18 Einsichten über das Chinesischlernen
Von Tönen, Taxifahrern und dem guten Gefühl, nichts zu kapieren.
Vor ein paar Tagen bin ich von einer längeren Reise ins chinesische Festland zurückgekehrt. In den nächsten Monaten will ich mehr über das Land schreiben – über seine Geschichte nachdenken und mir ein Bild davon machen, wo seine Stärken und Schwächen liegen.
Während meines Aufenthalts habe ich viele spannende Leute kennengelernt, die ehrgeizige Projekte verfolgen. Ganz im Tom-Friedman-Stil habe ich mit Dutzenden Taxifahrern über ihr Leben geplaudert. Und ich habe zwei Wochen lang intensiv Chinesisch gelernt – jeden Tag mehrere Stunden, um mein Mandarin zu verbessern. Auf Anregung von Luke, unserem leitenden Redakteur bei Persuasion, habe ich mich entschieden, ein paar Gedanken zu teilen: darüber, wie es ist, als Erwachsener eine Sprache zu lernen; was beim Chinesischlernen besonders herausfordernd ist; und was diese Sprache so faszinierend macht.
Klar, es ist leichter, eine neue Sprache zu lernen, wenn man noch klein ist. Kinder saugen eine Sprache durch reines Eintauchen auf – diese Fähigkeit geht mit dem Alter leider flöten. Aber ich finde, der Unterschied zwischen dem Lernen als Teenager und dem Lernen mit Mitte dreißig oder fünfzig wird oft übertrieben. Jedenfalls war ich selbst positiv überrascht: Mein Fortschritt im Chinesischen fühlt sich nicht wirklich langsamer oder frustrierender an als damals, als ich in meinen späten Teenagerjahren Italienisch oder Französisch gelernt habe.
Man kann sich das so vorstellen: Sobald man das Alter hinter sich gelassen hat, in dem man eine Sprache einfach durch Osmose aufsaugt, braucht man vier Dinge, um sie zu lernen: geistige Flexibilität, die Motivation, sich etwas Neues anzueignen, genügend Zeit – und die Fähigkeit, effektiv zu lernen. Wenn Leute sagen, es sei als Erwachsener viel schwerer, eine neue Sprache zu lernen, meinen sie meistens den ersten Punkt. Und ja, die sogenannte „Gehirnplastizität“ beginnt tatsächlich schon in den frühen Zwanzigern langsam abzunehmen. Aber genau das ist der Punkt: Sie nimmt nur langsam ab. Der eigentliche Stolperstein ist also nicht das Gehirn, sondern die Frage, ob man genug Motivation und Zeit findet. Ich habe andere Sprachen – darunter auch Englisch – damals gelernt, als ich eine Zeit lang in den jeweiligen Ländern gelebt habe, mit Freunden gequatscht und mich durch den Alltagskram geschlagen habe. Später im Leben ist es einfach schwieriger, mal eben für ein Jahr oder länger in ein anderes Land zu ziehen und ganz in Kultur und Sprache einzutauchen. Es gibt aber auch einen Vorteil: Viele Menschen, mich eingeschlossen, lernen im Erwachsenenalter effektiver zu arbeiten und disziplinierter zu lernen.
Wenn man eine neue Sprache lernt, muss man plötzlich mit der naiven Schlichtheit eines Kindes sprechen. In Momenten, in denen ich krampfhaft versuchte, irgendeinen simplen Gedanken meinen Sprachlehrern zu vermitteln, musste ich immer wieder an David Sedaris’ unnachahmliche Schilderung denken, wie seine Klassenkameraden in einem Französischkurs versuchten, Ostern zu erklären:
„Es ist“, sagte eine [polnische Schülerin], „eine Party für den kleinen Jungen von Gott, der sich selber Jesus nennt und … oh, Scheiße.“ Sie stockte, und ihr Landsmann sprang ein. „Er nennt sich selber Jesus, und dann ist er gestorben eines Tages auf zwei … Stücken von … Holz.“
Der Rest der Klasse mischte sich ein und warf Brocken von Information in den Raum, die dem Papst vermutlich einen Herzinfarkt eingebracht hätten.
