreiben unsere Inhaltsrichtlinien und unsere Haltung zur Moderation klar auf – und dann zeigen wir durch unser Handeln, dass wir dem Druck von außen nicht einfach nachgeben. Wir hoffen, dass das ein Signal sendet: Wir wenden diese Regeln fair an. Letztes Jahr standen wir in der Kritik, weil einige Journalist:innen eine Liste von Accounts veröffentlicht haben, die angeblich rechtsextrem waren. Die Forderung war: Schmeißt die runter – und am besten gleich noch alle anderen, die sie für „schlechte Leute“ hielten. Kurz darauf ist Mehdi Hasan von MSNBC zu Substack gewechselt – und meinte, ihn habe gerade dieser kompromisslose Ansatz zur Meinungsfreiheit überzeugt, weil er wusste: Das bedeutet auch, dass pro-palästinensische Stimmen auf der Plattform nicht einfach rausgeworfen werden. Wir hoffen, dass unsere Praxis und unser Track Record zeigen: Wir ziehen das fair durch.
Aber der entscheidende Punkt ist, dass unser Geschäftsmodell andere Voraussetzungen schafft – und damit auch andere Ergebnisse, andere Verhaltensweisen, andere Inhalte. Es belohnt anderes Verhalten als Plattformen wie TikTok, Instagram, Facebook oder X.
Auf diesen anderen Plattformen wirst du dafür belohnt, dass du Leute im Feed hältst. Dass du maximale Aufmerksamkeit erzeugst, maximale Emotionen. Substack belohnt dich dafür, dass du eine vertrauenswürdige Stimme bist – dass es sich lohnt, immer wieder zu dir zurückzukehren. Selbst wenn man nicht mit allem übereinstimmt, was jemand schreibt, hat man ihn oder sie ins eigene Postfach eingeladen – das ist eine Hürde. Und wenn dieses Vertrauen enttäuscht wird, können Leute sich ganz einfach wieder abmelden. Noch konsequenter: Sie zahlen dir Geld aus eigener Tasche, weil sie sagen: Ich vertraue dir. Und dann ist es deine Verantwortung, diesem Vertrauen gerecht zu werden – immer wieder. Wenn du das Geschäftsmodell veränderst, das eine Plattform antreibt, veränderst du auch die Resultate. Du veränderst die Kultur der Plattform.
Wir haben nicht versucht, die Probleme mit Meinungsäußerung oder Verhalten, die die letzten Generationen von sozialen Medienmodellen hervorgebracht haben, durch smartere Inhaltsmoderation zu lösen. Wir haben versucht, das Problem an der Wurzel zu packen – beim Geschäftsmodell. Ich glaube, das ist der Grund, warum sich Substack wie ein ganz anderes Ökosystem anfühlt. Es wirkt anders. Die Qualität ist höher. Das Denken ist differenzierter. Die Giftigkeit ist geringer. Wir wollen nicht, dass das Ganze irgendwann in etwas abgleitet, das unproduktiv oder unfreundlich ist und Leute abschreckt. Aber ich sage auch: Man wird nie alles Schlechte ausmerzen können – nie alle schlechten Akteure, nie alle problematischen Inhalte. Wenn du jemandem irgendwo im Internet eine Veröffentlichungsplattform gibst, wird auch mal etwas Unerwünschtes passieren.
Die Herausforderung für uns ist jetzt, weiter Tools zu bauen, mit denen Nutzer:innen mehr Kontrolle über ihre eigene Erfahrung im Feed bekommen. Man kann heute blockieren und stummschalten – wie auf anderen Plattformen. Aber bei Substack kannst du auch Kommentare unter deinen Posts löschen – das ist ein echter Unterschied zu anderen sozialen Räumen. Du bestimmst die Regeln für deinen eigenen kleinen Bereich – bei jedem Beitrag, jeder kurzen Notiz. Und vielleicht stimmt es, dass wir uns das momentan nur leisten können, weil wir im Vergleich noch klein sind. Je größer wir werden, desto mehr Probleme werden wir bekommen. Das ist normal. Aber wir arbeiten daran – und wir haben große Pläne.
