Lulu Meservey über den Wandel der Medien
Yascha Mounk und Lulu Meservey sprechen außerdem darüber, was das für Kommunikationsstrategien bedeutet.
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Lulu Cheng Meservey ist Gründerin von Rostra, Verfechterin des „Going direct“-Ansatzes und Autorin des Newsletters Flack.
In dieser Woche sprechen Yascha Mounk und Lulu Meservey darüber, warum das traditionelle Kommunikationshandbuch nicht mehr funktioniert, weshalb so viele Politiker im Fernsehen einen schlechten Eindruck machen – und was eine gute Führungspersönlichkeit ausmacht.
Das Transkript wurde gekürzt und zur besseren Verständlichkeit leicht bearbeitet.
Yascha Mounk: Ich folge dir schon seit Langem online – du hast, früher als viele andere, verstanden, dass das altmodische Kommunikationshandbuch heute nicht mehr funktioniert, weil auch die alte Medienstruktur nicht mehr existiert. Vielleicht sollten wir einen Schritt zurückgehen. Was hätte jemand, der damals an der Spitze des Kommunikationsgeschäfts stand, einem Unternehmen vor 20 oder 25 Jahren geraten, wenn es ein großes neues Produkt auf den Markt brachte oder mit einer kritischen Mediengeschichte umgehen musste? Was wäre damals der Ratschlag gewesen, was man in so einer Situation tun sollte?
Lulu Meservey: Damals war Kommunikation sehr zentralisiert. Man hört Leute nostalgisch sagen, es habe nur drei TV-Sender gegeben – das liegt zwar schon länger als 25 Jahre zurück, aber trotzdem: Es gab deutlich weniger Fernsehsender und deutlich weniger Online-Kanäle. YouTube war noch nicht das, was es heute ist. Twitter auch nicht. Also musste man zu den Gatekeepern gehen. Das Spiel bestand darin: Wenn man die Gatekeeper (Torwächter) für sich gewinnen konnte – also jene, die das Publikum hatten –, dann konnte man sich gewissermaßen für einen Moment deren Publikum „leihen“, während sie diesem etwas Gutes über einen erzählten. Sie hatten die Menschen, die Gefolgschaft, das Vertrauen. Das Ziel war, diese zehn Leute zu finden, sie auf seine Seite zu ziehen – und dann würden sie einen dem Publikum gegenüber empfehlen.
Mounk: Also isst man zu Mittag und zu Abend mit dem zuständigen Reporter, dem Kolumnisten der New York Times und all diesen klassischen Journalisten – und hofft, dass sie die eigene Geschichte erzählen.
Meservey: Genau. Und selbst heute, wenn man mit Leuten spricht, die sozusagen die éminence grise – und ich meine das respektvoll – der PR-Welt sind, die jeden kennen und das seit Ewigkeiten machen, ist ihr Standardmanöver immer noch, mit den Redakteuren Wein trinken zu gehen oder einen Termin beim Editorial Board zu bekommen. Ich habe dabei etwas kennengelernt, das sich „desk sides“ nennt – offenbar kommt das daher, dass man einfach am Schreibtisch eines Journalisten auftaucht und versucht, sich mit ihm anzufreunden. Heute läuft es so, dass dein „Handler“ dich herumführt und du all diese Leute triffst, um dir ihre Sympathie zu verdienen.
Mounk: Hm, interessant. Obwohl das in einer anderen Medienlandschaft durchaus effektiv war – warum glaubst du, dass es das heute nicht mehr ist? Wenn man ein Produkt auf den Markt bringt, das eigene Startup bekannter machen oder Aufmerksamkeit erzeugen will, wäre es doch nach wie vor nützlich, eine wohlwollende Erwähnung seines Produkts oder Unternehmens in der New York Times zu bekommen. Das sollte doch immer noch einen Unterschied machen. Warum ist das heute im Großen und Ganzen nicht mehr die Art von Spiel, die man spielen sollte?
Meservey: Nun ja, zunächst einmal ist das natürlich ein „nice-to-have“. Es ist immer besser, Leute auf seiner Seite zu haben, als nicht. Und Freunde zu haben, ist immer besser, als keine zu haben. Ich gehöre nicht zu denen, die sagen, die New York Times sei völlig irrelevant. Es gibt schon eine gewisse Relevanz – vor allem bei bestimmten Zielgruppen. Wenn man zum Beispiel an die Regierung verkauft oder kurz vor einem Börsengang steht, dann spielt sie sicher eine Rolle. Man muss diese Brücken also nicht abbrechen, um etwas anderes zu tun.
Aber das „etwas andere“, über das wir gleich sprechen, ist wesentlich wirkungsvoller. Dieses „etwas andere“ ist heute dezentralisiert – es geht direkt von dir zu vielen. Es gibt zwar immer noch Menschen in deinem Publikum, die einflussreicher sind als andere – Influencer, Creator oder einfach Personen, deren Stimme Gewicht hat –, aber es gibt viel mehr von ihnen als noch vor 25 Jahren oder selbst vor zehn. Kommunikation ist also dezentraler geworden: von „einem zu vielen“.
Sie hängt heute viel stärker von Vertrauen und Glaubwürdigkeit ab als früher. Früher reichte es, eine Person zu überzeugen – sie vertraute dir und empfahl dich weiter. Heute musst du dieses Vertrauen ständig und in vielen verschiedenen Kreisen immer wieder neu verdienen. Und schließlich: Es taucht zunehmend dieser ganze KI-Müll auf, der sowohl von Menschen als auch von Unternehmen produziert wird. Man sieht Firmen Dinge veröffentlichen, die sich kaum von ChatGPT in der Version 3.5 unterscheiden – und das reicht einfach nicht mehr. Die Messlatte, um durchzudringen, und die Messlatte für Qualität liegen deutlich höher.
Apropos „viele zu viele“: Ein wichtiger Punkt ist, dass heute nicht mehr nur eine Person für das ganze Unternehmen spricht. Es ist nicht mehr nur der CEO, der das Unternehmen repräsentiert, oder der Kandidat, der für die Kampagne spricht. Jetzt melden sich auch Mitarbeiter zu Wort – Angestellte der Kampagne oder Menschen, die zu dieser politischen Bewegung gehören. Es ist wirklich ein „viele, viele, viele-zu-vielen“-System, in dem manchmal die Stimmen der Mitarbeiter sogar wichtiger sind als das, was der CEO sagt.
Zum Beispiel äußern sich Angestellte über Arbeitsbedingungen, Zweifel am Unternehmen oder sie sprechen als unzufriedene Ex-Mitarbeiter. Was sie sagen, kann viel größere Wirkung entfalten als eine Pressemitteilung oder eine Unternehmensankündigung. Wenn du also CEO bist, musst du wissen, dass du Dutzende oder Hunderte von alternativen Sprechern in deinem Unternehmen hast – und sie müssen alle auf Linie sein. Es ist nicht mehr so, dass du für alle sprichst und der Rest schweigt.
Mounk: Ja, das erinnert mich an ein Buch von Clay Shirky, das schon eine ganze Weile her ist. Darin unterscheidet er zwischen einer Welt der Einer-zu-vielen-Kommunikation und der Welt, in der wir heute leben – der Viele-zu-viele-Kommunikation. In der alten Welt gab es schlicht nicht viele Menschen, die ein großes Publikum erreichen konnten. Wenn man also ein großes Publikum erreichen wollte, war man praktisch auf diese „desk sides“, Mittagessen und Abendessen angewiesen – weil die Zahl derjenigen, die sagen konnten „Hey, das ist ein großartiges neues Tech-Produkt“, auf den Technikredakteur der New York Times, von Wired oder vielleicht 60 Minutes beschränkt war. Wenn man keinen von ihnen für sich gewinnen konnte, blieb nur Mundpropaganda.
