Ruxandra Teslo darüber, was Eliten wirklich denken
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Ruxandra Teslo ist Doktorandin in Genomik am Sanger Institute in Cambridge, Großbritannien. Sie schreibt über Wissenschaft und Kultur auf Ruxandras Substack.
In dieser Woche sprechen Yascha Mounk und Ruxandra Teslo über Rob Hendersons Konzept der „Luxury Beliefs“, seine zentralen Einsichten und die irreführenden Weisen, in denen es oft verwendet wird; über die wissenschaftliche Erforschung von „Misinformation“ und warum man ihr (meistens) mit Skepsis begegnen sollte; sowie darüber, wie kulturelle Vorstellungen von Fortschritt Ergebnisse in der realen Welt prägen.
Hinweis: Dieses Gespräch wurde im Oktober 2024 aufgezeichnet.
Das Transkript wurde gekürzt und zur besseren Verständlichkeit leicht bearbeitet.
Yascha Mounk: Wir sind ursprünglich ins Gespräch gekommen, weil ich mir Gedanken über das Konzept der „Luxury Beliefs“ gemacht habe, das Rob Henderson geprägt hat. Ich habe ein bisschen herumgegoogelt, und ich fand, dass du die beste Antwort darauf geschrieben hattest. Aber ich habe auch in anderen Zusammenhängen mit dir gesprochen, und du bist sehr schnell zu einer wichtigen Stimme in Kultur und Wissenschaft geworden.
Für die Hörer, die meinen Essay darüber nicht gelesen oder keine Unterhaltung mit Rob gehört haben: Was ist das Konzept der Luxury Beliefs – und warum bist du so kritisch?
Ruxandra Teslo: Das Konzept der Luxury Beliefs besagt, dass Eliten materielle Statussymbole ersetzt haben. Früher trug man teure Kleidung, um zu zeigen, dass man zur Elite gehört. Die Idee ist, dass das vor allem in jüngerer Zeit durch Statussignale über Überzeugungen ersetzt wurde. Ein Beispiel, das Rob oft bringt, ist „defund the police“, also die Anforderung, die Polizei finanziell zu entmachten. Es ist ziemlich klar, dass Rob diese Position für falsch hält. Und ehrlich gesagt halte auch ich viele davon für falsch. Aber worin wir uns unterscheiden, ist seine Darstellung der Motivation, aus der Eliten solche oft irreführenden Überzeugungen vertreten.
Mounk: Und was genau an dieser Motivation findest du falsch? Wie groß und wichtig ist dieser Unterschied?
Teslo: Zunächst einmal sind wir uns einig, dass viele dieser Überzeugungen falsch sind. Wir stimmen auch darin überein, dass es leichter ist, irrige Überzeugungen zu vertreten, wenn man ihre Konsequenzen nicht selbst tragen muss. Aber es gibt einiges, worin ich widerspreche. Erstens bin ich nicht überzeugt, dass wir tatsächlich beobachten können, dass Eliten heute grundlegend anders Status signalisieren als früher. Menschen haben immer eine Kombination komplexer Dinge genutzt, um Status zu zeigen. Und ich glaube auch, dass das ein Stück weit variiert: Finanzeliten signalisieren nach wie vor über Geld und Einkommen. Schon in der Vergangenheit nutzten Eliten aber auch Verhaltensnormen und immaterielle Statuszeichen. Daher stammt ja das Konzept des „Nouveau Riche“ in den Gesellschaftsromanen des 19. Jahrhunderts. Da gibt es immer diese Figur, die reich ist, aber nicht richtig dazugehört, weil ihr die passenden Manieren fehlen. Sie hat nicht die richtigen Ansichten. Deshalb muss sie jemanden aus einer alten Familie heiraten, um respektabel zu werden. Empirisch gibt es also Streitpunkte. Eliten signalisieren weiterhin über Leistung. Akademiker, Journalisten, vielleicht auch Tech-Bros tragen vielleicht keine schicken Anzüge, aber sie signalisieren stark über ihre Leistungen: wer den besseren oder meistzitierten Artikel veröffentlicht, wer mehr Geld für sein Start-up einsammelt (selbst wenn er dabei wirklich hässliche, billige Klamotten trägt). Und der Grund, warum diese materiellen und leistungsbezogenen Signale meiner Meinung nach nach wie vor die wichtigsten sind, liegt darin, dass sie knapp sind. Überzeugungen sind nicht knapp. Jeder kann sagen, er wolle die Polizei abschaffen.