„Er ist gestorben eines Tages, und dann ist er über meinem Kopf gegangen, um mit deinem Vater zu leben.“
„Er trug das lange Haar, und nachdem er gestorben ist, am ersten Tag ist er zurückgekommen, um den Leuten Hallo zu sagen.“
„Er nett, der Jesus.“
„Er macht die guten Dinge, und an dem Ostern wir sind traurig, weil jemand macht ihn tot heute.“
Zum Glück musste ich Ostern nie auf Chinesisch erklären. Aber das Gefühl, einen feinen Punkt ausdrücken zu wollen, nur um zuzusehen, wie er sich in eine Karikatur seiner selbst verwandelt – das kenne ich nur zu gut.
Fortschritte beim Sprachenlernen verlaufen selten linear. Das Zertifikat meiner Sprachschule bescheinigt mir mittlerweile ein oberes Mittelstufenniveau in Chinesisch. Manchmal fühlte sich das auch absolut richtig an: An manchen Tagen sprudelten die Worte nur so, und ich hatte genug Selbstvertrauen, um mich mit Taxifahrern oder Ladenbesitzern richtig zu unterhalten. Und dann gab es Tage, an denen sich mir selbst die einfachsten chinesischen Wörter einfach partout nicht einfallen wollten. Eine Sprache zu lernen ist auch eine Übung in Geduld – und darin, seinem eigenen Gehirn gnädig zu sein, wenn es nicht machen will, was man ihm sagt.
Das Einfachste an der chinesischen Sprache ist die Grammatik. Es gibt keine Konjugationen – also keine Veränderungen am Verb, um Zeitform oder Modus anzuzeigen, wie es etwa im Spanischen der Fall ist (yo hablo, aber tú hablas). Es gibt auch keine Deklinationen – also keine Änderungen am Nomen zur Kennzeichnung grammatischer Fälle, die Latein oder Deutsch so knifflig machen (domus, domi, domum usw.). Weil das Chinesische keine Verbendungen nutzt, um Informationen zu transportieren, bleibt einem sogar das Härteste an einer Sprache erspart, deren Grammatik ansonsten erstaunlich simpel ist: dem Englischen. Im Chinesischen gibt es nämlich keine unregelmäßigen Verben.1
Diese grammatische Schlichtheit macht es im Großen und Ganzen angenehm einfach, grundlegende Informationen wie etwa den Zeitpunkt einer Handlung auszudrücken. Die Zukunft wird mit einem einzigen Wort markiert: 会 (huì). Konditionalsätze – für viele Lernende eine echte Stolperfalle im Deutschen („Wenn du beim Deutschlernen besser aufgepasst hättest, wüsstest du jetzt, wie man den Konditionalsatz benutzt.“) – lassen sich im Chinesischen durch einfache Wortpaare ausdrücken: „wenn“ (如果, rú guǒ) und „dann“ (就, jiù).
Die größte Schwierigkeit beim Chinesischlernen liegt schlicht darin, wie ähnlich und ungewohnt chinesische Wörter zunächst für Menschen klingen, die mit europäischen Sprachen aufgewachsen sind. Über 70 % der chinesischen Wörter bestehen aus zwei Silben. Die meisten dieser Silben – vor allem in den am häufigsten verwendeten Wörtern – setzen sich aus jeweils einem Konsonanten und einem Vokal zusammen. Es gibt da also: ba, ma, la, ta, be, me, le, te, bi, mi, li, ti – und so weiter. Es ist anfangs teuflisch schwer, sich zu merken, was jede dieser Silben bedeutet, im entscheidenden Moment die richtige parat zu haben und ihren Sinn korrekt zu erfassen, wenn man verzweifelt versucht, einem schnell sprechenden Verkäufer oder Sprachlehrer zu folgen.
