Warum die Demokraten noch lange woke bleiben werden
Es gibt tiefgreifende strukturelle Gründe, warum es für die Linke sehr schwer sein wird, ihren Kurs zu korrigieren.
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Yascha
Es gibt viele Gründe, warum die Demokraten verloren haben. Sie litten unter einem unbeliebten Amtsinhaber, wurden für die hohe Inflation der letzten Jahre bestraft und stellten eine wenig inspirierende Kandidatin auf, die es nicht geschafft hat, eine klare Regierungsagenda zu präsentieren. Doch der wesentliche Grund, warum so viele Wählergruppen, die lange als Garant für demokratische Erfolge galten, sich nun den Republikanern zuwenden – und derjenige, der die Chancen der Demokraten in den kommenden Wahlen, wenn sie nicht mehr die Bürde der Amtsinhaberschaft tragen, am wahrscheinlichsten beeinträchtigen wird – liegt darin, dass sie als weit außerhalb des kulturellen Mainstreams wahrgenommen werden.
Die Demokraten sprechen heute mit den Sprachmustern und dem Vokabular der akademisch gebildeten Elite der amerikanischen Meritokratie. Das entfremdet zunehmend eine multiethnische Koalition, die aus all jenen besteht, für die in dieser Elite kein Platz ist – sowie aus denen, die die ständige Selbstüberwachung und Selbstzensur satt haben, die erforderlich ist, um Teil dieser Elite zu bleiben.
Um den Schaden an ihrer zunehmend toxischen Marke zu überwinden, müssen die Demokraten ändern, wie sie sprechen und was sie sagen. Dazu gehört, einige der unpopulärsten Elemente des identitären Denkens der Linken – umgangssprachlich als „woke“ bekannt –, die sie in den letzten zehn Jahren übernommen haben, hinter sich zu lassen: den Schwerpunkt auf DEI (Diversity, Equity, Inclusion), das Vokabular von BIPOC und Latinx. Doch die Aufgabe geht weit darüber hinaus. Die Demokraten müssen die Amerikaner davon überzeugen, dass sie bereit sind, die Wahrheit zu sagen, selbst wenn diese die Aktivistengruppen, die einen großen Teil ihrer Basis ausmachen, schockieren mag; dass sie mit normalen Bürgern sympathisieren, die von Kriminalität und Chaos genug haben, und nicht mit Kleinkriminellen, die die öffentliche Ordnung stören; und dass sie verstanden haben, wie man für Inklusion eintritt, ohne den gesunden Menschenverstand zu verletzen.
Wird es der amerikanischen Linken gelingen, eine derart tiefgreifende Selbstveränderung herbeizuführen?
Es ist verlockend zu glauben, dass sich die Linke endlich von der Wokeness abwendet. Im September berichtete beispielsweise The Economist von einem moderaten Rückgang der Häufigkeit, mit der Begriffe wie „Intersektionalität“ und „Mikroaggression“ in Mainstream-Medien oder wissenschaftlichen Artikeln erwähnt werden. Das Magazin zog daraufhin den Schluss, dass wir „Peak Woke“, also den Höhepunkt der Wokeness überschritten haben.
Die offene Ablehnung einiger identitärer Positionen, zu denen die Demokraten noch vor wenigen Wochen scheinbar unabändbar verpflichtet waren, scheint diese Prognose zu bestätigen. Seit Trumps Sieg haben gewählte Amtsträger wie Gilberto Hinojosa, der scheidende Vorsitzende der Demokratischen Partei von Texas, und Seth Moulton, ein moderaterer demokratischer Abgeordneter aus Massachusetts, vernünftigerweise dazu aufgerufen, die unpopulärsten kulturellen Positionen der Demokraten aufzugeben. „Die Demokraten verbringen viel zu viel Zeit damit, zu versuchen, niemanden zu beleidigen, anstatt brutal ehrlich über die Herausforderungen zu sprechen, mit denen viele Amerikaner konfrontiert sind“, räumte Moulton letzte Woche ein. „Ich habe zwei kleine Töchter, und ich möchte nicht, dass sie auf einem Spielfeld von einem männlichen oder ehemals männlichen Athleten überrannt werden – aber als Demokrat soll ich Angst davor haben, das zu sagen.“
Viele Demokraten, mit denen ich in den letzten Wochen gesprochen habe, sind hoffnungsvoll, dass der Stimmungswechsel innerhalb der Linken echt ist. Laut Maureen Dowd, Kolumnistin der New York Times, „wachen einige Demokraten endlich auf und erkennen, dass wokeness am Ende ist.“ Der langjährige Strategieberater der Demokraten, James Carville, scheint diese Ansicht zu teilen. Demokraten, sagte er zu Dowd, fliehen vor identitären Positionen „wie der Teufel vor dem Weihwasser.“
Doch ich bin skeptisch, ob sich die Dinge letztendlich so entwickeln werden.