Mounk: Ich glaube, dein Widerspruch zu Rob richtet sich vor allem gegen die Unterstellung einer bestimmten Motivation hinter diesen Luxury Beliefs. Wo du und ich übereinstimmen, ist, dass Rob den Menschen, die solche Überzeugungen vertreten, manchmal eine Art bösen Willen unterstellt – und das halte ich für falsch. In seinen Memoiren, die insgesamt ausgezeichnet sind, gibt es eine Passage, die ich in diesem Punkt für verfehlt halte. Er beschreibt, dass viele seiner Kommilitonen in Yale Kapitalismus für ein schreckliches System hielten – und dann bei Goldman Sachs anfingen. Und er behauptet, dass sie Kapitalismus auch deshalb verteufelten, damit sich weniger Kommilitonen bei Goldman bewerben und sie selbst weniger Konkurrenz haben. Ich glaube einfach nicht, dass das so funktioniert. Diese Art verschwörerischer Annahme, dass es letztlich darum geht, andere bewusst in die Irre zu führen, halte ich für falsch. In meinem Essay habe ich daher diesen Teil ausgeklammert und Luxury Beliefs enger definiert: als Überzeugungen, die man auch deshalb vertritt, weil man aufgrund seiner sozialen Stellung mit deren Konsequenzen nie wirklich konfrontiert war. Aber das heißt nicht, dass man anderen Schaden zufügen will. Und es ist schon gar keine Verschwörung.
Eine weitere Reaktion auf deinen Essay war meine Überlegung, dass Luxury Beliefs vielleicht eine nützliche Form des Wettbewerbs unter Menschen sind, die einen ähnlichen Status haben. Besonders offensichtlich ist das im Graduiertenstudium, bevor man echte Leistungen vorweisen kann und unsicher ist, wo man steht. Da ist es verlockend, bestimmte politische Ansichten zu übernehmen. Und genau dort sehen wir auch einige der extremsten Fälle solcher Luxury Beliefs.
Teslo: Das ist ein guter Punkt. Ich denke auch, dass dieses Verhalten oft von Menschen genutzt wird, die in Statusfragen sehr ähnlich dastehen, von denen sich aber einer in irgendeiner Hinsicht etwas unterlegen fühlt. Dann versucht er, dem anderen subtil ein schlechtes Gewissen einzureden – durch eine Form von Virtue Signaling (Tugendprahlen).
Mein Punkt ist nur: Mir scheint nicht offensichtlich, dass Eliten heute stärker Virtue Signaling betreiben oder häufiger falsche Überzeugungen allein um des sozialen Status willen vertreten als früher. Menschen haben immer vielfältige Möglichkeiten genutzt, um Status zu signalisieren. Aber ja, natürlich ist das Konzept nicht umsonst so populär geworden. Es trifft schon etwas. Was wir hier versuchen, ist es nicht komplett abzutun, sondern durch Debatte zu verbessern. Vielleicht hat sich der Anteil des Signalisierens über Überzeugungen gar nicht verändert. Aber die Art der Überzeugungen, die dafür genutzt werden, hat sich verändert. Wir sind heute viel egalitärer, und egalitäre Ideen haben kulturell enorm an Popularität gewonnen. Wenn man das allerdings übertreibt, landet man bei einer Verleugnung jeder Hierarchie. Aristokraten der Vergangenheit haben über Frömmigkeit, Loyalität zum König oder über hochgradig elitäre Manieren signalisiert. Heute ist der Chic die Egalität. Das ist in vielerlei Hinsicht gut – führt aber zugleich zu einer seltsamen Heuchelei der Eliten.
Heute sind wir viel stärker damit beschäftigt, ob zum Beispiel ein armes Kind nach Harvard gehen kann. Und ich glaube, dass Eliten heute wirklich viel mehr daran interessiert sind als Eliten vor 300 Jahren, als das fast niemanden gekümmert hat. Aber wenn man das zu weit treibt und Heuchelei damit kombiniert, dann entsteht diese absurde Haltung, in der jede Hierarchie geleugnet wird. Es ist wie eine Art toxische Wohltätigkeit. Es ist wie bei einem Elternteil, das seinen Kindern nur Gutes tun will und deshalb keine Grenzen setzt. So ähnlich ist es mit Gesellschaft und Eliten. Es ist gut, wohlmeinende Eliten zu haben, aber es ist auch sehr leicht, sich einfach gut zu fühlen, nichts zu tun und nicht zu überprüfen, welche praktischen Folgen das eigene Handeln hat. Die überwältigende Mehrheit der Eliten ist, wie man so sagt, bequem gutmeinend.