Ein weiterer Grund, warum es so schwer ist, diese Silben auseinanderzuhalten, ist, dass Chinesisch eine Tonsprache ist. Eine Silbe wie „ma“ hat nicht nur eine Bedeutung. Je nach Tonhöhe, mit der man den Vokal ausspricht, verändert sich ihre Bedeutung. Wird das „a“ in einem gleichbleibend hohen Ton gesprochen – was für deutsche oder englische Muttersprachler oft ein bisschen wie Gesang klingt –, heißt es „Mutter“ (mā, 妈). Wird es mit steigender Tonhöhe ausgesprochen, ähnlich wie eine Frage, bedeutet es „taub“ oder „betäubt“ (má, 麻).2 Wird der Ton erst abgesenkt und dann wieder angehoben – was ein wenig wie ein heiseres Brummen klingt –, heißt es „Pferd“ (mǎ, 马). Wird der Tonfall von hoch nach tief geführt und klingt dabei für westliche Ohren leicht wütend, bedeutet es „fluchen“ (mà, 骂). Und obwohl man oft hört, dass es im Chinesischen vier Töne gibt, existiert auch noch ein fünfter, neutraler Ton: Wird das „a“ eher leicht und ohne Betonung gesprochen, zeigt es an, dass es sich um eine Frage handelt (ma, 吗).3
Und trotzdem, glaube ich, wird die Schwierigkeit – und vielleicht auch die Bedeutung – der Töne übertrieben. In den meisten Fällen muss man die Töne nicht einmal erkennen, um Chinesisch zu verstehen. Auch wenn es zunächst schwer ist, sich an die Kürze und Ähnlichkeit vieler Wörter zu gewöhnen, stellt sich das Gehirn irgendwann darauf ein. Und auch wenn ein veränderter Ton tatsächlich manchmal den Sinn eines ganzen Satzes verändern kann – was theoretisch zu katastrophalen Missverständnissen führen könnte –, ist die Wahrscheinlichkeit dafür in der Praxis ziemlich gering. Der Kontext macht fast immer klar, ob man zum Beispiel gerade mit seiner Mutter oder mit einem Pferd zu Abend isst. Wenn man ein Ohr für die Sprache entwickelt, trifft man auch die richtigen Töne immer häufiger – ganz ohne Anstrengung. Ich selbst habe kaum Zeit darauf verwendet, mir die Töne einzelner Wörter einzuprägen, und trotzdem schätzt meine Lehrerin, dass ich beim Sprechen etwa 70 % richtig treffe. Dass ich dabei oft falsche Töne erwische, klingt für Muttersprachler wahrscheinlich dumm oder nervig – aber ich bin zuversichtlich, dass sich meine Trefferquote mit der Zeit verbessert. Und bisher habe ich nicht das Gefühl, dass es ihr Verständnis wirklich behindert. Ein Teil des Grundes liegt sicher auch darin, dass chinesische Muttersprachler es gewohnt sind, falsche Töne zu hören – nicht nur wegen ausländischer Deppen wie mir, sondern weil auch Einheimische aus verschiedenen Landesteilen oft unterschiedliche Töne für dieselben Wörter verwenden.
Nach meiner Erfahrung unterschätzen selbst gebildete westliche Beobachter das unglaubliche Ausmaß sprachlicher Vielfalt in China gewaltig. Manche gehen einfach davon aus, dass die Menschen in China eine Sprache sprechen – „Chinesisch“.4 Andere wissen immerhin, dass ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung eine Sprache spricht, die mit Mandarin nur entfernt verwandt ist: Kantonesisch. Aber selbst dieses Wissen wird der tatsächlichen Vielfalt nicht im Geringsten gerecht. Viele sogenannte 地方话 (dì fāng huà oder „Ortsdialekte“) sind weder mit Mandarin noch mit Kantonesisch verwandt. Die Sprache, die traditionell in Shanghai gesprochen wurde – 上海话 (shàng hǎi huà) – gehört beispielsweise zu einer ganz anderen Sprachfamilie: Wu. Da diese Sprachfamilie sich sowohl von Mandarin als auch von Kantonesisch deutlich unterscheidet, ist sie für Außenstehende völlig unverständlich. Shanghainesisch ist Mandarin oder Kantonesisch nicht näher als Englisch dem Deutschen oder dem Schwedischen. Man schätzt, dass rund 30 Prozent der chinesischen Bevölkerung zu Hause keine Mandarinsprache sprechen – das heißt: Für etwa 343 Millionen Menschen in China, also etwas mehr als die gesamte Bevölkerung der Vereinigten Staaten, ist Mandarin im Grunde eine Fremdsprache.
