Nein, Finnland ist nicht das glücklichste Land der Welt
Der „World Happiness Report“ ist ein Paradebeispiel für elitäre Desinformation.

Heute ist der Internationale Tag des Glücks. Und wie jedes Jahr am 20. März gibt es überall Schlagzeilen zur Veröffentlichung des jährlichen World Happiness Report. „Finnland ist erneut das glücklichste Land der Welt, [während] die USA auf ihren bisher schlechtesten Platz fallen“, schrieb die Associated Press heute Morgen. Forbes wurde sogar philosophisch: „Fünf Lebenslektionen aus Finnland, dem erneut glücklichsten Land der Welt.“
Herausgegeben vom Sustainable Development Solutions Network der Vereinten Nationen und dem Wellbeing Research Centre der Universität Oxford, hat sich die zentrale Botschaft des Berichts seit seiner Einführung im Jahr 2012 kaum verändert. Die glücklichsten Länder der Welt liegen in Skandinavien – in diesem Jahr folgen auf Finnland Dänemark, Island und Schweden. Und die USA? Trotz ihres Reichtums schneiden sie konstant schlecht ab: Dieses Jahr landen sie lediglich auf Platz 24 von 147 erfassten Ländern; und das hinter deutlich ärmeren Staaten wie Litauen und Costa Rica. Deutschland ist im Laufe der Jahre ebenfalls im Ranking abgerutscht; einst auf Platz 13, liegt es nun auf Rang 22 – knapp vor dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten.
Ich muss zugeben, dass ich diesem Ranking von Anfang an skeptisch gegenübergestanden bin. Da ich Familie in Schweden und Dänemark habe, habe ich viel Zeit in Skandinavien verbracht. Und obwohl es dort einiges gibt, das wirklich gut läuft, kam mir die Region nie wie das Paradebeispiel für Glück vor. Ein Großteil des Jahres über ist es kalt und dunkel. Die Kultur ist extrem reserviert, das soziale Leben oft distanziert. In den – zugegebenermaßen wunderschönen – Innenstädten von Kopenhagen oder Stockholm scheint kaum jemand zu lächeln. Sollen das wirklich die glücklichsten Orte der Welt sein?
Also habe ich mir anlässlich des heutigen Weltglückstags endlich die Zeit genommen, meine Zweifel zu überprüfen – und mich tiefer in die Forschung eingearbeitet. Was ich gefunden habe, war noch schlimmer, als ich erwartet hatte. Höflich ausgedrückt: Der World Happiness Report hat massive methodologische Mängel. Um es direkt zu sagen: Er ist ein Schwindel.
Nachrichtenberichte über den World Happiness Report erwecken in der Regel den Eindruck, dass er auf einer umfassenden wissenschaftlichen Untersuchung basiert. So betonte ein Artikel der New York Times zur letztjährigen Ausgabe etwa, dass der Bericht „jährlich von einem Konsortium aus Gruppen, darunter die Vereinten Nationen und Gallup, zusammengestellt wird“ – und warnte in düsterem Ton, dass „die Vereinigten Staaten aus den Top 20 gefallen sind“, ohne auch nur den geringsten Zweifel an der Verlässlichkeit dieser Erkenntnis anzudeuten.