Mounk: Ich finde, man kann dieses bequem wohlmeinende Verhalten von Eliten – das ist übrigens eine sehr treffende Formulierung – auf zwei verschiedene Weisen deuten: in einer großzügigeren und in einer weniger großzügigen. Und beide sollte man im Kopf behalten. Die wohlwollendere Deutung ist, dass Eliten tatsächlich das Beste für andere Menschen wollen, sogar auf eigene Kosten, aber zu bequem sind, um genau zu überlegen, was es wirklich bräuchte, um Verbesserungen herbeizuführen. Ich glaube, das trifft manchmal zu.
Die weniger großzügige Lesart wäre, dass sie zwar Gutes für die Allgemeinheit wollen, aber ihre Bequemlichkeit auch darin liegt, dass sie ihren eigenen Status und ihr Wohlergehen nicht aufgeben wollen. Also übernehmen sie Überzeugungen, die es ihnen erlauben, ihr Wohlwollen mit dem Gefühl zu verbinden, Gutes für die Gesellschaft zu tun – ohne Status und materielles Wohlergehen aufgeben zu müssen. Vielleicht erklärt das, warum wir am Ende eher kulturelle als ökonomische Überzeugungen vorfinden. Alle paar Monate geht man zu einem Anti-Rassismus-Workshop und fühlt sich schlecht – aber man muss eben nicht sein Geld abgeben. Ich übertreibe etwas. Aber ich glaube schon, dass sie aufrichtig an das glauben, was ihnen diese positive Selbstwahrnehmung ermöglicht, auch wenn eine ernsthaftere Prüfung dieser Überzeugung sie vielleicht zu einem weniger schmeichelhaften Schluss zwingen würde.
Ein weiterer Gedanke, den du mit deinen Ausführungen bei mir ausgelöst hast, ist, dass Luxury Beliefs vielleicht geradezu ein Wesensmerkmal der Demokratie sind. Leute fragen mich manchmal: „Ist Xi Jinping ein Populist?“ Das liegt daran, dass Populismus zu einem etwas schwammigen Allzweckbegriff geworden ist, der oft einfach für Autoritäre steht. Xi Jinping ist natürlich ein Diktator. Er ist sicher nicht demokratisch gewählt. Aber ein Kern des Populismus ist eine antielitäre Haltung – und die ergibt keinen Sinn, wenn man in einem hochbürokratischen Staat selbst an der Spitze steht, wo die herrschende Partei seit hundert Jahren das Sagen hat. Dort glaubt man, dass man zu Recht die Elite ist, und sieht das als gut für Land und Gesellschaft. Das ist eine völlig andere Haltung. Wenn man in die Zeit der Aristokratie des 18. Jahrhunderts zurückgeht: Ein Adliger wird keine Luxury Beliefs haben, weil er nicht den Druck verspürt, seine Überzeugungen damit rechtfertigen zu müssen, dass sie dem Volk dienen. Diesen Druck spüren Eliten in einer Demokratie viel stärker als in einer Nicht-Demokratie. Deshalb ist die Verbreitung von Luxury Beliefs in einer tief demokratischen Kultur und Gesellschaft vermutlich viel höher als in anderen.
Mir scheint, dass wir uns einig sind, dass Luxury Beliefs ein nützliches Konzept sind; wir sollten aber nicht übertreiben, wie sehr sie in Konkurrenz zu Luxusgütern und Leistungen stehen – alles drei sind nach wie vor wichtige Statusmarker; wir müssen sehr vorsichtig sein, ihnen einen verschwörerischen Beigeschmack zu unterstellen. Aber wenn man das beachtet, kann das Konzept weiterhin sinnvoll sein. Was nimmst du aus diesem Teil des Gesprächs mit?
Teslo: Ja, ich wollte dir da zunächst vollkommen zustimmen: Luxury Beliefs treten in Demokratien häufiger auf. Manche würden sagen, das ist kein Fehler, sondern ein Merkmal – weil man, um Demokratie zu bewahren, bis zu einem gewissen Grad extremer auftreten muss, als man tatsächlich ist. Vielleicht muss man übertreiben, wie egalitär man ist. Damit bin ich völlig einverstanden. Natürlich darf man es nicht zu weit treiben, weil das zu Fehlfunktionen führt. Aber ja, grundsätzlich stimme ich deiner Beschreibung und unseren Schlussfolgerungen zu.
Ob wir den Begriff Luxury Beliefs so weiterverwenden – die Worte an sich sind nicht entscheidend. Wichtig ist, was Menschen mit ihnen verbinden. Und meine Beobachtung ist, dass viele ihn inzwischen in einem halb verschwörerischen Sinn nutzen: als ob jemand anderen insgeheim Böses wünscht und das nur kaschiert. Ich denke, wir können den Begriff weiterverwenden, aber wir müssen uns bewusst sein, dass er in dieser Richtung umgedeutet wurde. Vielleicht braucht es deshalb einen neuen Begriff. Richtig oder falsch ist der Ausdruck nicht – entscheidend ist, wie er am Ende benutzt wird.