Ich bin aber überzeugt: Das Modell macht einen riesigen Unterschied. Es gibt dir von Anfang an einen ganz anderen Ausgangspunkt – für eine ganz andere Plattformkultur. Ich erinnere mich an Twitter, bevor es algorithmische Feeds gab. Ich erinnere mich an Instagram, bevor dort Werbung geschaltet wurde. Das waren mal richtig gute Orte. Die Leute haben Twitter 2010 geliebt. Und damals waren dort viel mehr Menschen aktiv als heute im Substack-Feed. Nicht, dass wir winzig wären – aber wir stehen erst am Anfang einer größeren Wachstumsphase für dieses Produkt.
Twitter wurde später mit Toxizität, Chaos, Belästigung assoziiert. Das meiste davon kam, als die Plattform bereits Hunderte Millionen Nutzer:innen hatte. Und es verstärkte sich nach 2016 – als die Feeds algorithmisch sortiert wurden, vor allem um Werbung zu verkaufen. Der Algorithmus dort versuchte nicht, die Zahl der bezahlten Abos zu steigern, oder tiefergehende Beziehungen zu fördern. Er wollte maximale Verweildauer – damit man möglichst viele Anzeigen sieht. Und das fällt ziemlich genau zusammen mit dem Auftritt von Donald Trump, der mit einem bestimmten Politikstil kam. Es war auch zwei Jahre nach „Gamergate“, also 2014.
Mounk: Elon Musk sagt ja das Richtige, wenn er ankündigt, dass sein Ziel bei Twitter (jetzt X) sei, die Zahl der nicht bereuten Minuten der Nutzer:innen zu maximieren. Ich muss aber ehrlich sagen: Wenn ich ausnahmsweise mal auf X schaue, habe ich nicht das Gefühl, dass der Algorithmus dieses Ziel besonders gut erfüllt – ich bekomme oft Verschwörungstheorien oder extreme Aussagen angezeigt, für die mein bisheriges Surfverhalten keinen echten Anhaltspunkt liefert.
Aber wie viel davon ist bewusste Entscheidung der Algorithmus-Designer? Ich vermute, du würdest sagen: Bei Substack Notes ist es gar nicht euer Ziel, dass die Leute möglichst lange Zeit dort verbringen. Euer Ziel ist, dass sie über Notes auf einen großartigen Essay, eine starke Fotostrecke oder andere gute Inhalte von Substack-Autor:innen stoßen – und dann idealerweise sagen: Das möchte ich regelmäßig in meinem Postfach haben. Vielleicht sogar: Dafür zahle ich gern regelmäßig Geld – wovon ihr ja 10 Prozent der Einnahmen bekommt. Ist das eine Entscheidung, die auch andere Plattformen treffen könnten? Oder sind sie in einem so anderen Geschäftsmodell verhaftet, dass sie daraus gar nichts lernen können?
McKenzie: Ja, ich glaube, man sieht schon jetzt auf gewisse Weise: Es führt tatsächlich zu einer anderen Kultur. Die Kultur im Substack-Ökosystem ist spürbar anders als die auf X oder Instagram. Wie weit sich das entwickeln lässt, werden wir sehen. Wir sind da sehr optimistisch – aber klar, man kann die Zukunft nicht vorhersagen, und es werden unerwartete Dinge passieren. Ich glaube aber: Diese anderen Plattformen sind erledigt.
Ich glaube, diese Plattformen sind in ihren Geschäftsmodellen gefangen. Solange sie sich nicht komplett vom Werbemodell verabschieden, müssen sie zwangsläufig immer mehr wie TikTok werden – das ja der absolute Meister in diesem Spiel ist. Man sieht ja, wie Facebook, Instagram und X alle versuchen, TikTok nachzueifern: mehr visuelle Inhalte, mehr Dopamin-Scrolls. Solange Werbung das zentrale Modell ist, wollen sie nicht, dass du den Feed verlässt. Genau deshalb ist es für Substack-Autor:innen heute so schwer, Leute von X auf ihre Substack-Seiten zu holen – weil X die Links unterdrückt. Und das betrifft ja nicht nur Substack – das gilt genauso für die New York Times oder jede andere externe Quelle. X hat dafür zu Recht Kritik kassiert, weil das kein Beitrag zu einer besseren Kultur ist. Aber letztlich machen sie nur dasselbe Spiel mit, das Instagram und Facebook seit Jahren spielen – weil ihr Geschäftsmodell sie dazu zwingt. Solange sie weiter auf Werbung setzen, werden diese Plattformen eine Kultur fördern, die denjenigen schadet, die den eigentlichen Wert bringen: den Autor:innen, den Kreativen – und den Menschen, die sich wirklich für deren Inhalte interessieren. Aber genau dadurch entsteht Raum – für Substack, aber auch für andere Netzwerke, die ähnlich ticken, die die Welt so sehen wie wir. Es wird nicht nur Substack sein.