Selbst Chinesen, deren Muttersprache ein Mandarin-Dialekt ist, sprechen oft so unterschiedlich, dass sie einander nur schwer verstehen. Das heutige „Standardchinesisch“, 普通话 (pǔ tōng huà), basiert lose auf dem historischen Mandarin-Dialekt, der in Peking gesprochen wurde. Ein Bewohner von Chengdu, der Hauptstadt der Provinz Sichuan, ist mit einem Dialekt derselben Sprache aufgewachsen – aber angesichts der rund 1.600 Kilometer Entfernung zwischen den beiden Städten überrascht es wenig, dass sein Akzent sich wahrscheinlich deutlich unterscheidet, dass er bei vielen Wörtern andere Konsonanten verwendet, manche Begriffe anders benennt und selbst in der Tonlage variiert. Auch wenn beide zu Hause eine Form von Mandarin gesprochen haben, müssen sie sich mitunter ziemlich anstrengen, um einander zu verstehen – so wie ein New Yorker zwar dieselbe Sprache spricht wie jemand, der in Edinburgh aufgewachsen ist, aber den Film Trainspotting womöglich nur mit Untertiteln versteht.
Jemand hat einmal gescherzt, dass das Konzept des Standardarabisch angesichts der enormen Unterschiede zwischen dem tatsächlichen Sprachgebrauch in Ländern wie Saudi-Arabien und Marokko vor allem dazu da sei, CIA-Anwärtern die Zeit zu stehlen. Bis vor ein paar Jahrzehnten hätte man Ähnliches wohl auch über die Vorstellung sagen können, es gäbe so etwas wie Standardchinesisch. Doch das beginnt sich zu ändern: 普通话 (pǔ tōng huà) verbreitet sich stetig – auf Kosten lokaler Sprachen und Dialekte. Ein Teil dieses Wandels geschieht ganz natürlich: Inzwischen leben in allen großen Städten Chinas große Gruppen von Binnenmigranten. Wer in Shanghai mit dem Nachbarn, dem Kollegen oder dem Lieferboten reden will, kann oft nicht mehr auf die traditionelle Stadtsprache zurückgreifen. Der andere Teil ist politische Strategie. China gehört zu den letzten Staaten, die ihre kulturelle Wirklichkeit nach einem rationalen Plan formen wollen – das, was James Scott in Seeing Like a State als „hochmodernistische“ Haltung bezeichnet. Die Regierung ist nachvollziehbarerweise daran interessiert, dass möglichst viele Menschen problemlos miteinander kommunizieren können. In den staatlichen Schulen wird überall ausschließlich 普通话 unterrichtet – für viele Kinder also eine Fremdsprache, wenn sie am ersten Schultag eintreffen. Und an vielen dieser Schulen dürfen die Schüler nicht nur nicht auf Dialekt mit den Lehrern sprechen – sie dürfen ihn nicht einmal untereinander benutzen, solange sie sich auf dem Schulgelände befinden. Die Idee eines „Standardchinesisch“ mag eine Fiktion sein – aber sie ist, wenn dann, eine Fiktion, die sich rasant selbst verwirklicht.
Es gibt einige faszinierende Unterschiede in der Logik der chinesischen Sprache im Vergleich zu europäischen Sprachen. In jeder europäischen Sprache, die mir einfällt, fließt die Zeit von links nach rechts: Gestern ist links, morgen rechts. Im Chinesischen hingegen verläuft die Zeit von oben nach unten. Das Wort für den späten Vormittag ist 上午 (shàng wǔ, „oberhalb des Mittags“), das für den frühen Nachmittag 下午 (xià wǔ, „unterhalb des Mittags“). Man könnte versucht sein, in solchen Unterschieden eine tiefere kulturelle Bedeutung zu sehen – sei sie nun bewundernd oder kritisch. Ein schwärmerischer Orientalist könnte etwa meinen, dass Chinesen ein tieferes Verständnis für die wahre Natur der Zeit hätten. Ich persönlich bin bei solchen Versuchen sehr skeptisch. Denn in den meisten Fällen beruhen solche Konzepte letztlich auf willkürlichen Entscheidungen. Tatsächlich hat dieser Unterschied vermutlich einen ganz einfachen Ursprung: Viele antike Sonnenuhren in China waren vertikal an südlich ausgerichteten Wänden angebracht – morgens fiel der Schatten weit oben auf die Skala, mittags war er ganz unten.