Mounk: Lass mich das etwas ausweiten. Du bist in Rumänien geboren und trägst noch stark das Erbe von Kommunismus und Sozialismus mit dir. Du bist Wissenschaftlerin, promovierst in einem ernsten Fach, das mit Twitter-Debatten und Kulturkämpfen um Luxury Beliefs nichts zu tun hat. Ich muss sagen: Vor einem Jahr hatte ich noch nie von dir gehört, und ich glaube, den meisten ging es genauso. Und dann bist du in erstaunlich kurzer Zeit mit sehr guten Essays auf Substack zu einer wichtigen Stimme geworden.
Was hat dich veranlasst, in diese Debatten einzusteigen? Warum ist es dir mit deinem Hintergrund wichtig, dich hier einzumischen? Und warum spielen solche kulturellen Fragen für jemanden eine Rolle, dessen primäre Identität, so denke ich, doch die einer Wissenschaftlerin ist?
Teslo: Ja, danke. Das ist eine sehr gute Frage. Ich glaube, es ist eine Mischung aus vielem. Erstens hat mich schon immer alles interessiert, was mit Geisteswissenschaften zu tun hat. Ich habe in der Schule viel Literatur und Philosophie gelesen. Ich war bei der Olympiade und habe sowohl in Naturwissenschaften als auch in Philosophie und Literatur teilgenommen. In der siebten Klasse war ich, glaube ich, das einzige Kind, das sich gleichzeitig für die nationale Physik- und die Literatur-Olympiade qualifiziert hat. Ich hatte also immer diese doppelte Neigung.
Zweitens habe ich einen Text geschrieben mit dem Titel „How I Stopped Being a Culture Incel“. Darin ging es darum, dass mir als Wissenschaftlerin klargeworden ist: Selbst die Wertschätzung von Wissenschaft und Fortschritt hängt von Kultur ab. Ich habe viel über die Aufklärung gelesen, besonders über Deirdre McCloskey, die ich sehr schätze. Sie betont, dass es nicht nur materielle Faktoren waren, die die Aufklärung vorangetrieben haben, sondern auch die Art, wie Menschen über Fortschritt sprachen. Sie begannen, Fortschritt positiv zu sehen. Das kann man nicht trennen. Ich habe auch erlebt, wie Menschen gegen Märkte und Kapitalismus auftreten – und als Osteuropäerin, die weiß, wie schwer Wissenschaft in einem kommunistischen oder postkommunistischen Land ist, dachte ich: Nein, all das, woran wir hier arbeiten, all die Medikamente, die uns interessieren, hängt von einer Maschinerie ab, die im Sozialismus schlicht nicht funktioniert.
Mein erster Essay drehte sich um Probleme, die ich mit der Misinformation-Forschung habe. Dass ich nicht aus den Geisteswissenschaften komme und nicht in den Sozialwissenschaften tätig bin, hat es mir ermöglicht, dieses Konzept sehr frei zu kritisieren. Es hat keinerlei Auswirkungen auf meine Karriere. Viele Geisteswissenschaftler hingegen haben das Gefühl, dass sie solche Probleme nicht ansprechen können, weil es ihre Laufbahn unmittelbar gefährden könnte.
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Mounk: Hörerinnen und Hörer dieses Podcasts wissen, dass auch ich diesem Konzept gegenüber ziemlich skeptisch bin. Natürlich gibt es in den sozialen Medien viele Lügen. Es gibt jede Menge gezielte Propaganda. Und doch habe ich immer befürchtet, dass der Begriff so vage ist, dass er am Ende alles Mögliche bedeuten kann. Er wurde benutzt, um jede ernsthafte Debatte über den Ursprung des Coronavirus mitten in der Pandemie abzuwürgen. Er wurde genutzt, um Berichte über Hunter Bidens Laptop zu diskreditieren – die sich dann als korrekt herausstellten. Was genau stört dich also an diesem Forschungsfeld, und wie sollten wir über die Frage reden, was wahr und was falsch ist? Brauchen wir ein neues Vokabular für diese Debatten? Wie sollten wir stattdessen darüber sprechen?
Teslo: Ich glaube, in gewisser Weise leidet das Feld unter Hybris. Seit Anbeginn der Zeit haben Menschen versucht herauszufinden, was Wahrheit ist. Deshalb gibt es Philosophie, deshalb gibt es Wissenschaft. Dass es gut ist, sich um Wahrheit zu kümmern, ist trivial. Aber was die Menschen herausgefunden haben, ist: Wahrheit zu erkennen ist nicht einfach. Wir alle haben viele Verzerrungen, wir verstehen vieles nur begrenzt, die Welt ist komplex, und so weiter. Viele Gruppen in der Gesellschaft haben nach Wahrheit gesucht, viele Menschen in der Geschichte wollten Wahrheit erkennen. Für mich klingt es fast so, als würde man ein Wahrheitsministerium ausrufen, wenn man sich „Misinformation-Experte“ nennt.