Für manche Produkte mag Mundpropaganda funktionieren – wenn sie so überzeugend oder süchtig machend sind, dass sie sich von selbst viral verbreiten, sobald man sie hundert Leuten gibt. Aber das gilt nur für eine begrenzte Zahl solcher Produkte.
Heute leben wir in einer Welt der Viele-zu-viele-Kommunikation, in der die Zahl der Menschen, die ein großes Publikum erreichen können, enorm gewachsen ist – zum einen, weil viele Leute eine beträchtliche Social-Media-Reichweite haben, und zum anderen, weil man Inhalte schaffen kann, die viral gehen. Diese gesamte Mundpropaganda findet nun auf Social-Media-Plattformen statt. Sie muss nicht mehr von Angesicht zu Angesicht passieren – und genau dadurch entstehen neue Kommunikationswege.
Meservey: Ich glaube, der bequeme Weg, an die Sache heranzugehen, ist zu sagen: Es ist gar nicht so wichtig, wie interessant wir sind – Hauptsache, wir schaffen es irgendwie vor die Leute. Sie lesen das Wall Street Journal, also werden wir über unsere Kontakte irgendwie dort hineinkommen. Dann zwingen wir ihnen unsere Neuigkeiten gewissermaßen auf – ohne ihr Einverständnis – und sie werden das schon mögen. Das ist natürlich eine Karikatur, aber es beschreibt die extreme Form von Bequemlichkeit: Man bemüht sich nicht, wirklich interessant zu sein. Man sagt einfach: Wir haben Neuigkeiten, und wir werden sie in euren Feed oder in eure Zeitung drücken.
Der andere Weg – der meiner Meinung nach viel besser ist – ist schwieriger. Man muss sich selbst herausfordern, so faszinierend zu sein und seine Nachricht so packend zu gestalten, dass man sie zehn Leuten zuflüstern könnte – und jeder dieser zehn würde gar nicht anders können, als sie wiederum zehn weiteren zu erzählen, und so weiter. Wenn man also die zusätzliche Arbeit gleich zu Beginn investiert, verschafft man seiner Botschaft gewissermaßen einen Multiplikator oder Hebel. Mathematisch gesehen steht man offensichtlich besser da, wenn jede einzelne Person Lust hat, die Botschaft weiterzugeben, als wenn man nur fünf Leute erreicht, die wiederum ein paar andere informieren. Das ist deutlich wirkungsvoller, als wenn man anfangs tausend Menschen erreicht, deren Interesse aber sofort wieder verpufft, weil das Ganze schlicht langweilig ist.
Mounk: Ich glaube, die meisten Menschen unterschätzen, wie wichtig es ist, die richtige virale Botschaft zu haben – und überschätzen, wie wichtig es ist, sie auf die richtige Weise zu vermitteln oder den richtigen Rat dazu zu bekommen. Ich denke da an Momente, in denen ich selbst Bücher veröffentlicht habe – und das haben mir Freunde ähnlich erzählt: Wenn man ein Buch veröffentlicht, das aus irgendeinem Grund genau in den Zeitgeist trifft, das also eine Botschaft enthält, die die Leute ohnehin hören wollen, dann liegt der Erfolg meist genau daran. Und das ist, ehrlich gesagt, ein bisschen ernüchternd.
Man denkt dann schnell, dass die eigene PR-Person – oder meist der Marketingverantwortliche des Verlags – großartig ist, weil sie einen in all diese tollen Shows bringen und so vieles für einen möglich machen. Wenn man aber ein Buch hat, das vielleicht gut, vielleicht sogar interessanter ist, aber eben kein „Product-Market-Fit“ hat – also nicht in den Moment passt, nicht das trifft, was die Leute gerade hören wollen oder was Produzenten suchen –, wird man schnell frustriert mit seiner PR- oder Marketingperson. Dann heißt es: „Die letzte war viel besser. Sie hat mich in jede Show gebracht, und diese hier schafft das nicht – sie hat wohl schlechtere Kontakte oder arbeitet weniger.“
In Wirklichkeit gibt es sicher Unterschiede zwischen guten und weniger guten Leuten, aber oft liegt es gar nicht an der Person. Manchmal ist es dieselbe Person, die genau dasselbe tut. Der Unterschied liegt im Produkt – und darin, ob die Botschaft gerade auf Nachfrage stößt.
Meservey: Ich würde sagen, wer auf einen zugeht oder welches Medium man wählt – also in welchen Shows man auftritt oder welche Tweets man schreibt –, das alles spielt schon eine Rolle. Es ist nicht irrelevant. Aber ihre Bedeutung verblasst völlig im Vergleich dazu, wie interessant die Botschaft selbst ist. Die meisten Menschen denken zu wenig darüber nach, wie sie sich selbst interessant und relevant für andere machen können.
Die Herausforderung wäre: Kannst du das so beschreiben, dass jemand, der es hört, es abends beim Abendessen seiner Familie weitererzählt? Dass er weiß, wie er es beschreiben soll – und Lust hat, es zu erwähnen? Wenn nicht, hast du den Test nicht bestanden. Wenn niemand es weitergeben will, wenn sie nicht wissen, wie sie darüber sprechen sollen – hast du den Test nicht bestanden. Du erreichst vielleicht beim ersten Schuss ein paar Leute, drängst dich in ihren Feed, zwingst sie, es anzusehen, vielleicht sogar indem du sie austrickst, während sie scrollen – aber danach verpufft alles.
Das ist echte Bequemlichkeit: sich nur auf das Medium zu konzentrieren – etwa „komme ich in die Show?“ – und dann in der Show etwas so Belangloses und Farbloses zu sagen, dass niemand je wieder darüber sprechen will. Das gilt für Bücher, Ideen, Unternehmen, Produktlaunches – für alles.
Mounk: Weil du davon sprichst, was man in der Show sagt – ich habe festgestellt, dass mir die wenigen Male, in denen ich Medientraining hatte, nicht wirklich das richtige beigebracht wurde. Im Grunde lautete der Rat: Geh in die Sendung mit drei Punkten, die du unbedingt machen willst – und egal was passiert, bring diese Punkte unter. Sei extrem diszipliniert darin, sie einzubauen. Du hast also einen Schlachtplan für das Gespräch, dessen einziges Ziel es ist, diese Punkte loszuwerden.
Ich denke, es hängt etwas davon ab, was man erreichen will. Wenn man ein Produkt auf den Markt bringt, verstehe ich das – der Verkaufstag steht fest, und egal was passiert, dieser Punkt muss rüberkommen. Oder wenn es ein bestimmtes Verkaufsargument gibt, das unbedingt erwähnt werden muss – okay. Für meine Zwecke, wenn ich ein Buch verkaufen will oder möchte, dass Leute zahlende Abonnenten meines Substack werden – klar, das ergibt auch Sinn.
Aber ich merke: Wenn ich mich zu sehr darauf konzentriere, meine Punkte rüberzubringen, werde ich unauthentisch. Ich wirke irgendwie komisch. Selbst wenn man es einigermaßen elegant oder subtil macht – die Leute spüren, dass man das Gespräch auf seine Botschaft zurücklenken will. Der Gesprächspartner denkt dann wahrscheinlich: „Dieser Gast ist nicht besonders gut – er beantwortet meine Fragen gar nicht, sondern bringt nur seine Stichpunkte.“
Findest du, dass das eine dieser konventionellen Weisheiten ist, die man infrage stellen sollte? Sollte man bei seinen Punkten bleiben – oder lieber authentischer sein?
Meservey: Die meisten Menschen sind übertrainiert für Medienauftritte. Was dabei passiert, ist nicht, dass man ihnen Raffinesse antrainiert, sondern dass man ihnen Persönlichkeit abtrainiert – und ihre Kanten. Ich halte nichts davon, jemanden zu stark medientrainingstechnisch zu schleifen, denn die Ausstrahlung einer Person ist weit wichtiger als die genauen Worte, die sie sagt. Menschen behalten den Eindruck einer Person.