Mounk: Lass uns ein bisschen breiter darüber sprechen, wie ihr bei Substack über die Weiterentwicklung der Plattform nachdenkt. Ich finde, die neue Substack-App hat es definitiv einfacher gemacht, andere spannende Stimmen zu entdecken – und auch bei unseren eigenen Inhalten merken wir, dass mehr Leute über das Substack-Ökosystem auf sie stoßen.
Natürlich gibt es auch ein gewisses Risiko, dass dieser Raum irgendwann gesättigt ist. Früher gab es nur wenige Newsletter, die meisten Menschen hatten kaum welche abonniert – da war es ein unglaubliches Privileg, direkt in ihren Posteingang zu kommen. Die traditionellen Medien hatten das nie: Man wachte morgens auf, hatte irgendeine nervige Mail von der Bank, sieben lästige E-Mails vom Job – und dann war da plötzlich ein frischer, spannender Text, den man gern gelesen hat. Also klickte man drauf. Man konkurrierte vielleicht mit fünf, sechs anderen Artikeln. Meine Öffnungsraten sind ganz gut – hoffentlich lesen mich die Leute trotzdem weiterhin. Aber wenn in ein paar Jahren noch mehr großartige Autor:innen auf Substack sind und plötzlich 20 Mails jeden Morgen im Postfach landen, dann wird es irgendwann einfach weniger effektiv. Das wäre ein Risiko durch Wachstum.
Und das andere Risiko betrifft natürlich das Geschäftsmodell. Es ist großartig zu sehen, wie viele Leute bereit sind, für gute Inhalte zu zahlen. Ich bin ihnen sehr dankbar – sie ermöglichen es mir, auf Substack zu schreiben, sie ermöglichen Persuasion, unsere Redakteur:innen, unsere Arbeit, dieses ganze tolle Ökosystem. Aber natürlich haben Menschen finanzielle Grenzen. Drei Abos auf Substack? Klar. Zehn? Wird schon schwieriger. Zwanzig? Das wird für die meisten unrealistisch – es sei denn, sie haben finanziell keinerlei Sorgen. Wie denkt ihr über diese Risiken der Sättigung nach?
McKenzie: Ich habe auf beides jeweils zwei Antworten – eine kulturelle und eine ökonomische.
Zur ersten Frage: Wenn Autor:innen auf Substack plötzlich mit vielen anderen Stimmen um Aufmerksamkeit konkurrieren müssen – dann bedeutet das kulturell gesehen: Es entsteht ein Qualitätsdruck nach oben. Und das ist gut für Leser:innen. Sie bekommen dadurch bessere Inhalte, die ihnen helfen, klüger mit ihrer Zeit und Aufmerksamkeit umzugehen. Und insgesamt hebt es das kulturelle Niveau, das produziert wird. Bei sozialen Medien ist das genau nicht der Fall. Dort ist das dominierende kulturelle Modell: Alles ist auf virale Momente ausgerichtet. Das ist die höchste Währung. Substack dagegen erzeugt einen anderen Anreiz. Der Druck auf Qualität kann für die Produzent:innen hart sein – aber für die Konsument:innen ist er ein Gewinn.
Und dann zur ökonomischen Seite: Es gibt sehr viele Menschen auf der Welt. Und die Zahlen, die jemand auf Substack erreichen muss, um finanziell erfolgreich zu sein, sind gar nicht so hoch. Wer aus der traditionellen Medienwelt kommt, denkt oft: Wenn mein Text nicht von Hunderttausenden gelesen wird, ist das ein Misserfolg – auch finanziell. Aber auf Substack reichen dir im Prinzip schon tausend Menschen, die bereit sind, dir 50 Dollar im Jahr zu zahlen – und du kannst davon leben, zumindest in den meisten Teilen der Welt.