Mounk: Und das zeigt sich auch daran, dass Leute, die sich als „Misinformation-Journalisten“ bezeichnen, auf Twitter und manchmal auch in Artikeln Dinge verbreiten, die nachweislich falsch sind. Also genau jene, die sich als Experten darstellen, haben eine ziemlich schlechte Bilanz.
Teslo: Ja, absolut. Und es lässt sich sehr leicht für politische Zwecke instrumentalisieren – manchmal ohne dass es den Betroffenen bewusst ist. Ich glaube nicht an Verschwörungen. Ich glaube nicht, dass diese Menschen böse sind. Sie glauben vermutlich aufrichtig an ihre Mission. Aber es ist sehr, sehr einfach, sich selbst einzureden, man sei eine Art Wahrheits-Schiedsrichter, wenn man sich „Misinformation-Experte“ nennt. Es hat ja schon etliche Skandale gegeben, und man macht heute Witze darüber: „Schon wieder hat ein Misinformation-Experte bei seinem Lebenslauf gelogen!“ Wichtig ist, dass wir begreifen: Wir alle sind fehlbar. Was wir brauchen, sind gute Institutionen, denen Menschen vertrauen können und die in einem ständigen Prozess von Selbstkritik und Erkenntnis stehen. Oft macht gerade das Label „Misinformation“ Institutionen bequemer, weil sie sich dadurch gut fühlen. Da stimme ich Rob zu: Wir müssen härter mit Eliten ins Gericht gehen. Wir brauchen Eliten, die sich selbst korrigieren. Wir brauchen Universitäten, die sich selbst korrigieren. Der Maßstab, an dem wir Universitäten messen, darf nicht derselbe sein wie bei Breitbart. Universitäten müssen so korrekt wie möglich sein, um Vertrauen zu schaffen.
Das eigentliche Problem von Misinformation ist nicht Misinformation selbst – Unwahrheit wird es immer geben –, sondern die Vertrauenskrise in unserer Gesellschaft. Das Vertrauen in Institutionen ist stark gesunken, besonders bei Republikanern, aber auch bei Demokraten. Gallup-Umfragen zum Vertrauen in Universitäten zeigen ebenfalls einen deutlichen Rückgang. Intellektuelle müssen der Wahrheit ins Auge sehen: Es gab Fehler. Es gab Fehleinschätzungen, etwa bei der Frage, wie stark Lockdowns Kinder beeinträchtigen würden, oder bei den Ursprüngen von COVID. Mir erscheint es nicht richtig, jemanden als Verschwörungstheoretiker abzustempeln, nur weil er eine Theorie vorbringt – aber genau das haben Misinformation-Forscher oft getan. Das eigentliche Versagen der Institutionen war mangelnde Selbstkritik und Selbstzufriedenheit – dieses „Ich bin so viel besser als das Fußvolk“. Der richtige Weg wäre, in sich zu gehen und darüber nachzudenken, wie man Vertrauen zurückgewinnt. Und dazu gehört auch, das zu reduzieren, was Matthew Yglesias „Elite-Misinformation“ nennt. Denn auch Eliten glauben an Falsches. Sie tun es nur auf raffiniertere Weise. Sie klingen nicht wie Breitbart. Sie klingen nicht wie verrückte Verschwörungstheoretiker. Aber sie glauben dennoch falsche Dinge.
Mounk: Was wären Beispiele für solche „Elite-Misinformation“?
Teslo: Ich erinnere mich, als die Lockdowns verhängt wurden, sagte Emily Oster, eine Ökonomin: „Wir müssen über Schulschließungen nachdenken, weil die Gefahr für Kinder durch COVID sehr gering ist, aber die Schäden für ihre Entwicklung und Bildung sehr groß sein könnten, vor allem für benachteiligte Kinder.“ Damals wurde sie auf Twitter massiv kritisiert. Man warf ihr vor, sie wolle Menschen sterben sehen. Und das waren andere Eliten, keine zufälligen Nutzer. Für mich war das ein Beispiel für Elite-Misinformation.
Neulich habe ich auf Twitter eine Studie gesehen, die damals sehr populär war: Sie besagte, dass Babys von Minderheiten häufiger sterben, wenn sie von weißen Ärzten behandelt werden. Weil das ins liberale Weltbild passte, wurde sie stark verbreitet. Aber es stellte sich heraus, dass sie auf einem statistischen Fehler beruhte, und es gab eine fundierte Widerlegung. Heute akzeptieren die meisten, dass die Studie fehlerhaft war.