Laut manchen Studien basiert über 90 % dieses Eindrucks auf Ausstrahlung, Körperhaltung, Stimme, Tonfall und Erscheinung – nicht auf den eigentlichen Worten. Wenn man also seine Ausstrahlung, Persönlichkeit und Energie opfern muss, um die „richtigen“ Worte zu sagen, ist das ein katastrophaler Tausch. Vielleicht gibt es fünfzig Menschen auf der Welt, die diesen Tausch nicht eingehen müssen – sagen wir in Amerika: Bill Clinton, Barack Obama, vielleicht Donald Trump oder Pete Buttigieg – Menschen mit dem außergewöhnlichen Talent, ihre Punkte einzubauen und dabei natürlich zu wirken. Für sie ist das kein Widerspruch.
Für die große Mehrheit aber ist es einer – und man muss sehr vorsichtig sein, wie viel man davon opfert. Man darf auch nicht vergessen: In den meisten Fällen ist das Produkt die Person. Wenn du dein Buch oder deinen Substack bewirbst, dann bist du das Produkt – nicht das einzelne Buch oder der einzelne Text, sondern deine Gedanken und du selbst als Persönlichkeit.
Zum Beispiel: Bei Bari Weiss und The Free Press – die ja jetzt zu CBS geht – beruhte die Glaubwürdigkeit des Mediums im Wesentlichen darauf, ob man Bari mochte oder ihr vertraute. Sie war das Gesicht, das Produkt. Es gibt viele, die Bari Weiss nicht ausstehen können, aber ich kenne niemanden, der sie hasst und gleichzeitig The Free Press liebt.
Du repräsentierst das Produkt, du repräsentierst das Unternehmen. Wenn du also unbeholfen und unauthentisch wirkst, wirft das einen Schatten auf die ganze Marke. Einer meiner Lieblingsmenschen in der Tech-Welt ist Scott Wu, der Leiter eines Unternehmens namens Cognition, das einen Coding-Agent entwickelt hat. Er ist jemand, der sich am wohlsten vor einem Computer fühlt, kein geborener Selbstdarsteller. Trotzdem geht er in Podcasts, weil er den Leuten ihr Produkt Devin vorstellen will. Und das beste Feedback, das er je bekam, war zu einer Folge, die er völlig übermüdet, unvorbereitet, etwas ungeduldig und sehr roh aufgenommen hat. Die Leute liebten es, weil es das Authentischste war, was sie je von Scott gehört hatten. Wenn man ihn privat trifft, ist er großartig – aber vor der Kamera wirkt er sonst meist etwas steif.
Mounk: Das war der Rat, den ich vor meinem allerersten Fernsehinterview bekam – es war bei CNN, ausgerechnet über Doping. Jemand sagte mir: Wenn du im Fernsehen gut sein willst, musst du einfach du selbst sein. Das klingt ähnlich wie das, was du sagst. Ironischerweise ist das aber genau das Einzige, was man am Anfang unmöglich tun kann.
Ich glaube, inzwischen bekomme ich es halbwegs hin. Ich habe inzwischen genug gesendet, Podcasts aufgenommen und Medienauftritte gehabt, dass ich zwar nicht ganz ich selbst bin, aber nah dran. Das braucht viel Übung und viele Stunden, weil es einfach eine unnatürliche Situation ist: mit jemandem in einem Raum zu sitzen – oder heute meist über Zoom – und so zu tun, als führe man ein normales Gespräch, während man weiß, dass Zehntausende, Hunderttausende oder vielleicht Millionen Menschen zuhören.
Findest du, dass dieser Rat stimmt – dass man einfach man selbst sein soll, um im Fernsehen gut zu wirken? Gilt das für alle? Oder gibt es Leute, die besser nicht sie selbst sein sollten? Und wie schafft man es überhaupt, man selbst zu sein?
Meservey: Einer der besten Ratschläge, die ich je bekommen habe, lautet: Niemand gibt einen Scheiß auf dich. Die Leute kümmern sich nicht so sehr um dich. Wenn du da rausgehst und es geht schief, ist das den meisten völlig egal – sie machen einfach weiter. Niemand denkt so viel über dich nach.
Natürlich, wenn du Sam Altman bist und in einem Interview komplett versagst, wird das oft wiederholt, und es hat größere Konsequenzen, weil dein Unternehmen bedeutend ist. Aber für die überwältigende Mehrheit der Menschen ist das schlicht nicht so wichtig.
Mounk: Das hängt davon ab, wie man versagt. Selbst wenn man völlig unbekannt ist – wenn man im Studio einen Blackout hat, dreißig Sekunden völlige Leere, in denen man kein Wort herausbekommt –, dann wird das viral gehen, auch wenn man niemand ist. Ich glaube, genau davor haben die Leute Angst.
Meservey: Das ist ein Extremfall. Ich denke, man kann weitgehend steuern, ob man einen kompletten Nervenzusammenbruch bekommt oder nicht – auch wenn das nicht für jeden gilt; Katie Porter liefert ja gerade ein paar Beispiele.
Für die meisten Menschen ist die Bandbreite der möglichen Ergebnisse ziemlich harmlos. Vielleicht hat man ein mittelmäßiges Interview, in dem man manches sagen wollte, es aber vergisst. Kein Grund zur Panik. Menschen sind in dieser Hinsicht ein bisschen wie Elektronen – sobald man sie beobachtet, verändern sie sich durch die Beobachtung. Sobald die Kameras an sind, ist es fast unmöglich, ganz normal und natürlich zu bleiben.
Ich bereite mich darauf vor. Ich werde nervös vor solchen Gesprächen – auch wenn ich weiß, dass wir uns kennen und du mich nicht mit einer fiesen Frage in die Falle locken willst. Ich bin trotzdem nervös. Ich laufe dann herum und erinnere mich daran: Wenn es nicht gut läuft, ist das nicht schlimm. Für die meisten Menschen braucht es viel Übung.
So wie uns die vielen Models in der Modewelt unrealistische Körpervorstellungen geben, erzeugen die vielen Influencer, diese extrem attraktiven, charismatischen Menschen auf TikTok oder in Podcasts, völlig unrealistische Erwartungen daran, wie wir selbst vor der Kamera wirken sollten. Wenn wir versuchen, das zu imitieren, landen wir meist in einer Art „Uncanny Valley“ – wir sind nicht mehr wir selbst, aber auch nicht Jake Paul oder sonst wer. Was sind wir dann? Ein merkwürdiges Zwischenwesen, das die Leute weniger anspricht, als wenn wir einfach wir selbst geblieben wären.
Mounk: Sehr interessant. Um auf das Thema übermäßiges Medientraining zurückzukommen – ich musste dabei weniger an Katie Porter denken, die vielleicht etwas mehr Medientraining gebrauchen könnte, oder zumindest eine bessere Tarnung ihrer Persönlichkeit, sondern an Abigail Spanberger. Ich habe neulich Ausschnitte aus ihrer Debatte mit Winsome Earle-Sears gesehen. Sie war in einer Situation, in der sie wusste, dass sie zu einem heiklen Thema befragt werden würde.
Der Kandidat für das Amt des Vizegouverneurs, der zwar formal unabhängig kandidierte, aber offensichtlich auf ihrer Liste stand, hatte versehentlich Textnachrichten an einen Republikaner geschickt, die eigentlich für einen Freund gedacht waren. In diesen Nachrichten schrieb er, dieser moderate Republikaner – der etwas Positives über einen moderaten Demokraten gesagt hatte – verdiene es, getötet zu werden, ebenso wie seine Kinder: „diese kleinen Faschisten“, schrieb er. Die Kinder waren zwei und vier Jahre alt.