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Angesichts solch selbstbewusster Aussagen und der völligen Abwesenheit kritischer Stimmen in den meisten dieser Berichte könnte man leicht glauben, dass der World Happiness Report akribisch misst, wie glücklich jedes Land der Welt wirklich ist – und das anhand einer ausgefeilten Methodik, die sowohl subjektive als auch objektive Kriterien berücksichtigt. Doch bei genauerem Hinsehen stellt sich heraus, dass der Bericht auf keinerlei ernsthafte Forschungsarbeit gestützt ist. Anstatt Glück mit einer durchdachten Mischung aus Indikatoren zu messen, wertet er lediglich die Antworten auf eine einzige Frage aus, die einer vergleichsweise kleinen Stichprobe von Menschen in jedem Land gestellt wird:
„Stellen Sie sich eine Leiter vor, deren Stufen von null (ganz unten) bis zehn (ganz oben) nummeriert sind. Angenommen, wir sagen, dass die oberste Stufe das bestmögliche Leben für Sie darstellt und die unterste Stufe das schlechtestmögliche Leben. Auf welcher Stufe dieser Leiter würden Sie sich aktuell persönlich einordnen?“
Das offensichtliche Problem mit dieser Frage, die als „Cantril Ladder“ bekannt ist, besteht darin, dass sie gar nicht nach Glück fragt. Aus zahlreichen Umfragen wissen wir, dass Menschen ganz unterschiedliche Antworten geben, je nachdem, ob sie nach ihrer Lebenszufriedenheit oder nach ihrem aktuellen emotionalen Zustand befragt werden. Eltern beispielsweise bewerten ihr Leben oft als sinnvoller – aber das bedeutet nicht, dass sie zu einem bestimmten Zeitpunkt, etwa während sie Zeit mit ihren Kindern verbringen, tatsächlich glücklicher sind. Bestenfalls könnte eine Rangliste, die ausschließlich auf der Cantril Ladder basiert, als „Weltweite Studie über die Selbsteinschätzung der Zufriedenheit mit dem eigenen Leben“ fungieren – und es liegt auf der Hand, warum ein derart ehrlicher Name wohl kaum Schlagzeilen machen würde.
Das weniger offensichtliche Problem mit der Cantril Ladder ist, dass sie nicht einmal besonders gut misst, wie zufrieden Menschen mit ihrem Leben sind. Als eine Gruppe von Forschern über tausend Menschen im Vereinigten Königreich fragte, was sie mit dieser Frage assoziieren, waren die häufigsten Antworten „Wohlstand“, „Reichtum“ und „Erfolg“. August Nilsson und seine Kollegen zeigen in akribischer Detailarbeit, dass bestimmte sprachliche Elemente der Frage – insbesondere die Metapher der Leiter und die Betonung auf „oben“ und „unten“ – die Befragten unbewusst dazu bringen, in Kategorien sozialer Hierarchien zu denken. Ihr Fazit ist ernüchternd: „Die Cantril Ladder ist möglicherweise das bekannteste Maß für Wohlbefinden, doch unsere Ergebnisse legen nahe, dass man mit ihrer Interpretation vorsichtig sein sollte – ihre Struktur scheint die Teilnehmer dazu zu verleiten, Wohlbefinden vor allem mit Macht und Reichtum gleichzusetzen.“
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Doch vielleicht das größte Problem des World Happiness Report ist, dass selbstberichtete Lebenszufriedenheit nicht besonders gut mit anderen Faktoren korreliert, die wir gemeinhin mit Glück verbinden. Man würde mindestens erwarten, dass die „glücklichsten“ Länder der Welt auch die geringsten Raten an psychischen Erkrankungen aufweisen. Doch tatsächlich sind ausgerechnet die skandinavischen Länder, die von der Presse Jahr für Jahr für ihr angebliches Glück gefeiert werden, besonders stark von Depressionen und sogar Suiziden betroffen.
Finnland und Schweden belegen zwar konstant Spitzenplätze im Glücks-Ranking, doch beide Länder haben gleichzeitig seit Jahren einige der höchsten Selbstmordraten in der Europäischen Union. Laut einer aktuellen Statistik liegen sie unter den fünf EU-Ländern mit den höchsten Suizidraten.
Meine ursprüngliche Skepsis wird also durch die Daten bestätigt. Skandinavien wirkt nicht nur deutlich weniger glücklich, als die Schlagzeilen es jedes Jahr suggerieren – wenn man eine Vielzahl von Indikatoren betrachtet, die mindestens genauso relevant für das allgemeine Glücksempfinden sind wie die einzige Kennzahl des World Happiness Report, schneiden Länder wie Finnland gar nicht so außergewöhnlich gut ab.
Zwei angesehene Ökonomen, Danny Blanchflower und Alex Bryson, haben in einer neuen Studie untersucht, wie das globale Glücksranking aussehen würde, wenn man mehr Faktoren mit einbezieht – und ihre Ergebnisse werfen ein ganz anderes Licht auf die Sache.
Anstatt sich nur auf eine einzige Messgröße zur Lebenszufriedenheit zu verlassen, analysierten Blanchflower und Bryson acht verschiedene Fragen, die in zahlreichen Ländern weltweit gestellt wurden. Die ersten vier Fragen erfassten verschiedene Dimensionen positiver Emotionen. Sie basieren auf der Frage, ob die Befragten am Vortag Freude empfunden haben, ob sie viel gelächelt oder gelacht haben und ob sie sich ausgeruht fühlten. (Ihr Indikator für positive Emotionen enthält außerdem die Antworten auf die Cantril Ladder.)