Mounk: Das ist ein faszinierender Fall. Soweit ich das verstanden habe, ist es zwar korrekt, dass schwarze Neugeborene höhere Sterberaten haben, wenn sie von weißen Ärzten behandelt werden. Aber bei genauerem Hinsehen liegt das daran, dass weiße Ärzte öfter dann zum Einsatz kommen, wenn es dem Baby schlechter geht. Vielleicht, weil in den USA Senior-Ärzte häufiger weiß sind oder große Kliniken mehr weiße Ärzte haben. Bei unkomplizierten Geburten ohne Risiko wird ein Kind also eher von einem schwarzen Arzt betreut. Wenn die medizinischen Umstände aber kritisch sind, übernimmt mit höherer Wahrscheinlichkeit ein weißer Arzt. Und sobald man diese Hintergrundfakten berücksichtigt, verschwindet der vermeintliche Effekt auf die Sterblichkeit.
Der andere Punkt, den du angesprochen hast, als ich nach deinem Weg in die öffentliche Debatte gefragt habe, war die Bedrohung der tieferen Kultur, die unseren Fortschritt trägt. Warum sollten wir optimistisch sein, dass wir kollektiv echten Fortschritt machen können? Und in welchem Maße sind die sozialen Normen und Institutionen, die diesen Fortschritt absichern, heute tatsächlich bedroht?
Teslo: Das ist eine gute Frage. Und schwer zu beantworten, weil wir nicht viele Vergleichsmaßstäbe haben. Dieses moderne Rahmenwerk gibt es seit weniger als 200 Jahren, vielleicht noch kürzer. Die Idee, dass offene Diskussion entscheidend ist und dass es Institutionen gibt, die diesem Zweck dienen, ist eine Ideologie des 19. Jahrhunderts. Ich denke, heute ist sie wahrscheinlich stärker bedroht als noch vor 30 Jahren. Aber ich sehe trotzdem Gründe für Optimismus. Ich glaube, das Bewusstsein für Freiheit ist in vielen unserer Kulturen tief verankert. Und anders als vor 40 Jahren haben wir heute auch mehr technologische Mittel, um sie zu sichern. Zum Beispiel ist es viel schwerer geworden, die Medien zentral zu kontrollieren. Über Plattformen wie Substack kann jeder seine Meinung veröffentlichen. Es ist also viel schwieriger, jemanden komplett aus dem öffentlichen Raum zu verbannen.
Mounk: Es gibt diese Debatte darüber, ob der Fortschritt langsamer geworden ist – ob wir, wenn man die technologische Transformation zwischen 1940 und 1980 mit der von 1980 bis 2020 vergleicht, in den letzten Jahrzehnten ähnlich schnell vorangekommen sind. Wie sollten wir über das Tempo des Fortschritts in der Hintergrundkultur nachdenken? Was können wir tun, um dieses Tempo zu erhöhen? Und warum sollten wir es überhaupt erhöhen?
Teslo: Ich glaube, dass viele unserer heutigen Luxusgüter – sowohl moralische als auch materielle, aber besonders die moralischen – durch technologischen Fortschritt ermöglicht wurden. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn wir wieder in einem Malthus’schen Regime der Knappheit lebten, wie über weite Teile der Geschichte, in denen es keine Fülle an Nahrung gab und Menschen wirklich um Ressourcen kämpfen mussten. In den USA an echter Hungersnot zu sterben ist heute sehr selten. Natürlich haben Menschen Probleme mit Ernährungssicherheit, aber Hungersnöte waren über die Geschichte hinweg eine Realität. Ich glaube, viel von unserem Wohlwollen – selbst das heuchlerische Wohlwollen, das Eliten sich leisten können – ist nur möglich, weil wir diesen Überfluss haben. Wir leben nicht in einer Welt der Knappheit. Die Befreiung der Frauen war stark gestützt auf medizinische Innovationen wie die Antibabypille. Und ich glaube, dass künftig die reproduktive Gesundheit von Frauen sehr wichtig sein wird, um Selbstbestimmung weiter auszubauen. Deshalb denke ich, dass vieles, was Menschen unterschiedlicher politischer Lager wichtig ist, letztlich durch technologischen Fortschritt getragen wird. Und genau deshalb sollten wir diesen Fortschritt wollen.
Mounk: Was hat das mit der Rolle der Frauen zu tun? Du hast einen Artikel geschrieben, in dem du argumentierst, dass die Seite, die für Fortschritt eintritt, Frauen auf eine andere Art überzeugen muss, wenn sie gewinnen will. Wie hängen diese beiden Phänomene zusammen?