Wie sollte jemand wie Spanberger damit umgehen? Sie könnte denken, dass sie sich aus welchen Gründen auch immer nicht klar von diesem Kandidaten distanzieren kann – vielleicht, weil andere Demokraten verärgert wären, oder weil sie glaubt, es wäre schwierig zu regieren, falls sie die Wahl gewinnt und einen republikanischen Vizegouverneur hätte. Das bedeutet, sie weiß, dass diese Frage im TV-Duell kommen wird.
Sie entschied sich für eine etwas hölzerne Reihe von Punkten, an denen sie festhielt: „Ich billige diese Nachrichten nicht. Jeder Kandidat tritt als Individuum an. Ich glaube, ich werde eine großartige Gouverneurin von Virginia sein“ – oder so ähnlich. Was hättest du ihr geraten? Ist der entscheidende Punkt, dass man in so einer Situation nur dann bestehen kann, wenn man klar auf der richtigen Seite steht – also wenn man sich vorher distanziert hat?
Ich meine das nicht moralisch, sondern strategisch. Ist der einzige Weg, diese Kommunikationsschlacht zu gewinnen, sich klar zu distanzieren – zu sagen: „Ich will mit ihm nicht regieren, das ist schrecklich“? Wenn das nicht geht – gibt es einen anderen Weg? Denn was sie am Ende tat, wirkte völlig unnatürlich, übermäßig trainiert und schlicht abstoßend.
Meservey: Zunächst einmal: Ich finde, dieser Typ ist einfach schrecklich. Das ist also kein ehrlicher Rat zu seinem Wohl, aber ein nützliches Fallbeispiel. Wichtig ist: Wenn man versucht, zwei Dinge gleichzeitig zu tun, bedeutet das nicht, dass man beide Seiten zufriedenstellt – man verärgert beide. So läuft es immer. Wenn du versuchst, niemanden wütend zu machen, machst du am Ende alle wütend. Es ist besser, bewusst zu entscheiden, wer über dich wütend sein soll und weshalb, als zu versuchen, alle zufriedenzustellen – denn dann werden es alle nicht sein.
Die Leute sind so müde von diesen wachsweichen, feigen, halbherzigen Antworten, dass sie sie sofort durchschauen und regelrecht darauf warten. Das sah man auch an der ersten Reaktion von Cracker Barrel bei ihrem Rebranding. Sobald ein Statement kommt – egal ob von einer Person oder einem Unternehmen –, erwarten die Leute, dass man eine Haltung einnimmt. Eine Haltung einzunehmen und damit manche zu verärgern, ist besser, als alle zu verärgern.
In dieser Situation ist Nicht-Antworten keine Option. Man muss eine Meinung haben. Die offensichtlich richtige ist: Das war inakzeptabel. Es gibt keine Welt, in der man das verteidigen kann. Aber es gibt zwei Ebenen von „inakzeptabel“. Die eine lautet: Die Tat war inakzeptabel, aber sie spiegelt nicht den gesamten Menschen wider, und seine übrigen Qualitäten überwiegen. Die andere lautet: Diese Tat repräsentiert die Person als Ganzes und zeigt, dass in ihr etwas grundsätzlich Verdorbenes steckt. Die Gegner würden Letzteres behaupten.
Wenn sie ihn also verteidigen will, ohne die Tat zu verteidigen, sollte sie klar die Tat verurteilen und sagen: „Ich stehe nicht dahinter. Kein vernünftiger Mensch würde dahinterstehen. Aber ich glaube auch nicht, dass er selbst noch dahintersteht, denn das, was ich von ihm als Mensch kenne, ist …“ – und dann mit einer positiven Rahmung fortfahren. Etwa: „Ich glaube, was er im Amt erreichen will, ist …“ und so weiter.
So könnte sie argumentieren, dass dieser Ausbruch völlig verwerflich war, dass er aber vielleicht durch die Erfahrung, was es bedeutet, in einem Moment des Zorns die Kontrolle zu verlieren, zu einem mitfühlenderen Menschen geworden ist. Irgendwie muss man diese Situation umdeuten.
Mounk: Ja – warum eigentlich? Ich stimme dir zu, obwohl ich bezweifle, dass dieser Kandidat noch zu retten ist. Moralisch und politisch wäre es wohl am klügsten, sich ganz zu distanzieren. Aber warum schaffst du es in drei Minuten, eine Antwort zu formulieren, die politisch klüger und moralisch weniger fragwürdig klingt als dieses ewige Nichtssagen?
Selbst wenn man sich – aus welchen politischen Gründen auch immer – nicht klar distanzieren darf: Warum kann ein Politiker nicht einfach hingehen und sagen: „Diese Nachrichten sind widerlich und verwerflich, aber ich kenne diese Person, und das entspricht nicht ihrem Wesen. Jeder von uns hat schon mal etwas Unangebrachtes gesagt, was uns nicht wirklich repräsentiert. Das war völlig inakzeptabel, aber ich kenne ihn – und ich weiß, dass das nicht der Mensch ist, der er ist. Und bei den Themen, die für Virginia zählen, wird er gute Arbeit leisten.“
Das wäre vielleicht nicht perfekt, aber immerhin ein Ansatz. Warum also lautet der Rat fast immer, nichts Konkretes zu sagen – mit hölzernen, juristischen Formulierungen, die völlig leer sind? Und das ist ja kein Einzelfall. In derselben Debatte kam eine Frage zu Trans-Mädchen und deren Zugang zu Mädchen-Umkleiden an Schulen in Virginia. Die Antwort war dieselbe Nicht-Antwort: Abigail Spanberger sagte, das sei eine Entscheidung, die „lokale Schulbezirke, Eltern und Lehrer“ treffen müssten – also kein echtes Statement.
Wie du schon sagtest, macht das am Ende beide Seiten wütend. Die, die für diese Rechte kämpfen, sagen, sie beziehe keine Stellung; und die anderen merken, dass sie versucht, eine unpopuläre Meinung zu vermeiden, ohne sie aufzugeben. Man könnte genauso gut klar Position beziehen – oder sich auf den Mehrheitsstandpunkt stellen. Stattdessen landet man im Niemandsland dazwischen.
Das erinnert mich an die Anhörung im US-Kongress mit den Universitätspräsidentinnen – Claudine Gay von Harvard und den Präsidentinnen von Columbia und der University of Pennsylvania –, die alle darin scheiterten, die Werte ihrer Institutionen überzeugend zu verteidigen. Inzwischen sind sie alle abgetreten. Warum also lautet der Rat so oft: Sag lieber nichts – obwohl das offensichtlich nicht funktioniert?
Meservey: Es gibt zwei Arten öffentlicher Persönlichkeiten. Die eine sind Menschen, die einfach sie selbst sind – und alle anderen müssen lernen, damit umzugehen. John Fetterman ist so jemand. Palmer Luckey auch. Sie sind, wie sie sind. Wenn du mit ihnen arbeiten willst, musst du herausfinden, wie – sie werden sich nicht ändern. Du wirst dich ändern.
Und dann gibt es Menschen, die wie Maschinen funktionieren, die Beraterempfehlungen in öffentliche Statements umwandeln. Viele Politiker gehören in diese Kategorie: Sie sammeln Ratschläge von Beratern, filtern sie durch und wiederholen sie. Das spricht nicht gerade für sie als Menschen – denn wenn du keine eigenen Ansichten, keine Persönlichkeit, keine Prinzipien hast, wenn du öffentlich sprichst, warum sollte man dir dann zutrauen, Rückgrat zu zeigen, wenn es wirklich darauf ankommt?
Viele sind so, und das hat mit Angst zu tun. Jeder Berater weiß: Wenn er etwas „Sicheres“ empfiehlt, wird er nie dafür bestraft, eine Chance verpasst zu haben – nur für Fehler. Es ist eine asymmetrische Anreizstruktur. Sie werden für Fehler des Tuns bestraft, nicht für Fehler des Unterlassens. Der beste Weg, weiter Honorare zu kassieren, besteht also darin, Fehler des Tuns zu vermeiden. Wenn sie sicherstellen, dass du nichts Dummes sagst, spielt es keine Rolle, ob du eine Gelegenheit verpasst hast – solange ihnen kein klarer Fehler angelastet werden kann.