Wenn du 2.000 Abonnent:innen hast, geht’s dir gut. Bei 10.000 bist du wohlhabend. Diese Zahlen sind – auch wenn sie Arbeit bedeuten – absolut erreichbar für Menschen, die Talent, Qualität, Disziplin und das richtige Mindset für dieses Format mitbringen. Und sie sind völlig anders als die riesigen Reichweiten, die du auf YouTube oder bei der New York Times brauchst, um wirtschaftlich überhaupt eine Chance zu haben.
Mounk: Woran arbeitet ihr sonst gerade bei der Weiterentwicklung von Substack? Wie wird sich das Substack-Erlebnis in drei oder fünf Jahren verändert haben, wenn euer Plan aufgeht?
McKenzie: Der Fünfjahreshorizont ist schwierig – vor allem, weil niemand so genau weiß, wie die KI-Revolution das ganze Feld verändern wird: Online-Inhalte, Beziehungen, kuratierte Erlebnisse. Wie die Zukunft konkret aussieht, weiß ich also nicht. Aber das Fundament bleibt bestehen: Als Autor:in besitzt du die Beziehung zu deinem Publikum. Du verdienst primär durch direkte Abos Geld. Du besitzt deine Inhalte. Du kannst sie jederzeit exportieren. Als Leser:in wählst du selbst, welche Autor:innen du unterstützen willst – und kannst jederzeit ein- und aussteigen. Die sozialen Netzwerkfunktionen von Substack werden weiter wachsen. Sie werden stärker, wertvoller – und treiben den Abo-Prozess aktiv an.
Am Anfang dachte man bei Substack ja hauptsächlich an Newsletter, meist textbasiert. Aber zunehmend wird Substack als Ort für Podcasts, Videoshows und Livetalks genutzt. Substack Live ist noch ziemlich neu, läuft aber richtig gut. Du kannst über die App ein öffentliches Gespräch führen, fast wie FaceTime – und das Ganze dann als Clip oder Podcast auf deiner Substack-Seite veröffentlichen. Ich denke, wir werden sehr viele Shows sehen, die genau das nutzen. Tim Acosta zum Beispiel ist kürzlich von CNN zu Substack gewechselt und hostet dort jetzt eine tägliche Live-Show in der App. Ich glaube, da kommt noch viel – professioneller, vielseitiger, verbreiteter. Dann gibt es noch ein Feature namens Chat – im Moment noch etwas unterschätzt, aber es funktioniert wie eine Art WhatsApp-Gruppe mit deinen Abonnent:innen. Da geht’s nicht nur um den Austausch zwischen Autor:in und Leser:in – sondern auch darum, dass sich Leser:innen untereinander vernetzen.
Du kannst diese Chats nur für zahlende Abonnent:innen öffnen – oder nur für kostenlose, ganz wie du willst. Aber diese menschliche, emotionale Verbindung ist wichtig. Genau solche Features werden mit der Zeit noch wichtiger für Substack.
Mounk: Ich bin mir sicher, dass viele, die dieses Gespräch hören oder das Transkript lesen, selbst schon Substack-Creator:innen sind – oder jetzt nach diesem Gespräch überlegen, den Schritt zu wagen. Was ich nur empfehlen kann. Welche Tipps gibst du Menschen, die auf Substack loslegen oder besser werden wollen? Natürlich gibt es viele verschiedene Wege, auf Substack präsent zu sein. Vielleicht gehen wir mal davon aus, dass es hauptsächlich ums Schreiben geht – aber du kannst gern auch andere Formen von Kreativität einbeziehen, die auf der Plattform Platz finden.
McKenzie: Ich glaube, es gibt drei wesentliche Elemente für eine erfolgreiche Präsenz auf Substack: Erstens die Qualität deiner Gedanken – also: Denkst du wirklich darüber nach, was du veröffentlichst? Hast du eine Stimme, die klar deine ist? Hast du eine bestimmte Sicht auf die Welt? Das muss nicht zwangsläufig eine starke ideologische Haltung sein – auch wenn das manchmal hilft. Aber es sollte eine Perspektive sein, durch die du die Welt betrachtest – und durch die andere Menschen die Welt durch dich sehen können.