Teslo: Erstens glaube ich, dass Menschen in ähnlicher Weise, wie sie bequem wohlmeinend sind und ihre Ansichten eher passiv übernehmen, stark von Ästhetik beeinflusst werden, wenn es darum geht, woran sie glauben. Meistens geht es nicht um sorgfältige Abwägung, sondern um die Ästhetik der Personen, die Ideen verbreiten, und um die Ästhetik, wie diese Ideen dargestellt werden.
Zweitens sind Frauen sehr wichtig für die Verbreitung von Kultur. Ich glaube nicht, dass man eine gesunde kulturelle Bewegung haben kann, ohne dass Frauen daran beteiligt sind. Und es ist auch für Frauen selbst gut. Wenn man diese beiden Gedanken kombiniert, ergibt sich: Die Art, wie man technologischen Fortschritt darstellt, sollte auch für Frauen attraktiv sein. Man kann ihn so rahmen, dass er Frauen anspricht – oder eben nicht. Nehmen wir das Beispiel Pharmaunternehmen. Man kann darüber sprechen, dass sie gierig und unsozial sind und Menschen zu viel abknöpfen wollen. Und vielleicht, da Frauen im Schnitt etwas prosozialer eingestellt sind, führt das dazu, dass Frauen Pharmaunternehmen noch stärker ablehnen als Männer. Aber man kann auch darüber sprechen, wie Pharmaunternehmen unsere Fähigkeit verbessert haben, Kinder oder Kranke zu behandeln. Die durchschnittliche Lebenserwartung von Menschen mit Mukoviszidose ist in den letzten Jahrzehnten von 4 auf 44 Jahre gestiegen – das ist erstaunlich. Ich glaube, dass die prosoziale Rolle des Fortschritts in den etablierten Medien stark unterbelichtet ist. Und das hat Frauen möglicherweise weniger für Fortschritt begeistert.
Ich sehe, dass diese neue Fortschrittsbewegung zum großen Teil von Männern dominiert wird, mit Rechtfertigungen oder einer Ästhetik, die wohl vor allem andere Männer anspricht: Wir müssen zum Mars, wir müssen den Mars erobern. Wir wissen alle: Jungen spielen gern mit Spielzeugen, sie wollen erobern, Soldaten sein oder was auch immer. Frauen werden sich für den Mars nicht in gleichem Maße begeistern. Aber sie müssen das auch nicht – denn es gibt so viele Aspekte des Fortschritts, die Frauen ganz natürlich ansprechen, wie etwa die Heilung von Menschen mit Mukoviszidose.
Weil Frauen so entscheidend sind in kulturellen Bewegungen und bei der Weitergabe von Kultur, müssen wir sie einbeziehen. Und der Weg dazu ist, den Fortschritt so zu präsentieren, dass seine Ästhetik auch für sie attraktiv ist.
Mounk: Du bist jetzt seit gut einem Jahr auf Substack, auf Twitter schon etwas länger. Läuft es? Du hast dir sehr schnell ein großes Publikum aufgebaut. In gewisser Hinsicht bist du also ungewöhnlich erfolgreich. Aber ist diese Form der öffentlichen Auseinandersetzung tatsächlich ein wirksamer Weg, die Welt zu verändern? Oder ist es eher ein nettes Hobby, das am Ende keine große Rolle spielt? Ich frage auch deshalb, weil ich meine Identität als Autor vielleicht stärker verinnerlicht habe als du. Du hast gewissermaßen eine zweite Identität als Wissenschaftlerin, die ich so nicht habe. Ich bin Politikwissenschaftler, aber das hängt viel enger mit dem Schreiben über Politik und Kultur zusammen. Und ich schwanke sehr, ob Ideen wirklich bestimmen, was in der Kultur geschieht. Die Vorstellung, dass man zu Hause sitzt, einen klugen Substack-Post oder einen Op-Ed in der New York Times schreibt – und dass das dann irgendwie die Richtung dessen verändert, was Menschen tatsächlich tun, wirkt naiv.
Nach einem Jahr in diesen Debatten: Wie optimistisch oder pessimistisch bist du, dass das tatsächlich ein effektiver Weg ist, positiven Einfluss auf die Welt zu nehmen?