Der erste Hinweis darauf, dass es den Demokraten schwerfallen wird, sich in bedeutender Weise von ihrem toxischen Image der Identitätspolitik abzuwenden, ist, dass diejenigen, die zu einer Neuausrichtung aufgerufen haben, bereits dafür bestraft werden, dass sie ihre Meinung geäußert haben. Hinojosa zum Beispiel wurde schnell gezwungen, sich für seine Äußerungen zu entschuldigen; einen Tag später trat er von seinem Posten zurück. Auch Moulton zog die Wut aus den eigenen Reihen auf sich: Sein Wahlkampfmanager Matt Chilliak kündigte offenbar aus Protest gegen seine Aussagen. Einige seiner ehemaligen Mitarbeiter forderten Moulton auf, sich zu entschuldigen. Der Vorsitzende der Politikwissenschaft an der Tufts Universität erklärte, das Institut werde keine Praktikanten mehr in sein Büro schicken (obwohl die Universität diese Aussage schnell zurückzog).
Anstatt der von Hinojosa und Moulton angebotenen Diagnose zuzustimmen, leugnen viele Teile der Partei offen das Ausmaß, in dem das, was Carville treffend als „Politik des Dozentenraums“ bezeichnet hat, ihren Wahlaussichten schadet. Jon Stewart, der Moderator der beliebten Fernsehsendung, die von der Heute Show mit bedingtem Erfolg nachgeahmt wird, fasste den aufkommenden Konsens vor Kurzem zusammen. Kamala Harris, so behauptete er, habe keinen Wahlkampf auf der Grundlage von Identitätspolitik geführt, und daher sei Identitätspolitik für ihre Niederlage auch nicht verantwortlich. „Sie haben nicht das Woke-Ding gemacht“, witzelte Stewart. „Sie haben in den letzten vier Monaten wie Republikaner gehandelt.“ Einige progressive Journalisten mit großer Reichweite waren noch abweisender. Laut einem von ihnen wurde die Wahl nicht durch die Hoffnung auf „ein besseres Leben für die eigene Familie und die Zukunft der Gemeinschaft“ entschieden, sondern vielmehr durch ein weit verbreitetes „Verlangen, Außengruppen zu dominieren und ihnen Grausames zuzufügen“.
Darüber hinaus besteht jeder der zerstrittenen Flügel der Partei darauf, dass Harris verloren hat, weil sie nicht ihren bevorzugten Politiken und politischen Stil gefolgt sei. Senator Bernie Sanders und seine Verbündeten haben die Niederlage auf die Unwilligkeit der Demokraten zurückgeführt, für wirtschaftlich progressivere Politiken zu kämpfen. Andere Flügel der Partei haben die Niederlage unterdessen dem zugeschrieben, dass die Demokraten in kulturellen Fragen nicht ausreichend radikal gewesen wären oder ihren Kurs im Nahostkonflikt nicht stark genug verändert hätten. Fast alle führenden Demokraten sind also der Meinung, dass die Partei sich ändern sollte; es trifft sich nur so, dass fast alle von ihnen glauben, sie sollte nun genau das tun, was sie selbst schon seit jeher bevorzugen.
Es ist für die Demokraten auch deshalb so schwierig, sich auf eine echte Kurskorrektur zu einigen, weil viele ihrer unpopulärsten Positionen in ihrer grundlegenden Weltsicht wurzeln. Seit Jahrzehnten schauen die Demokraten durch die Linse tief identitärer Kategorien auf das eigene Land. Anstatt Wähler anzusprechen, die zufällig Latino sind, glauben sie, dass sie „die Latino-Gemeinschaft“ mobilisieren müssen. Anstatt die Fluidität der amerikanischen Identität anzuerkennen, glauben sie, dass das Land grundsätzlich zwischen Weißen und „People of Color” aufgeteilt ist. Und anstatt zu glauben, dass die Lösung für die unbestreitbare Tatsache anhaltender Diskriminierung und Benachteiligung in der Verwirklichung universeller Ideale liegt, gehen sie zunehmend davon aus, dass die Rechte und Pflichten jedes Bürgers grundlegend von der Identitätsgruppe abhängen sollten, in die er hineingeboren wurde.
Kommentatoren, die glauben, dass die Demokraten dabei sind, die Wokeness über Bord zu werfen, nehmen normalerweise an, dass dies nur eine Kurskorrektur bei einigen heiklen Themen erfordern würde. Verzichten Sie darauf, den Begriff Latinx zu verwenden, hören Sie auf zu sagen, dass Sie die Polizei abschaffen wollen, erkennen Sie (falls Sie wirklich mutig sind) an, dass es nicht ganz offensichtlich ist, ob trans Frauen, die eine männliche Pubertät durchlaufen haben, in Frauensportarten antreten sollten – und das Problem ist gelöst. Aber die unpopulären Positionen der Demokraten zu diesen Themen sind lediglich ein Symptom einer viel tiefer verwurzelten Weltsicht – und wenn sie diese Weltsicht nicht grundlegend ändern, werden sie schnell neue Positionen zu kulturellen Themen einnehmen, die sich als ebenso unpopulär erweisen werden.