Die nächsten vier Fragen messen verschiedene Dimensionen negativer Emotionen. Hier wurden die Teilnehmer unter anderem gefragt, ob sie am Vortag Traurigkeit empfunden haben, ob sie sich einen Großteil des Tages Sorgen gemacht haben, ob sie Wut verspürt haben und ob sie körperliche Schmerzen hatten.
Die Ergebnisse von Blanchflower und Bryson sind bemerkenswert. Die Antworten auf die Cantril Ladder scheinen kaum mit positiven oder negativen Emotionen zu korrelieren. Dänemark belegte in ihrem Ranking zwar den Spitzenplatz bei der Cantril Ladder, schnitt aber – wie die meisten skandinavischen Länder – in anderen Kategorien deutlich schlechter ab. So landete Dänemark etwa auf Platz 111 von 164 Ländern, wenn es darum ging, wie wahrscheinlich es war, dass die Befragten am Vortag viel gelacht oder gelächelt hatten. Auch bei negativen Emotionen wie der Frage, ob sie sich viele Sorgen gemacht hatten, schnitt das Land schlecht ab und kam nur auf Platz 93 von 164.1
Das von Blanchflower und Bryson erstellte Ranking sieht dadurch völlig anders aus als die bekanntere Version der UN. Finnland zum Beispiel stürzt auf Platz 51 ab.2 Gleichzeitig schneiden Länder wie Japan, Panama und Thailand – die im offiziellen UN-Ranking eher mittelmäßig abschneiden – plötzlich deutlich besser ab. Sie alle landen vor Finnland und anderen vermeintlichen Spitzenreitern.
Eine weitere Überraschung deutet darauf hin, dass die oft düstere Darstellung der Glückslage in den USA so nicht ganz stimmt. Denn es zeigt sich, dass das Glücksniveau in den Vereinigten Staaten extrem variiert – und einige Regionen des Landes offenbar zu den glücklichsten Orten der Welt gehören.
Wenn man die USA nicht als Ganzes betrachtet, sondern in einzelne Bundesstaaten aufteilt, wird schnell klar, dass einige Regionen tatsächlich nicht besonders gut abschneiden. Die Bewohner von West Virginia etwa landeten in der Rangliste auf Platz 101 von insgesamt 215 Ländern und Regionen – damit sind sie in etwa so glücklich wie Menschen in deutlich ärmeren Ländern wie Sri Lanka oder Mauretanien. Doch in anderen US-Bundesstaaten leben laut Blanchflower und Bryson einige der glücklichsten Menschen der Welt. Sieben von ihnen – Hawaii, Minnesota, North Dakota, South Dakota, Iowa, Nebraska und Kansas – stehen ganz oben auf der Liste und schneiden sogar besser ab als das glücklichste Land der Welt, das laut dieser Berechnung nicht in Nordeuropa, sondern in Ostasien liegt: Taiwan. Insgesamt haben die Bewohner von 34 US-Bundesstaaten sowie des District of Columbia ein höheres durchschnittliches Glücksniveau als die Finnen.
Leider unterteilen Blanchflower und Bryson Deutschland nicht in verschiedene Regionen. Wären sie diesem Ansatz gefolgt, würde das Land vermutlich besser abschneiden als es das offizielle UN-Ranking suggeriert. Insgesamt setzen Blanchflower und Bryson Deutschland auf Platz 58 – knapp hinter Finnland, aber deutlich vor den Vereinigten Staaten als Ganzes.
In einer Kultur, die von Glück und Wohlbefinden besessen ist, wird es immer eine riesige Nachfrage nach Artikeln und Büchern geben, die den Lesern den einen großen Trick verkaufen, mit dem sie ihr Leben verbessern können. Willst du ein hohes Alter erreichen? Dann iss wie die Bewohner der „Blue Zones“ – Regionen wie Sardinien oder Okinawa. Willst du glücklich sein, obwohl du nicht reich bist? Dann zieh nach Bhutan, jenem Land, das oft als Meister der Glücksformel dargestellt wird, weil seine Regierung 2008 verkündete, sie werde sich künftig am „Bruttonationalglück“ statt am Wirtschaftswachstum orientieren.