Teslo: Ich glaube, das ist schwer zu messen. Es ist gut, gute Motive zu haben, und es ist gut, den eigenen Einfluss auf die Welt zu reflektieren. Aber es ist sehr, sehr schwer, das genau zu bestimmen. Und das gilt für jeden Beruf. Es gibt immer Kräfte, die außerhalb unserer Kontrolle liegen. Selbst ein Präsident wie Obama hat viele Dinge nicht so laufen sehen, wie er es erwartet hatte. Und vieles, was er getan hat, hatte unbeabsichtigte Folgen. Und das sind Menschen, die nach allen denkbaren Definitionen sehr viel Macht und Einfluss haben. Selbst sie können nicht wirklich vorhersagen, was in zehn Jahren aus ihren Entscheidungen wird. (Deshalb glaube ich zum Beispiel nicht an Longtermism.) Also: Mach etwas, das du gut kannst, sei im Moment von den richtigen Werten motiviert, und hab ein paar objektive Kurzfrist-Messgrößen. Schau, ob dich jemand Wichtiges liest, und so weiter.
Aber ja, ich glaube, Ideen können sehr mächtig sein. Ich habe das selbst erlebt. Ob Menschen, die diese Ideen entwickeln, am Ende etwas schaffen, das sie gar nicht wollten, oder ob Ideen ein Eigenleben entwickeln und viele unbeabsichtigte Folgen haben – das gibt es. Aber das gilt auch für jede andere Handlung. Meine Antwort ist also: ja und nein, aber das trifft im Grunde auf jedes menschliche Streben zu. Es sei denn, du bist, sagen wir, ein Arzt, der drei Patienten am Tag behandelt.
Mounk: Aber selbst dann ist es komplizierter, oder? Ich habe viele Freunde, die Ärzte sind, und ich bewundere, was sie tun. Man geht zur Arbeit und solange man keinen groben Fehler macht, rettet man Leben. Aber der tatsächliche Einfluss auf die Welt ist viel schwerer zu bestimmen. Gerade in einem Land wie den USA, wo Studienplätze knapp sind, nimmt man ja im Grunde nur den Platz von jemand anderem ein. Wenn du nicht Arzt geworden wärst, stünde ein anderer Arzt im Krankenhaus. Die Frage ist also: Fügst du über den Ersatz hinaus wirklich Wert hinzu? Hätte der andere Arzt bessere oder schlechtere Arbeit geleistet? Das ist schwer zu beantworten.
Dein Punkt zu Obama gefällt mir. Angenommen, er hatte genau die richtigen Werte – was ich insgesamt oft denke. Er ist sicher einer der amerikanischen Politiker, die ich mehr bewundere als viele andere. Aber es ist leicht, sich vorzustellen – und vielleicht hat Obama selbst das gedacht –, dass es uns nach 2012, wenn er gegen Mitt Romney verloren hätte, besser gegangen wäre. Romney ist ein respektabler Politiker mit respektablen Werten. Vielleicht hätten wir uns damit viel Ärger in den letzten acht Jahren erspart. Die Frage ist nun: Ist das beunruhigend oder befreiend? Sollte uns das deprimieren – dass wir letztlich nie wissen, ob unser Leben Sinn hat, sodass wir uns frustriert zurückziehen und nur noch kiffen und Xbox spielen? Oder sollten wir sagen: Gerade deshalb noch mehr Grund, Dinge zu tun, die wir wertvoll und sinnvoll finden. Noch mehr Grund, Dinge zu tun, die uns etwas bedeuten – und wir hoffen auf das Beste, auch wenn es letztlich nicht in unserer Hand liegt. Und paradoxerweise könnte das sogar befreiend sein.
Teslo: Für mich persönlich ist es eher befreiend. Deshalb orientiert sich mein moralisches Denken auch an etwas, das der Tugendethik nahesteht. Natürlich denke ich konsequentialistisch, wenn ich die Ergebnisse wirklich messen kann. Aber insgesamt muss man nach Prinzipien handeln, sich von ihnen motivieren lassen und dann auf das Beste hoffen. Wenn genug Menschen sich von denselben Prinzipien leiten lassen, dann kann sich der Lauf der Geschichte ändern. Aber du kannst nie völlig kontrollieren, was andere glauben oder tun. Was du kannst, ist, das bestmögliche Leben zu führen, das du dir auf Grundlage deiner Werte vorstellen kannst.
Es gibt ein Zitat von Tolkien: „Alles, was wir haben, ist die Zeit, die uns gegeben ist.“ Und das ist es. Es hat keinen Sinn, sich zu quälen. Man tut sein Bestes mit der Zeit, die einem bleibt, mit den Fähigkeiten und Talenten, die man hat. Und ich glaube, man sollte ein erfolgreiches Leben daran messen, ob jemand seine natürlichen Interessen und Talente genutzt hat – und ob er sie so eingesetzt hat, dass sie im Einklang mit den Werten stehen, die er vertritt.
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Dieses Transkript wurde mit Hilfe von KI übersetzt und von Niya Krasteva redigiert.