Die andere große Herausforderung beim Chinesischlernen ist natürlich die Schrift. Ich habe keinerlei Ambitionen, chinesische Schriftzeichen von Hand zu schreiben – ich kann ja kaum in meiner eigenen Sprache leserlich schreiben. Dank digitaler Technik ist das zum Glück auch kaum noch nötig. Die meisten Menschen in Festlandchina tippen heute mit Pinyin, also der lateinischen Umschrift, die ich in diesem Text zur Wiedergabe der chinesischen Aussprache verwende. Man tippt etwa „putonghua“ (ohne Akzente) ein und wählt dann aus den vorgeschlagenen Zeichen (wie 普通话 oder 普通化) das passende aus. Um zu tippen – und natürlich auch um chinesische Texte zu lesen –, muss man die Zeichen also erkennen können. Sie zu erkennen, ist zwar immer noch eine Menge Arbeit, aber bei Weitem nicht so aufwendig wie sie handschriftlich zu lernen.5
Chinesisch zu lernen ist zugleich einfacher und schwieriger, als ich gedacht hatte. Einfacher, weil man ziemlich schnell ein erstes Gefühl für den Klang und die Logik der Sprache entwickeln kann. Duolingo – oft belächelt – ist dafür tatsächlich ein guter Einstieg. Wenn dieser Text deine Neugier geweckt hat, kannst du damit wunderbar deine U-Bahn-Fahrt überbrücken oder kurz dem Arbeitsalltag entkommen – besser, als auf Twitter oder Instagram rumzuscrollen, sicherlich. Schwieriger ist es, weil der rasche Fortschritt der ersten Lernphase irgendwann einer langen Durststrecke weicht, in der man das Gefühl hat, dass man trotz aller Mühe noch immer kein echtes Gespräch führen oder eine Fernsehserie verstehen kann. Um diese Plateauphase zu überwinden, bringt einem eine App wie Duolingo herzlich wenig; da braucht es dann schon Unterricht mit Muttersprachlern oder – idealerweise – Zeit im Land, in der man mit möglichst vielen Menschen ins Gespräch kommt.
Eine Frage, die mir oft gestellt wird, wenn ich erzähle, dass ich Chinesisch lerne, lautet: Warum? Macht KI das Sprachenlernen nicht bald überflüssig? Die sprachlichen Fähigkeiten von KI-Bots sind tatsächlich erstaunlich – wer etwa chinesische Zeitungsartikel lesen will, bekommt sie mit beeindruckender Geschwindigkeit und Genauigkeit übersetzt. Aber sich ausschließlich auf solche Übersetzungen zu verlassen, heißt nicht nur, dass einem das Gefühl für die Sprache und das Verständnis kultureller Nuancen fehlt. Es bedeutet vor allem, dass man auf das verzichtet, was Sprache im Kern ausmacht: mit echten Menschen in der echten Welt zu kommunizieren. Und genau dabei kann einem KI – zumindest bisher – nicht wirklich helfen.
Menschen bei echten Gesprächen zu unterstützen ist mindestens so sehr ein Hardware- wie ein Softwareproblem. Man kann heute schon ins Handy sprechen und sich den Satz in einer Fremdsprache ausgeben lassen; genauso lässt sich die Antwort des Gegenübers aufnehmen und übersetzen. In einer Notlage ist das extrem hilfreich – etwa um nach dem Weg zu fragen oder ein Essen zu bestellen. Reisen in entlegene Regionen, deren Sprache man nicht spricht, sind dadurch deutlich leichter geworden. Aber: Für ein echtes Gespräch ist dieser Prozess aktuell viel zu langsam. Vielleicht wird es irgendwann ein Gerät geben wie den „Babel-Fisch“ aus Douglas Adams’ Romanen – etwas, das im Gehirn sitzt und in Echtzeit alles Gesprochene übersetzt. Doch solange es schon schwierig ist, mit AirPods einen klaren Anruf in der Großstadt zu führen, habe ich so meine Zweifel, dass die Hardware bald reif für so nahtlose Kommunikation sein wird.