Am Ende entsteht daraus ein klassisches Principal-Agent-Problem: Die Berater handeln in ihrem eigenen Interesse. Sie versuchen nicht, das bestmögliche Ergebnis für dich zu erzielen – sie versuchen, das Ergebnis zu finden, das sie selbst davor schützt, gefeuert zu werden. Und du machst mit, weil dir entweder die moralische Klarheit oder das Rückgrat fehlt, dich über sie hinwegzusetzen. So entstehen schwache öffentliche Figuren.
Mounk: Das fällt mir besonders im politischen Umfeld auf. Wenn man eine Beratungsfirma betreibt – vor allem auf der demokratischen Seite, wo die gedanklichen Grenzen enger sind, aber auf der republikanischen auf ihre Weise auch – und eine Wahl verliert, ist das kein Hindernis. Viele Leute verlieren Wahlen. Dass man die unterlegene Kampagne beraten hat, verhindert nicht, dass man wieder engagiert wird.
Wenn aber ein Kandidat etwas sagt, das die eigene Basis verärgert und negativ viral geht – selbst wenn das die Wahlchancen in Wirklichkeit erhöht –, wird der nächste Kandidat womöglich sagen: „Ich weiß nicht, ob wir mit dir arbeiten sollten. Du bist derjenige, der damals diese Botschaft verbreitet hat, die so viele Verbündete gehasst haben. Mein Team wäre unglücklich, wenn ich dich einstelle.“ Das Anreizsystem zielt also nicht darauf, dass der Kandidat gewinnt – sondern darauf, schlechte Publicity zu vermeiden, die dem Ruf des Beraters schaden könnte.
Dasselbe gilt in anderen Fällen. Es wurde berichtet, dass die Präsidentinnen der Universitäten, über die wir gesprochen haben, vor ihren Kongressanhörungen umfangreiche Beratung durch Anwaltskanzleien erhalten hatten – und zwar, glaube ich, von derselben Kanzlei. Diese Anwälte sind risikoscheu. Sie überlegen nicht, wie man die Chance auf ein gutes Ergebnis maximiert, sondern wie man das Risiko minimiert, etwas zu sagen, das juristisch relevant werden könnte. Das Ergebnis: Man wird so übertrainiert, dass man am Ende gar nichts mehr sagt.
Ich erinnere mich an einen anderen Fall. Ich habe 2020 einen eher unbekannten demokratischen Präsidentschaftskandidaten informell beraten. Persönlich war er unglaublich charismatisch – laut, mitreißend, voller Energie. Man dachte: Wenn dieser Mann erst einmal auf der großen Bühne steht, wird er großartig abschneiden. Aber jedes Mal, wenn die Kamera anging, war er furchtbar. Seine ganze Ausstrahlung war weg.
Liegt das daran, dass manche Menschen einfach nur im persönlichen Gespräch charismatisch sind, aber nicht im Fernsehen? Kann man das überwinden? Gibt es eine Art von Charisma, die im kleinen Rahmen funktioniert, und eine andere, die auf einer nationalen Debattenbühne funktioniert? Wie erklärst du das?
Meservey: Ich glaube, da gibt es etwas Angeborenes – was nicht heißt, dass man es nicht verbessern oder daran arbeiten kann. Aber Menschen haben von Natur aus Kommunikationsformen, die besser zu ihnen passen. Manche wirken stärker in kleinen Gruppen, andere sind charismatischer vor großem Publikum. Du kennst bestimmt jemanden, der auf einer riesigen Kundgebung unglaublich mitreißend wirkt, aber im Einzelgespräch gar nicht besonders engagiert scheint.
Mounk: Ich habe nach dem College ein Jahr am Theater gearbeitet. Dort gab es eine Schauspielerin, die in der Kantine nett und klug war, aber ziemlich unscheinbar. Man hätte nie den Blick auf sie gerichtet, wenn man hereinkam. Doch sobald sie die Bühne betrat, war sie magnetisch. Vor tausend Menschen hatte sie eine Präsenz, die einen förmlich fesselte. Privat war sie sympathisch und hübsch, aber nicht charismatisch – auf der Bühne war sie elektrisierend.
Meservey: Ich denke, Bill Clinton war charismatischer vor großem Publikum. Hillary Clinton dagegen, glaube ich, ist in kleinen Gruppen stärker. Wer mit ihr persönlich gearbeitet oder sie in kleiner Runde erlebt hat, beschreibt sie als sehr charismatisch. Aber vor einem Stadion voller Menschen entfaltet sie nicht dieselbe Wirkung wie ihr Mann – der, klar, ein politisches Ausnahmetalent ist.
Bevor wir zu weit vom Thema abkommen – nämlich wie man eine klare und starke Antwort gibt, ohne ausweichend zu wirken –, möchte ich das Beispiel von Michael Dukakis im Präsidentschaftsduell 1988 ansprechen. Erinnerst du dich? Er wurde auf der Bühne zur Todesstrafe befragt, und die Frage war brutal: Wenn deine Frau Kitty vergewaltigt und ermordet würde, würdest du die Todesstrafe für den Täter befürworten? Dieses Beispiel beschäftigt mich bis heute, weil ich finde, die richtige Antwort wäre politisch und strategisch ein Selbstläufer gewesen.
Seine tatsächliche Antwort war ein gestammeltes, akademisches Ausweichen – völlig unnatürlich. Jemand spricht gerade darüber, dass deine Frau vergewaltigt und ermordet wird, und du bleibst ruhig und spulst deine Stichpunkte ab? Wahnsinn. Eine sehr gute Antwort – vorausgesetzt, er glaubt, was er sagt – wäre gewesen: „Wenn jemand meiner Familie so etwas antun würde, wenn ein solcher Verbrecher einem meiner Angehörigen das antäte, würde ich ihn in Stücke reißen wollen. Ich würde ihn eigenhändig köpfen wollen. Ich würde ihn ein Jahr lang foltern. Und genau deshalb sollte man so etwas nicht mir in diesem Moment überlassen, getrieben von Emotion. Genau deshalb brauchen wir als Gesellschaft eine im Voraus festgelegte Grenze zwischen Strafe und Barbarei – damit wir im Affekt keine Entscheidungen dieser Art treffen. Denn wenn ich diesem Täter je begegnen würde, würde ich selbst entsetzliche Dinge tun.“
Mounk: Ja, da steckt diese offensichtliche Emotion drin, die man in solchen Situationen irgendwie zu verbergen glaubt. Wenn man politisch gegen die Todesstrafe kämpft, kann man natürlich nicht plötzlich die Position wechseln, sobald jemand so ein Szenario vorbringt. Man kann nicht gleichzeitig gegen die Todesstrafe sein und dann sagen: „In diesem Fall sollten wir sie haben.“ Das ergibt keinen Sinn.
Gegen die Todesstrafe zu sein, ist eine durchaus vertretbare Haltung. Ich selbst halte sie für richtig – und so eindeutig war die öffentliche Meinung 1988 nicht, dass man damit keine Wahl hätte gewinnen können. Aber man muss sich trotzdem erlauben, menschliche Emotion zu zeigen – zu sagen: Natürlich würde ich wollen, dass dieser Mensch auf die schlimmstmögliche Weise leidet. Aber genau deshalb brauchen wir Regeln, die wir in Momenten treffen, in denen wir nicht selbst betroffen sind.
Ich glaube, du hast recht. Abigail Spanberger hatte vermutlich das Gefühl, sie könne sich nicht völlig von diesem anderen Kandidaten distanzieren – und deshalb auch nicht den Zorn und den Ekel über diese Nachrichten ausdrücken. Doch die einzige Möglichkeit, sich nicht vollständig von jemandem zu distanzieren, besteht gerade darin, diesen Zorn und Ekel zu zeigen – und dann zu sagen: Nachdem ich das alles gesagt habe, erkläre ich euch, warum ich trotzdem glaube, dass er für Virginia die bessere Wahl ist als die Alternative.