Diese Dinge sind das Fundament – und darauf solltest du dich wirklich einlassen. Versuch nicht, einfach nur zu imitieren, wie Inhalte früher in klassischen Medien produziert wurden. Du musst keine perfekt geschriebene Kolumne oder einen übermäßig polierten Essay abliefern. Dafür ist auf Substack Platz, klar – aber es sollte nicht alles sein. Die Leute wollen wissen, dass da ein Mensch mit einer echten Stimme schreibt. Diese Art von Nähe ist kein Fehler, sondern eine Stärke der Plattform.
Der zweite Punkt: Du musst konstant präsent sein. Immer wieder auftauchen. Du bist in einer Beziehung – ein Abo ist Ausdruck genau davon. Und eine Beziehung lebt davon, dass man sich zeigt. Vielleicht willst du nur zweimal im Jahr mit einem echten Kracher auftauchen – einem riesigen Essay oder einer sechsstündigen Show. Okay. Aber das verändert die Beziehung zu deinem Publikum. Vielleicht sind die Leute dann weniger bereit, dafür zu zahlen.
Und dann noch was: Wenn du gerade erst loslegst, solltest du nicht überoptimieren. Fang einfach an. Komm in Bewegung. Veröffentliche Dinge. Hör zu, was zurückkommt – auch wenn dein Publikum am Anfang noch klein ist. So findest du deinen Rhythmus. Deine Stimme. Du merkst, was bei anderen ankommt. Aber: Pass deine Inhalte nicht automatisch dem an, was kurzfristig am besten funktioniert. Beobachte, wie etwas ankommt – und frag dich gleichzeitig, wie sich das für dich anfühlt. Könntest du diesen Stil, diese Art von Arbeit über längere Zeit durchziehen? Genau diese Mischung ist wichtig – und hat einen riesigen Einfluss darauf, ob Substack für dich funktioniert oder nicht.
Mounk: Ich glaube auch, dass etwas, das auf Substack oft besonders gut funktioniert – und das ist auch das Herzstück von Persuasion und meiner eigenen Texte – darin besteht, den Menschen eine klare Perspektive anzubieten, durch die sie die Welt betrachten können. Das können ganz verschiedene Perspektiven sein – nicht nur die, die mir politisch sympathisch sind. Aber es geht darum zu sagen: In dieser durchgeknallten Welt bekommst du hier einen Standpunkt, der konsistent ist. Vielleicht teilst du ihn, vielleicht findest du ihn einfach nur interessant – aber du weißt, was du bekommst.
Natürlich gibt es die Sorge – du hast sie selbst schon angedeutet – dass Substack dadurch zu einer Ansammlung ideologischer Inseln werden könnte, auf denen Leute nur noch ihre eigene Weltsicht pflegen. Aber es gibt auch viele Substacks, die ich lese, die gar keine politische oder ideologische Ausrichtung haben – dafür aber einen ganz klaren Ton.
Einer meiner Lieblings-Autoren dort ist Shalom Auslander – der hat auch schon mal bei Persuasion mitgeschrieben. Sein Stil ist trocken, wütend, aber gleichzeitig sehr witzig. Ich wüsste nicht mal genau, wie seine politische Haltung aussieht – aber ich weiß ganz genau, wie es sich anfühlt, ihn zu lesen. Ist das, was du meinst, vergleichbar mit einem Stand-up-Comedian? Wenn der auf die Bühne kommt, sollte das Publikum sofort ein Gefühl dafür bekommen: Ist das der fröhliche Typ, der sich über alles wundert? Der Wütende, der sich über alles aufregt? Der Neurotiker, der seine Ängste teilt? Welche Formen kann so eine „Weltsicht“ eigentlich noch annehmen – abseits einer klaren Ideologie mit berechenbaren Koordinaten?