Eine Sprache zu lernen ist immer schwierig; Chinesisch – zumindest für Menschen, die mit einer ganz anderen Sprache wie dem Englischen aufgewachsen sind – ist doppelt herausfordernd. Aber trotz aller technologischen Fortschritte bleibt das Erlernen einer Sprache momentan die einzige echte Möglichkeit, in ein Land und eine Kultur wirklich einzutauchen. Aus rein praktischer Sicht mag der Nutzen des Sprachenlernens heute geringer sein als früher – aber dann könnte ein nüchterner Utilitarist auch behaupten, es sei sinnlos, einen Roman zu lesen, die Rocky Mountains zu sehen, seinen Sprungwurf zu perfektionieren oder den Louvre zu besuchen. Vielleicht bin ich in dieser Hinsicht altmodisch. Aber ich glaube: Wer eine Kultur wirklich verstehen will – heute genauso wie vor hundert oder tausend Jahren –, muss ihre Sprache lernen.
Dies ist der erste Teil einer Artikelreihe über China, seine Geschichte und seine Kultur. Wenn du sicherstellen möchtest, dass du die nächsten Beiträge nicht verpasst, abonniere unbedingt diesen Substack!
Im Englischen sind unregelmäßige Verben die, die nicht den üblichen Regeln zur Bildung von Zeitformen oder Modi folgen. „To learn“ ist ein regelmäßiges Verb, da wir einfach „-ed“ anhängen, um die einfache Vergangenheit zu bilden. „To buy“ hingegen ist ein unregelmäßiges Verb, denn seine Vergangenheitsform lautet „bought“ statt „buyed“.
Das unverwechselbare Geschmacksprofil vieler Sichuan-Gerichte, besonders jener mit großzügigem Einsatz von Sichuanpfeffer, nennt man auf Chinesisch 麻辣 (má là), was so viel heißt wie „kribbelnd-scharf“.
Eine zusätzliche Schwierigkeit besteht darin, dass exakt dieselben Silben, mit genau denselben Tönen ausgesprochen, in den Silbenpaaren, aus denen die meisten chinesischen Wörter bestehen, völlig unterschiedliche Bedeutungen haben können. Selbst wenn man also die Töne gut heraushört und sich an das hohe Tempo des gesprochenen Chinesisch gewöhnt hat, um zu erkennen, dass das Gegenüber gerade 马 und nicht 妈 gesagt hat, heißt das noch lange nicht, dass es um Pferde geht – vielleicht meint die Person mit 马上 (mǎ shàng) „sofort“ oder beschreibt mit 马虎 (mǎ hu) jemanden, der unachtsam handelt.
In diesem Artikel verwende ich häufig den Begriff „Chinesisch“, um mich auf das zu beziehen, was in China als 普通话 (pǔ tōng huà) bekannt ist – die standardisierte Landessprache, die auf dem Pekinger Dialekt basiert. Das ist im Englischen die naheliegende Bezeichnung, und ich halte nichts von jener Art von Sprachpurismus oder belehrender Überheblichkeit, bei der man sich zwanghaft darum bemüht, das zu vermeiden. Das Problem liegt nicht darin, 普通话 (pǔ tōng huà) als „Chinesisch“ zu bezeichnen; es liegt darin, nicht zu wissen, wie viele Menschen im Land diese Sprache nicht als Muttersprache sprechen.
Traditionell mussten chinesische Schulkinder genauso wie ausländische Sprachlernende stundenlang Schreibübungen machen, um sich die genaue Strichreihenfolge und Zusammensetzung der sogenannten 汉字 (hànzì) einzuprägen. Heute lernt man Lesen und Schreiben auf Chinesisch am besten mit deutlich weniger schmerzhaften Methoden, bei denen man den Zeichen immer wieder begegnet, bis man ein intuitives Gefühl dafür entwickelt, was sie bedeuten – ganz ohne mühsames Auswendiglernen ihrer exakten Struktur.