Damit kommen wir schließlich zum grundlegendsten Hindernis für eine echte Kurskorrektur: die Unterstützer, die Geldgeber und die Aktivisten, die die eigentlichen Entscheidungsträger in der Demokratischen Partei sind. Die Demokraten sind unverhältnismäßig stark von jungen Unterstützern abhängig, die kürzlich ihren Abschluss an angesehenen Universitäten gemacht haben. Viele dieser Unterstützer wurden in der Treibhauskultur des Campus-Aktivismus sozialisiert, in der eine angeblich beleidigende Bemerkung zu dauerhaftem sozialem Ausschluss führen kann. Da sie am Anfang ihrer Karriere stehen, haben sie oft einen größeren Anreiz, ideologische Reinheit zu demonstrieren, als die nächste Wahl zu gewinnen.
Auch die Wahlkampffinanzierung stellt ein strukturelles Problem dar. Viele gehen davon aus, dass die ultrareichen Spender - im Jargon der amerikanischen Spendensammler „High Net-Worth Individuals“ und „Ultra-High Net-Worth Individuals“ genannt - welche inzwischen einen Großteil der finanziellen Mittel der Demokraten bereitstellen, die Partei in die Mitte ziehen. Doch obwohl einige von ihnen in wirtschaftspolitischen Fragen moderatere Ansichten haben als das durchschnittliche Mitglied der Parteibasis, sind ihre Ansichten zu kulturellen Themen oft weitaus progressiver.
Schließlich haben die Demokraten in den letzten Jahren zunehmend eine unterwürfige Haltung gegenüber den zahlreichen gut finanzierten Aktivistengruppen eingenommen, die inzwischen ein zentrales Segment der Linken ausmachen. Ihre Versuche, bestimmte demografische Gruppen anzusprechen, stützen sich stark auf Aktivistenorganisationen, deren wohlhabende und stark ideologisierte Führungspersönlichkeiten vorgeben, im Namen von Millionen gewöhnlicher Amerikaner zu sprechen. Wie Ezra Klein von der New York Times kürzlich betonte, fragen die Führungskräfte der Demokratischen Partei, wenn sie ein Gefühl dafür bekommen wollen, was verschiedene demografische Gruppen wollen, die Vertreter ihres „Non-Profit-Komplexes“. Doch die Antworten, die sie erhalten, haben sich als „wirklich irreführend“ erwiesen.
Wie in den letzten Tagen deutlich wurde, ist die Zusammensetzung der demokratischen Koalition der wesentlicher Grund für ihre ideologische Starre. Das Profil des durchschnittlichen demokratischen Unterstützers erklärt den Gegenwind, dem Hinojosa und Moulton ausgesetzt waren, sobald sie versuchten, einen kleinen Teil der identitären Orthodoxie der Partei abzulegen. Die kulturellen Überzeugungen der Spenderklasse erklären, warum progressive Staatsanwälte in Philadelphia und San Francisco, die der Marke der Partei erheblichen Schaden zufügten, auf großzügige Wahlkampfspenden zählen konnten. Und die übermäßige Abhängigkeit von inszenierten Aktivistengruppen mit geringer organischer Verbindung zu tatsächlichen Wählern erklärt die große Kluft zwischen den Positionen der Demokraten zur Einwanderung und den Ansichten tatsächlicher hispanischer Wähler.
Amerikanische Parteien haben keinen echten Anführer, es sei denn, sie stellen den Präsidenten oder befinden sich mitten in einer Präsidentschaftskampagne. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass die Demokratische Partei bis zu den nächsten Vorwahlen weiterhin von Kakophonie geprägt sein wird. Diese demokratische Kakophonie könnte zwar ein paar mehr Stimmen umfassen, die offen kritisch gegenüber der identitären Sackgasse der Partei sind – aber sie wird auch viele Politiker beinhalten, die wollen, dass die Partei weiterhin auf die Spender, Aktivistengruppen und jungen Unterstützer hört, die tief in denselben identitären Ideen verankert bleiben.
Der Kampf der Demokraten um die „Wokeness“ wird mindestens weitere vier Jahre andauern. Die katastrophale Niederlage in diesem Jahr deutet darauf hin, dass er letztendlich auf eine von zwei Arten enden wird: Entweder gelingt es einem Vertreter der kleinen anti-woken Fraktion der Partei, die Vorwahlen 2028 mit einer neuen und inklusiveren Vision für die Zukunft des Landes zu gewinnen – oder ein handverlesener Nachfolger Trumps fügt der Demokratischen Partei im Herbst eine noch entscheidendere Niederlage zu.
Hier geht es zum Originalartikel auf Englisch.
Eine Version dieses Essays erschien ursprünglich am 18. November in The Dispatch. Mit Genehmigung nachgedruckt.