McKenzie: Ich liebe das. Ich liebe diese Haltung. Ja, das ist es zu 100 %. So in etwa: Ich bin der Typ mit den vernünftigen Perspektiven, der lange, durchdachte Beiträge aus allen Blickwinkeln schreibt – und genau deshalb kommst du zu mir. Oder: Ich bin der Typ, der Feuerbälle wirft – auf die Leute, die ich mir an dem Tag als Gegner ausgesucht habe. Das ist dann voller Hitze und Wut, aber macht auch Spaß. Und genau deshalb kommen meine Leser:innen an dem Tag. Oder ich schreibe Lyrik. Und manchmal ist das ziemlich abstrakt, aber es bringt dich zum Innehalten. Es verschafft dir so eine Art intellektuelle Atempause im Alltag, die sich langsam in dein Bewusstsein einsickert und dich begleitet.
Ich liebe dieses Bild von „Haltung“. Ich werde das klauen und ab jetzt selber verwenden. Aber ich glaube, ein weiterer, oft unterschätzter Schlüssel – der auch stark mit dieser Haltung zusammenhängt – ist Mut. Je mehr du Mut zeigst, desto mehr wirst du in diesem Modell belohnt. Ich hab mal gesehen, wie jemand eine kurze Notiz auf dem Substack-Feed gepostet hat, sinngemäß: Je öfter ich auf Twitter meine eigene Bubble kritisiere, desto mehr Follower verliere ich. Aber wenn ich dasselbe auf Substack tue, gewinne ich neue Abonnent:innen. Ich glaube, die Leute suchen nach durchdachten Perspektiven, nach Stimmen, die Dinge hinterfragen – und genau das wird in einem Abo-Modell belohnt, das auf Vertrauen und Integrität basiert, nicht auf kurzfristigem Gewinnen.
Mounk: Wie sollten Leute denn darüber nachdenken, wie regelmäßig sie veröffentlichen? Muss es wöchentlich sein? Muss man einen bestimmten Rhythmus haben?
McKenzie: Wir haben uns die Daten zu Öffnungsraten und Timings angeschaut – aber wir konnten da keine wirklich klaren Muster erkennen. Ich glaube, du solltest das an dein Publikum anpassen. Vielleicht willst du Leute erreichen, die in Tech-Firmen arbeiten und um fünf Feierabend machen – dann ist eine Abendausgabe vielleicht genau richtig. Oder du willst die Bürokrat:innen in Washington ansprechen, die sich den ganzen Tag mit China beschäftigen und morgens um sechs eine Übersicht über die wichtigsten China-News lesen wollen. Also ich denke: Es gibt da keine allgemeingültige Antwort. Wir haben jedenfalls keine überzeugenden Daten, die auf irgendein klares Muster hindeuten.
Mounk: Interessant. Du sagst also: Wenn dein Nutzenversprechen lautet „Ich sage dir, was heute in Washington passiert“ – dann willst du wahrscheinlich um 6 Uhr morgens im Posteingang sein. Ein Freund von mir hat einen Substack, in dem es um Kunst und Kultur am Wochenende in San Francisco geht – da wäre es vielleicht klüger, am Donnerstagnachmittag zu erscheinen, wenn die Leute anfangen, das Wochenende zu planen. Aber wenn es keinen konkreten Grund wie diesen gibt, sagst du: Veröffentliche einfach, wann es dir passt – das spielt keine große Rolle.
McKenzie: Genau. Oder: Spiel einfach selbst ein bisschen damit herum. Probier aus, was für dein Publikum funktioniert – und was für dich selbst praktikabel ist.
Ben Smith, früher Medienkolumnist bei der New York Times und davor Chefredakteur bei BuzzFeed, ist heute Mitgründer von Semafor. Der hat zum Beispiel immer lieber am Sonntagabend veröffentlicht – weil die Leute da oft Leerlauf haben, in Leselaune sind, aber nicht von den üblichen Quellen mit Inhalten überflutet werden. Das ist ein guter Moment, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich denke, du solltest das an dich und dein Publikum anpassen – und dich nicht zu sehr in Optimierungsfragen verheddern. Es sei denn, es gibt einen ganz klaren Grund.