Ich möchte das nun auf eine grundsätzlichere Frage ausweiten: Was bedeutet das alles für Kommunikation heute? Wenn wir nicht mehr in einer Welt leben, in der einer zu vielen spricht, sondern in einer Welt, in der viele zu vielen sprechen – und wir gerade darüber gesprochen haben, wie man in den Medien überzeugend auftritt –: Was ist dann die richtige Strategie für ein Unternehmen, das ein neues Produkt launcht, oder für jemanden, der eine wichtige Botschaft vermitteln will? Du hast viel über die Bedeutung direkter Kommunikation mit dem Publikum gesprochen. Was bedeutet das genau, und warum hältst du das für den entscheidenden Punkt?
Meservey: „Direkt“ kann Verschiedenes heißen – und ich meine tatsächlich alle diese Bedeutungen. Eine Bedeutung ist, sich ein eigenes Publikum aufzubauen und direkt mit ihm zu kommunizieren, also nicht über Mittelsmänner oder Gatekeeper. Eine andere Bedeutung ist, wie du und ich jetzt zu sprechen – offen, ehrlich, ohne Umschweife. Genau das wollen die Menschen auch. Das ist übrigens der Rat, den Dukakis vor seiner Debatte hätte bekommen sollen: Sprich direkt, ohne Worte zu beschönigen, und sag einfach, was du meinst. Die Leute haben keine Geduld mehr, sich durch PR-Geschwafel und Unternehmensfloskeln zu quälen, nur um herauszufinden, was du eigentlich sagen willst.
Eine weitere Form direkter Kommunikation besteht darin, dass die Botschaft von den unmittelbar Verantwortlichen selbst kommt – nicht durch mehrere Filterebenen. Ich meine also all das. Wenn du heute Gründer oder CEO bist – oder ein politischer Kandidat, also der Gründer einer Bewegung, deren Ziel es ist, dich zu wählen, der „Chief Executive“ der Vision, die du den Wählern verkaufst –, dann muss die Botschaft von dir selbst kommen. Das heißt nicht, dass du in jedem Video persönlich auftreten musst. Aber es müssen deine Worte und deine Ideen sein – nicht der Durchschnitt aus siebzehn Juristen und vierzehn PR-Leuten. Die Menschen merken den Unterschied.
Sie muss außerdem direkt und entschlossen vermittelt werden – ohne Herumreden. Auf den Punkt kommen. Selbst bei kurzen Videos: Auf X (Twitter) zum Beispiel bricht die Aufmerksamkeit nach dreißig Sekunden wahrscheinlich um neunzig Prozent ein. Ich kenne die genauen Zahlen nicht mehr, aber die Kurve stürzt ab. Die Aufmerksamkeit der Menschen hält nicht an – vor allem, wenn du sie in den ersten Sekunden nicht gewonnen hast. Also: Sag es gleich, nicht erst nach einem langen Anlauf.
Die Geschichte ist lang. Es geht nie nur um einen Moment. Politiker sollten sich das öfter vor Augen führen: Es geht nicht nur um eine Wahl oder eine einzelne Aussage. Es liegt noch vieles vor ihnen. C. S. Lewis hat in einem anderen Zusammenhang gesagt, jeder kleine Sieg sei ein strategischer Punkt, von dem aus tausend weitere Siege errungen werden können. Das stimmt. Es geht nicht nur darum, eine bestimmte Schlacht zu gewinnen, sondern darum, langfristig etwas aufzubauen – Vertrauen, Beziehungen zu Wählern oder, im Fall eines Unternehmens, ein Publikum, mit dem man wachsen kann.
Was ich gar nicht leiden kann, ist, wenn Leute etwas wirklich Großartiges, Neues, Interessantes erschaffen – und es dann jemand anderem überlassen. Wenn du ein Unternehmen gründest und etwas wirklich Virales, Mitreißendes geschaffen hast, aber zu ängstlich bist, um es selbst zu veröffentlichen, weil du dir nicht genug zutraust, dann verschenkst du deinen Erfolg. Wenn du es einem Influencer gibst und der postet es, und es geht viral, dann hast du ihm dein Engagement und dein Publikum geschenkt – nur aus Angst. Das zu sehen, finde ich furchtbar.
Mounk: Welche Beispiele gibt es für Menschen, die Kommunikation wirklich brillant umgesetzt haben? Wir haben ja schon einige politische und nicht-politische Beispiele besprochen, in denen sie misslungen ist. Was sind die Fälle, an denen man sich orientieren sollte?
Meservey: Angesichts der aktuellen Nachrichten und weil ich Bari schon erwähnt habe, nehme ich sie als Beispiel. Bari Weiss hat in Sachen Kommunikation vieles außerordentlich gut gemacht – auch wenn viele sie nicht mögen oder wütend auf sie sind. Tatsächlich gehört genau das mit dazu.
Viele glauben, erfolgreiche Kommunikation bedeute, so harmlos wie möglich zu sein, damit sich niemand aufregt. Doch was sie damit tun, ist, das Risiko zu minimieren – aber gleichzeitig das Potenzial zu begrenzen. Sie sichern den Boden nach unten ab, setzen aber die Decke extrem niedrig. Bari hat es anders gemacht – und das ist, glaube ich, der richtige Weg: starke Gefühle in der eigenen Gemeinschaft wecken, die eigenen Leute zu Überzeugungstätern machen. Wenn andere sich darüber ärgern – egal, oder manchmal sogar hilfreich.
Vieles, was Bari entgegenschlägt – teils antisemitisch, teils schlicht gehässig – ist sicher schwer zu ertragen. Wenn ich an ihrer Stelle wäre und all das lesen müsste, hätte ich wahrscheinlich einen Nervenzusammenbruch. Sie ist da deutlich widerstandsfähiger als die meisten. Es ist bestimmt kein Spaß, aber strategisch, für das, was sie aufbaut, ist es nicht das Schlechteste. Es zeigt, wofür sie steht – und wovon sie sich selbst unter Druck nicht abbringen lässt.
Das ist ein Beispiel: Haltung zeigen und sagen – ihr gehört dazu, ihr nicht. Wir sehen die Welt unterschiedlich, und das ist in Ordnung.
Mounk: Das ist allerdings ein schwieriger Tausch – je nachdem, wie sehr einem der Erfolg des eigenen Projekts wichtiger ist als ein angenehmes Leben. Bari ist unglaublich erfolgreich, aber sie muss damit leben, dass sie in jeden Raum kommt, in dem einige Menschen sie bewundern – und andere heimlich ihren Freunden schreiben: „Du glaubst nicht, wer hier gerade reingekommen ist.“ Das hat seinen Preis.
Du hast recht – strategisch ist das der richtige Weg, und einer der Gründe, warum The Free Press so erfolgreich ist. In der Politik gilt eine einfache Regel: Was immer du vertrittst, es wird immer jemanden geben, der dagegen ist. Wenn du eine Sache bejahst, baust du eine Koalition – aber auch eine Gegenkoalition. Wenn du versuchst, das zu vermeiden, wirst du so unbestimmt, dass dich zwar niemand ablehnt, aber auch niemand wirklich unterstützt. Niemand hat dann einen Grund, dir zu vertrauen oder dir zu folgen.
Die persönlichen Kosten dabei sind erheblich – und Menschen, die bereit sind, sie zu tragen, sind, ob man ihrer Meinung ist oder nicht, bewundernswert. Es gibt ja diesen ständigen Vorwurf, den man allen macht, mit denen man nicht übereinstimmt: Sie seien „Grifter“. Meistens stimmt das nicht. Der einfache, bequeme Weg ist es, nicht mit der eigenen politischen Blase zu brechen, nichts Kontroverses zu sagen und weniger Hass im Netz abzubekommen. Das ist fast immer der einfachere Weg.