Doch dieser eine große Trick, der das Leben verbessern soll, entpuppt sich fast immer als Schwindel. Die Bewohner der Blue Zones leben nicht wegen ihrer speziellen Ernährung besonders lange – wahrscheinlicher ist, dass diese Regionen einfach schlechte Geburts- und Sterberegister führen, was dazu führt, dass eine hohe Zahl an Menschen entweder ihr Alter fälscht oder Rentenzahlungen für verstorbene Angehörige kassiert. Und die Regierung Bhutans mag zwar große Reden darüber schwingen, dass Glück wichtiger sei als wirtschaftliches Wachstum – doch in der Realität schneidet das Land weder im World Happiness Report noch im alternativen Ranking von Blanchflower und Bryson besonders gut ab. Zudem verlassen jedes Jahr viele Menschen Bhutan, offensichtlich überzeugt davon, dass sie anderswo ein glücklicheres Leben führen können.
Das legt nahe, dass alle offensichtlichen Schwächen eines rein wirtschaftsfixierten Denkens nicht darüber hinwegtäuschen sollten, dass der Versuch, bewährte Messgrößen wie das Bruttoinlandsprodukt durch modische Indikatoren wie Glücksrankings zu ersetzen, mehr Schaden anrichten könnte als Nutzen. Schließlich bleibt es extrem schwierig, Glück verlässlich zu messen – und selbst wenn uns das gelingen würde, hätten wir kaum eine Ahnung, welche politischen Maßnahmen tatsächlich dazu beitragen würden, diesen Wert zu verbessern.
Großflächiger betrachtet haben selbst ernsthafte Nachrichtenmedien noch einen langen Weg vor sich, wenn es darum geht, PR-Übungen wie den World Happiness Report mit der nötigen journalistischen Skepsis zu hinterfragen. Natürlich ist es verlockend, irgendeinem Redakteur ohne sozialwissenschaftlichen Hintergrund den Auftrag zu geben, eine nette kleine Story darüber zu schreiben, wie viel glücklicher die aufgeklärten Skandinavier doch sind als die bemitleidenswerten Amerikaner. Aber wenn die Medien wirklich ihrem selbstgewählten Anspruch gerecht werden wollen, als Hüter verlässlicher Informationen zu agieren, können sie nicht weiter Komplizen bei der Verbreitung solch schlampiger Klickfallen bleiben.
In den letzten Jahren haben sich Medien wie die New York Times, Universitäten wie Oxford und internationale Institutionen wie die UN dem Kampf gegen sogenannte „Desinformation“ verschrieben. Es stimmt zweifellos, dass unser politischer Diskurs von gefährlichen Verzerrungen und offenen Lügen durchsetzt ist. Doch jede Institution, die dieses Problem ernsthaft bekämpfen will, muss zuerst in den Spiegel schauen – und aufhören, „elitäre Desinformation“ wie den World Happiness Report zu verbreiten.
Selbst die Korrelation zwischen positiven und negativen Emotionen war überraschend schwach. Indonesien etwa schnitt in der Kategorie der positiven Emotionen sehr gut ab – die Bewohner des Landes waren laut den Daten weltweit an zweiter Stelle, wenn es darum ging, häufig Momente des Glücks zu erleben, sei es durch Lachen oder Genuss. Gleichzeitig schnitt Indonesien jedoch in der Kategorie der negativen Emotionen sehr schlecht ab: Das Land belegte hier Platz 110, was bedeutet, dass die Menschen dort häufiger als in 109 anderen Ländern Schmerz empfanden oder einen Großteil des Tages mit Sorgen verbrachten.
Die Liste der Länder, die in den Rankings von Blanchflower und Bryson berücksichtigt wurden, unterscheidet sich von der des World Happiness Report, sodass es sich hierbei nicht um einen direkten Vergleich handelt. Besonders auffällig ist, dass Blanchflower und Bryson auch einzelne US-Bundesstaaten wie New York und Texas in ihre Rangliste aufgenommen haben.
Dieser Text wurde mit Hilfe von KI übersetzt und von Niya Krasteva redigiert.