Zu deiner zweiten Frage – da geht es wirklich um Balance. Das ist vielleicht keine besonders aufregende Antwort, aber eine deiner Aufgaben als Kurator:in, Redakteur:in, Autor:in oder Produzent:in in einer Welt, die vollgestopft ist mit Content und Dopamin-Kicks, ist es, den Menschen zu helfen, ihre Aufmerksamkeit sinnvoll einzusetzen. Das heißt: keine Content-Flut, kein Schrott. Die Leute sollen wissen, dass das, was sie bekommen, einen Wert hat – selbst wenn es nur eine kurze, spontane Beobachtung zu etwas ist, das gerade in den Nachrichten passiert ist. Du solltest ihre Aufmerksamkeit wertschätzen – und respektieren.
Und manchmal bedeutet das auch: Heute habe ich nichts Wichtiges zu sagen. Ich nehme mir diesen Tag frei. Auch das ist Teil meines Services hier. Beim direkten Abo-Modell bist du in einer Beziehung – und du willst schon in gewisser Regelmäßigkeit im Kopf der Leute präsent sein. Einmal pro Woche ist für die meisten sinnvoll – einfach, damit man im Kontakt bleibt, diese Beziehungsroutine aufrechterhält. Wenn du kostenlose und bezahlte Inhalte anbietest, willst du vielleicht zwei- oder dreimal pro Woche erscheinen. Also: Es ist eine Balance.
Es gibt aber auch Menschen, die nur gelegentlich auftauchen – und trotzdem sehr erfolgreich sind. Weil sie eine Art Fangemeinde haben, die ihre Arbeit und ihre Mission wirklich unterstützen will, ohne zu erwarten, dass sie jeden Tag oder jede Woche liefern. Ein Beispiel ist Rayne Fisher-Quann – eine junge Essayistin. Sie veröffentlicht vielleicht alle paar Monate einen langen, durchdachten Text, hält aber Kontakt zur Community über Kommentare oder den Chat. Ihre Leser:innen freuen sich, Mäzen:innen zu sein – nicht nur für sich selbst, sondern für alle. Sie wollen, dass diese Arbeit weiterlebt, ohne zu verlangen, dass sie ihren Stil überstrapaziert und dauernd präsent ist.
Mounk: Vielleicht führt das zu einer größeren Frage: Ich will nicht alles zu strikt in zwei Kategorien teilen, aber es gibt zwei Modelle, wie man auf Substack bezahlte Abos generieren kann. Das eine ist ein ganz klarer Nutzenversprechen – viele business-orientierte Substacks funktionieren so. So nach dem Motto: Ich helfe dir bei deinen Entscheidungen im Markt – und dafür verlange ich Geld. Wenn du dann überlegst, ob du dein Abo verlängerst, stellst du dir die Frage: Hat sich das finanziell für mich gelohnt?
Das andere Modell ist eher wie eine politische Spende oder ein Mäzenatentum. Da sagen die Leute: Diese Stimme ist wichtig. Diese Perspektive kommt in den Medien zu kurz. Ich möchte, dass das existiert – dass diese Person schreiben, gestalten, arbeiten kann. Und ich will Teil dieser Unterstützung sein. Vermutlich führen diese beiden Modelle auch zu sehr unterschiedlichen Beziehungen zwischen Autor:innen und Publikum.
McKenzie: Ja, ich denke, bei der zweiten Gruppe geht’s stark um „Übereinstimmung mit der Mission“. Die Leute unterstützen die Mission. Sie glauben an diese Arbeit, halten sie für wichtig – und sie wollen, dass sie nicht nur für sie selbst existiert, sondern für alle. Und das ist ein unglaublich erfolgreiches Modell.
Ein Beispiel: Heather Cox Richardson. Sie gehört zu den Substack-Autor:innen mit den höchsten Einnahmen. Sie schreibt tägliche Briefe über Politik und Nachrichten – aus einer gemäßigt demokratischen Perspektive, so in Richtung Joe Biden. Aber in einem ruhigen, geschichtsbewussten Ton. Sie ist politische Historikerin. Sie veröffentlicht auf Substack exakt denselben Inhalt wie auf Facebook. Und alles ist kostenlos. Auf beiden Plattformen.