Wer das nicht tut, handelt selten aus Zynismus. Meistens aus Überzeugung – weil der Preis hoch ist. Die meisten Menschen wollen lieber gut mit ihren Freunden auskommen, auf Dinnerpartys gehen, ohne kritische Fragen, einen normalen Medienjob haben und ein sicheres Einkommen – statt Bari Weiss zu sein.
Meservey: Genau deshalb werden die meisten nie großartig sein. Das ist Führung – und sie ist nichts für jedermann.
Führung bedeutet, bereit zu sein, persönliche Kosten zu tragen, die unverhältnismäßig hoch sind, zum Wohl des Ganzen – um etwas aufzubauen, das über einen selbst hinaus Bestand hat. Ich bin da natürlich voreingenommen, weil Bari meine Freundin ist. Aber selbst wenn man ideologisch auf der völlig anderen Seite steht, bleibt das Prinzip dasselbe: Man muss bereit sein zu sagen, das hier sind nicht meine Leute – um durch diesen Kontrast klarzumachen, wer die eigenen Leute sind. Nur so entsteht eine Bewegung.
Dazu gehört Mut. Denn Führungskräfte tun ständig Dinge, die für sie persönlich furchtbar sind: Sie sehen ihre Kinder seltener als ihre Mitarbeiter, sie schlafen weniger als ihre Mitarbeiter, sie erhalten mehr Morddrohungen als ihre Mitarbeiter. All das gehört dazu, wenn man die Speerspitze einer Bewegung sein will.
Es ist absolut furchtbar, diese Rolle zu haben – aber irgendjemand muss sie übernehmen. Ohne jemanden, der bereit ist, diese Last zu tragen, gibt es keine Bewegung.
Mounk: Ja, das ist wirklich interessant. Ich hatte nicht erwartet, dass wir so viel über Politik sprechen, aber es ist wohl das Feld, in dem ich mich am besten auskenne. Mich fasziniert, wie sehr sich die Meister der Kommunikation im Laufe der Zeit verändert haben. Du hast vorhin Bill Clinton erwähnt – ein begnadeter Kommunikator – und Tony Blair in Großbritannien war ihm ähnlich. Ihre Stärke war es, einigermaßen authentisch zu wirken und den kulturellen Zeitgeist ihrer Ära zu verkörpern. Doch ihre eigentliche Fähigkeit bestand darin, einen News Cycle zu gewinnen.
Die meisten Menschen sahen damals die Nachrichten um sieben oder acht Uhr abends auf den großen Fernsehsendern. Das Ziel war, dass man selbst – oder jemand aus dem eigenen Team – in dieser Sendung das richtige Zitat platzierte. Die Leute schauten nur halb aufmerksam zu, und der richtige Zehn-Wörter-Satz, der das Thema des Tages einrahmte, konnte sie denken lassen: Okay, diese Leute haben’s verstanden – ihre Gegner nicht.
Wenn man sich heute eine Kampagne wie die von Kamala Harris anschaut, merkt man, dass sie immer noch nach diesem Muster arbeitet: Negatives vermeiden, keine Kontroversen riskieren, den richtigen Soundbite setzen. „Kamala Harris for the People“ – oder was auch immer – klingt wie ein Slogan aus den 1990ern. Und dann hat man Donald Trump, der offenbar niemandem zuhört, wenn es um seine Botschaften geht. Er sagt ständig Dinge, die ihn in Schwierigkeiten bringen und Menschen verärgern, aber er ist auf seine eigene Weise immer er selbst.
Kamala Harris, glaube ich, wäre in der Joe Rogan Experience furchtbar gewesen, weil sie es kaum geschafft hätte, über zwei oder drei Stunden authentisch sie selbst zu sein. Donald Trump dagegen – wie auch immer man über ihn denkt, und ich sehe ihn sehr kritisch – könnte dort sitzen und stundenlang frei sprechen, über alles Mögliche, und dabei einfach er selbst bleiben.
Was bedeutet also „direct“ zu gehen – direkt zu kommunizieren – in der Politik? Ein anderes Beispiel wäre Zohran Mamdani, bei dem ich ebenfalls Vorbehalte habe, der aber in gewisser Weise genau das getan hat, vielleicht aus Notwendigkeit. Am Anfang interessierte sich niemand für ihn, er galt nicht als Favorit für die Nominierung. Aber manchmal kann das Fehlen traditioneller Ressourcen – kein Zugang zum New York Times Editorial Board, keine Großspender, keine schicken Werbespots auf New York One – zu einer Stärke werden. In gewisser Weise hat auch er direkt „zum Konsumenten“ gesprochen.
Meservey: Ehrlich gesagt: Mamdani macht es kommunikativ großartig. Der richtige Blick auf Kommunikation – wie du vorhin angedeutet hast – besteht nicht darin, ob sie „gut“ oder „schlecht“ läuft, weil es so viele andere Faktoren gibt. Die Frage ist: Wie viel besser läuft es, als es den inhaltlichen Voraussetzungen nach laufen sollte?
Wenn du ein Buch veröffentlichst und das Buch selbst ist eine A−, aber die Resonanz und der Buch-Launch sind eine A+, dann stammt dieses „Alpha“ wahrscheinlich aus der Kommunikation. Manchmal sieht man großartige Produkte oder Unternehmen, über die niemand spricht – das ist dann ein negatives Alpha, verursacht durch schlechte Kommunikation.
Im Fall von Mamdani ist er – meiner Meinung nach – inhaltlich nicht besonders überzeugend. Man könnte es schärfer formulieren, aber auf dem Papier ist er einfach nicht sehr spannend. Doch durch herausragende Kommunikation – und ich zähle persönliche Ausstrahlung dazu – hat er sich in eine führende Position katapultiert. Er und sein Team machen das brillant.
Oft ist in der Kommunikation die Not die Mutter der Erfindung. Wenn man nicht die Mittel hat, traditionelle Wege zu gehen oder klassische Ressourcen zu nutzen, wird man zu Kreativität gezwungen – und daraus können großartige Dinge entstehen.
Ich habe Kommunikation gelernt, indem ich mit Leuten gearbeitet habe, die heute gefeiert werden, damals aber al Gedankenverbrecher galten – unsere Freunde bei Substack und andere, die in der „gehobenen Gesellschaft“ praktisch unerträglich waren. Heute sind alle auf den Zug aufgesprungen. Damals hatten wir nicht die Option, einfach bei der New York Times anzurufen und einen freundlichen Artikel zu bekommen. Diese Möglichkeit existierte nicht.
Mounk: Unter anderem, weil Substack tatsächlich ein direkter Konkurrent der New York Times war – und ist – und das sogar ziemlich erfolgreich.
Meservey: Genau. Heute sieht man ja, dass etwa The Free Press, das aus Substack hervorgegangen ist, sehr stark geworden ist. Aber es spielten auch ideologische Faktoren eine Rolle. Manchmal ist der Zwang zur Innovation eine gute Sache. Mamdanis Kampagne hat sowohl Kreativität als auch Energie – und sicher war sie auch gezwungen, neue Wege zu gehen, weil sie in New York nicht über dieselben traditionellen Machtzentren verfügt wie die Amtsinhaber.
Mounk: Was mir in den USA – und auch anderswo – auffällt, ist, dass ausgerechnet die Gemäßigten am meisten mit Kommunikation kämpfen. Wir haben über Mamdani gesprochen, der demokratischer Sozialist ist; über Trump, der Trump ist; und über Leute wie Abigail Spanberger oder die Präsidentinnen der Ivy-League-Universitäten – sie alle haben Probleme. Dasselbe sieht man in Europa: Die moderaten Parteien der Mitte-links- und Mitte-rechts-Seite sind im medialen Spiel katastrophal, während extreme Bewegungen großen Erfolg haben.