Und trotzdem entscheiden sich viele, sie auf Substack zu abonnieren – weil sie den Inhalt direkt ins Postfach bekommen wollen. Und weil sie ihr dankbar sind. Dankbar für diese Art von Arbeit. Und sie wollen, dass das weitergeht. Für andere. Obwohl alle Inhalte kostenlos sind, zahlen sie gern. Das Abo bringt nur einen Vorteil: Man darf kommentieren. Sonst nichts. Und trotzdem verdient sie damit Millionen pro Jahr.
Ich finde dieses Modell der „Übereinstimmung mit der Mission“ extrem stark. Es gibt davon viele Spielarten – von ganz dezent bis sehr intensiv. Manche Leute brauchen nur den kleinsten Vorwand, um sich selbst zu sagen: „Ich bekomme hier ja auch einen Mehrwert“ – zum Beispiel durch ein bisschen exklusiven Content oder das Kommentieren. Aber in Wirklichkeit zahlen sie für die Mission.
Mounk: Du warst extrem großzügig mit deiner Zeit – danke dir. Eine letzte Frage noch, die zurückgeht zu deinem Punkt, dass Schreiben (und andere Inhalte) auf Substack sich ein bisschen von traditionellen Medien unterscheiden. Ich selbst experimentiere noch mit den Freiheiten, die Substack bietet. Eine meiner Spielwiesen ist eine Reihe von Essays, die ich Observations nenne. Andere haben das auch gemacht – ich hab’s mir von ihnen abgeschaut.
Als ich im September letzten Jahres für eine Konferenz in Festlandchina war, hatte ich nicht das Gefühl, genug gelernt zu haben, um einen klassischen Essay über China zu schreiben. Das wäre überheblich gewesen. Aber ich hatte 23 Beobachtungen im Kopf – Dinge, die ich einem Freund beim Bier nach der Rückkehr erzählt hätte. Und ich dachte: Warum schreibe ich nicht genau das auf? 23 überlegte, verantwortbare Beobachtungen – die aber keine einheitliche These ergeben. Kein klassischer Essay, wie man ihn bei traditionellen Medien untergebracht hätte. Denn da hätten die Leute gesagt: Wer ist dieser Typ? Warum serviert der mir eine Liste willkürlicher Eindrücke? Was soll das für ein Genre sein?
Aber auf der eigenen Plattform, für die eigenen Leser:innen – da funktioniert das. Das ist eine Form, mit der ich gerade spiele. Erzähl mal, wie man diese Freiheit auf Substack am besten ausnutzen kann.
McKenzie: Ich liebe solche Modelle. Denn da entstehen ganz neue Formen von Inhalten – und manchmal sogar ganze Businesses, die es sonst nie gegeben hätte.
Sie schaffen Freiräume – für etablierte Akteur:innen genauso wie für Menschen, die nie in klassischen Institutionen angekommen wären und jetzt ihre ersten Schritte in der Welt des Publizierens machen. Wie man das nutzt? Ich glaube, auch hier ist wieder Mut entscheidend. Die Menschen, die sich für deinen Newsletter angemeldet haben, sagen damit: „Ich mag dich. Ich will von dir hören.“ Und sie sind bereit, dir zuzuhören – auch wenn du mal etwas Neues probierst oder mit anderen Formaten spielst. Deshalb ist „nicht überdenken“ so eine wichtige Eigenschaft in diesem Modell. Du solltest diese Freiheit wirklich genießen. Probier dich aus. Schau, was zurückkommt – wie du dich dabei fühlst. So findest du raus, was bei dir hängenbleibt, was funktioniert. Und vielleicht bringt dich das an Orte, von denen du nie gedacht hättest, dass du sie mal betrittst.
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Dieses Transkript wurde mit Hilfe von KI übersetzt und von Niya Krasteva redigiert.
Ist nichts zur Sache, aber dennoch: Muss das mit dem Gendern sein?
Ich zumindest kann mir noch immer vorstellen, dass wenn von Autoren bei Substack die Rede ist, auch Frauen dabei sind. Offenbar müssen andere Menschen auf diesen naheliegenden Sachverhalt durch die Endung :innen extra hingewiesen werden. Vermutlich Menschen, die Frauen wenig zutrauen. Wenn das irgendwann selbstverständlich ist, dass Frauen auch schreiben, kann das :innen ja wieder wegfallen, oder?