Warum haben gerade die Gemäßigten in diesem politischen Moment solche Schwierigkeiten? Kann man charismatisch, deutlich und entschlossen auftreten – ohne ständig abzuwägen, „einerseits, andererseits“, und ohne klare Haltung – und dennoch moderate Positionen vertreten? Wenn Parteien oder Bewegungen aus der Mitte lernen wollen, was man aus deinem Kommunikationsansatz lernen kann – was sollten sie tun?
Meservey: Zunächst einmal: Es ist viel einfacher, Menschen für eine Sache zu begeistern als für zehn. Zehn Themen sind nicht zehnmal so stark – eher ein Zehntel so stark. Als Gemäßigter ist es schwer, diesen einen großen emotionalen Ausschlag zu erzeugen.
Die meisten Amerikaner liegen politisch irgendwo zwischen den Extremen, aber dafür lässt sich schwer ein Schlachtruf formulieren, weil es – wie du sagst – nach einem Kompromiss klingt. Eine Möglichkeit, Mäßigung spannender zu machen, ist, etwas zu finden, das leicht radikal klingt – es dann zu rahmen und so zuzuspitzen, dass es interessant wirkt. Eine andere Möglichkeit ist, sich im Kontrast zu einem Gegenspieler zu positionieren – als jemand, der gegen eine radikale Übernahme kämpft.
Ein großer Teil von Trumps Kampagne drehte sich ja um dieses Narrativ: den Kampf gegen Radikale und den Versuch, Amerika vor Extremisten zu „retten“. Das ist ein Weg. Moderaten fehlt oft diese kreative Schärfe. Sie müssen lernen, interessanter zu werden. Das geht nicht mit dem Durchschnitt der Meinungen von 45 Beratern. Man braucht eine interessante Persönlichkeit, einen spannenden Botschafter – damit selbst Menschen, die die moderate Botschaft anfangs nicht fesselt, zumindest an der Person interessiert sind. Diese Person kann dann der Türöffner zur Plattform sein.
Mounk: Gib mir ein Beispiel, wie man so ein Thema auswählt oder etwas aus einer moderaten Position heraus radikal klingen lässt. Ich weiß, du bist keine politische Beraterin, aber ich dränge dich jetzt trotzdem in diese Rolle.
Ein Teil des Problems liegt natürlich darin, dass ich auf einer grundlegenden Ebene philosophischer Liberaler bin. Ich glaube, dass Werte wie individuelle Rechte und Meinungsfreiheit es unseren Gesellschaften ermöglicht haben, wohlhabend und friedlich zu werden. Trotz aller Mängel macht uns das deutlich besser als jede andere Gesellschaft in der Geschichte. Aber ich erkenne auch, dass wir diese Prinzipien oft nicht konsequent genug umsetzen.
Man gerät also in diese schwierige Lage: Man will sagen, dass vieles im heutigen Amerika schiefläuft, dass vieles nicht funktioniert, dass wir hinter unseren Idealen zurückbleiben – und man will dafür kämpfen, das zu ändern. Gleichzeitig will man das verteidigen, was gut ist, und verhindern, dass unverantwortliche Stimmen alles niederreißen und etwas viel Schlechteres schaffen. Und das ist nicht schwer vorstellbar – viele Länder sind heute deutlich schlimmer dran, und die meisten waren es in der Vergangenheit.
Man steht also zwischen dem Drang, den Status quo zu verteidigen, und dem Wunsch, ihn zu verbessern. Gibt es eine Möglichkeit, das klar zu formulieren, ohne dass es zu verkopft oder kompliziert klingt? Ich kann das vor einem intellektuellen Publikum erklären, aber nicht unbedingt vor einem Wählerpublikum. Ich habe keine politischen Ambitionen, aber das sind zwei verschiedene Dinge. Meine Podcast-Hörer verstehen mich – aber auf einer Präsidentschaftsdebatten-Bühne wäre das viel schwerer. Deshalb sind die Gemäßigten nicht dumm. Der eigentliche Grund, warum sie scheitern, liegt, glaube ich, genau in diesem Spannungsverhältnis – nicht nur in den USA, sondern überall.
Meservey: Nehmen wir mal eine Haltung, die so langweilig und unpopulär wie möglich ist – etwa Eigenverantwortung. Sagen wir: Wir müssen die Eigenverantwortung zurückbringen, die Menschen müssen ihr Schicksal wieder stärker selbst in die Hand nehmen.
Schon beim Aussprechen klingt das fad. Wahrscheinlich würdest du in deinem Podcast einen Einbruch der Hörerzahlen sehen. Eine Möglichkeit wäre, es radikal direkter zu sagen – etwa: „Reiß dich zusammen.“ Es gibt viele Arten, Dinge auszudrücken. Man kann sagen: „Es ist Zeit, die Eigenverantwortung zurück ins Gespräch zu bringen.“ Oder man sagt: „Du musst dich zusammenreißen, und ich auch. Zu lange haben wir uns wie Babys benommen bei Dingen, die wir selbst ändern könnten. Hör auf zu jammern, hör auf zu heulen – pack es an. Ich mache es auch.“
Mounk: Margaret Thatcher sagte damals: „Steig aufs Rad.“ Es gibt keine Jobs mehr in deiner Stadt? Dann steig aufs Rad. Diese Botschaft war polarisierend – manche hassten sie, viele mochten sie. Politisch war sie äußerst wirkungsvoll.
Meservey: Genau. Wenn alle neutral zu deiner Botschaft stehen, wirst du nie jemanden überzeugen. Neutralität bringt niemanden an die Wahlurne. Wenn du dagegen Menschen hast, die sich an dir reiben – gut. Und solche, die dir leidenschaftlich zustimmen – auch gut.
Margaret Thatcher ist übrigens die Größte aller Zeiten. Wenn sie das so gemacht hat, ist es vermutlich schon die richtige Antwort. Eine weitere Möglichkeit ist, bei sich selbst den „Nixon-in-China“-Effekt zu erzeugen. Es wirkt oft unsympathisch, andere zu kritisieren, aber wenn du dich selbst als Beispiel nimmst, zeigst du Demut – etwas, das bei Politikern selten ist.
Du könntest sagen: „Das sind Momente in meinem Leben, in denen ich nicht aufgestanden bin, in denen ich hätte mehr Verantwortung übernehmen sollen. Und das hier sind die Wege, die sich mir dadurch verschlossen haben. Und übrigens – diejenigen, die am dringendsten Verantwortung übernehmen müssen, sind junge Männer. Ich bin selbst ein junger Mann, ich habe das erlebt, und ich fordere euch auf, das Gleiche zu tun.“
Man kann Jordan Peterson für alles Mögliche kritisieren, aber niemand kann bestreiten, dass er eine sehr kraftvolle Bewegung aufgebaut hat. Dasselbe gilt für Charlie Kirk. Auch wer ihn verachtet, muss anerkennen, dass er eine starke Jugendbewegung geschaffen hat, indem er sich persönlich mit ihr identifiziert hat.
Das kann ein Politiker genauso tun. Es ist schwer, etwas völlig Langweiliges zu etwas Hochinteressantem zu machen, aber nicht so schwer, wie viele glauben. Mit etwas Mühe und Kreativität kann alles interessanter werden, als es ist. Schritt eins ist: einfach normale Wörter benutzen – so, wie man sie in einem echten Gespräch verwenden würde.
Mounk: Eine Sache habe ich heute gelernt, Lulu: Authentizität ist entscheidend. In diesem Sinne muss ich – ganz authentisch – gestehen, dass mir mein Produzent gerade geschrieben hat, dass das Zitat „Steig aufs Rad“ gar nicht von Margaret Thatcher stammt, sondern von Norman Tebbit, einem ihrer Minister. Der Rest meiner Aussage war aber richtig.
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Dieses Transkript wurde mit Hilfe von KI übersetzt und von Niya Krasteva redigiert.


