Die Verhinderung der freien Rede
Zu viele befürworten noch immer die Zensur im Namen des Kampfes gegen Desinformation.

Im Juni hatte ich die Ehre, beim World Expression Forum im norwegischen Lillehammer zu sprechen.
Es war ein bedeutendes Treffen – viele der Anwesenden hatten unter gefährlichen Umständen echte Risiken auf sich genommen, um ihre Meinung frei zu äußern. Doch während ich mit den Teilnehmern sprach und mir die Reden anhörte, fiel mir auch etwas anderes auf: wie feindselig die Leute auf dieser Konferenz einer wirklich standfesten Vorstellung von Meinungsfreiheit gegenüberstanden.
Fast alle schienen sich einig zu sein, dass „Desinformation“ eine der größten Bedrohungen für die Demokratie sei; dass dies den Staat berechtige, sehr weitreichende Maßnahmen zum „Schutz“ des öffentlichen Diskurses zu ergreifen; und dass Menschen, die sich im Namen der Meinungsfreiheit gegen solche Maßnahmen aussprechen, im besten Fall verwirrte Libertäre und im schlimmsten Fall heimliche Fans von Donald Trump oder Wladimir Putin seien. An einer Stelle scherzte ich gegenüber einem anderen Teilnehmer, dass ich offenbar versehentlich auf dem Weltzensurforum gelandet sei. (Er fand das gar nicht lustig.)
Als ich schließlich selbst an der Reihe war, fühlte ich mich verpflichtet, eine klare Lanze für die Meinungsfreiheit zu brechen – und die Teilnehmer dazu zu ermutigen, mal einen Blick in den Spiegel zu werfen. Angesichts der Geschwindigkeit, mit der europäische Länder neue Einschränkungen der Meinungsfreiheit vorantreiben, und der Fassungslosigkeit, mit der manche Leser in Europa im April auf meinen Artikel über den Zustand der freien Rede auf dem Kontinent reagiert haben, dachte ich mir: Ich teile (eine gekürzte und leicht überarbeitete) Version meiner Rede einfach auch mit euch.
Vielen Dank, dass Sie mich eingeladen haben, auf dieser wichtigen Konferenz hier in Lillehammer zu sprechen.
In den vergangenen Tagen war ich wirklich beeindruckt von den Gesprächen mit vielen Teilnehmern dieses Forums. Für viele Menschen auf der Welt ist das Eintreten für Meinungsfreiheit keine abstrakte Angelegenheit. Wer sich dort gegen die herrschenden Diktatoren ausspricht, muss mit harten Konsequenzen rechnen. Es ist inspirierend zu hören, wie viele Menschen sich unter wirklich bedrohlichen Umständen für grundlegende demokratische Werte einsetzen.
Gleichzeitig besteht auf Konferenzen wie dieser immer die Gefahr, dass man in die Welt hinausblickt – und die Probleme überall erkennt, nur nicht zu Hause. Es wäre leicht zu sagen: „Schaut euch all diese finsteren Orte an – zum Glück haben wir es hier so viel besser!“ Genau das möchte ich mit meinen heutigen Bemerkungen verhindern.
Fangen wir mit einem kleinen geografischen Ratespiel an. Stellen Sie sich ein Land vor, in dem ein Bürger die Regierung nicht mag und ein Meme teilt, das den stellvertretenden Regierungschef als Idiot darstellt – eine Parodie auf eine allgegenwärtige Shampoo-Werbung. Der Politiker beruft sich auf ein Sondergesetz zum Schutz von Amtsträgern, woraufhin die Polizei um sechs Uhr morgens die Wohnung des Bürgers durchsucht, seinen Laptop beschlagnahmt und ein Strafverfahren einleitet. Eine Idee, in welchem Land das passiert ist?
Die Antwort lautet: Deutschland.
Noch ein Beispiel. Zwei Eltern sind unzufrieden damit, wie die Grundschule ihrer Tochter mit bestimmten Themen umgeht, und äußern ihre Kritik in einer Eltern-WhatsApp-Gruppe. Die Schulleitung zeigt sie wegen „böswilliger Kommunikation“ an. Die Polizei taucht bei ihnen zu Hause auf, nimmt sie für mehrere Stunden in Gewahrsam und leitet ein Strafverfahren ein. Irgendeine Idee, wo das stattgefunden hat?
Die Antwort: Großbritannien.
Was Sie auf dieser Konferenz bisher über die Vereinigten Staaten gehört haben, stimmt. Bei uns gibt es derzeit massive Angriffe auf die Meinungsfreiheit – und zwar direkt aus dem Weißen Haus. Die Trump-Regierung hat Menschen wegen ihrer politischen Überzeugungen abgeschoben – oder zumindest versucht, sie abzuschieben. Außerdem hat sie Universitäten massiv unter finanziellen Druck gesetzt, weil ihr deren ideologische Ausrichtung nicht passt.
Als Elon Musk Twitter im Jahr 2022 übernahm, versprach er, die Meinungsfreiheit wiederherzustellen. Und tatsächlich schaffte er einige wirklich einschränkende Formen der Zensur ab. Gleichzeitig nutzte er aber seine Kontrolle über die Plattform, um Inhalte, die ihm gefallen, gezielt zu pushen – und unliebsame Meinungen herunterzudrücken. Obwohl er angekündigt hatte, die Meinungsfreiheit weltweit zu verteidigen, ist Musk wiederholt den Zensurforderungen autoritärer Regierungen nachgekommen.
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Es gibt keinen Grund, den mächtigsten Akteuren in den Vereinigten Staaten zu glauben, wenn sie behaupten, die Meinungsfreiheit zu verteidigen. Ich warne seit fast einem Jahrzehnt vor dem Aufstieg des rechtspopulistischen Lagers und der Gefahr, die es für die liberale Demokratie darstellt – und ich werde diese Art von Vorgehen auch heute nicht schönreden. Die Bedrohung der Meinungsfreiheit in den USA ist ernst.
Aber bevor wir uns jetzt zu sehr auf die Schulter klopfen, sollten wir uns fragen, wie konsequent eigentlich die angeblich prodemokratischen oder liberalen Kräfte sind – also jene, mit denen sich viele hier im Raum vermutlich identifizieren –, wenn es um genau dieselben Prinzipien der freien Rede geht. Und es zeigt sich: Auch in diesem Lager gibt es echte Herausforderungen.
Vor fünf Jahren befanden wir uns mitten in einer der tödlichsten Pandemien der Menschheitsgeschichte. Eine der entscheidenden Fragen damals war: Woher stammt das Virus? Kam Covid aus der Natur – oder war es das unbeabsichtigte Ergebnis von sogenannter Gain-of-Function-Forschung in einem Labor mit mangelhaften Sicherheitsvorkehrungen? Die Antwort auf diese Frage war entscheidend: um besser mit dem Coronavirus umzugehen, um zukünftige Pandemien zu verhindern – und um zu überlegen, welche Regeln gefährliche Formen biologischer Forschung künftig einschränken sollten. Und doch wurden über zwei Jahre hinweg investigative Journalisten sowie namhafte Biologen, die Indizien für die sogenannte Lab-Leak-Theorie sammelten, auf großen Social-Media-Plattformen zensiert.
Noch schlimmer: Das war nicht einfach nur eine falsche Entscheidung von ein paar Tech-Firmen. Inzwischen wissen wir, dass in den USA staatliche Stellen ganz bewusst hinter den Kulissen Einfluss genommen haben – und den Plattformen mitgeteilt haben, was ihre Nutzer sagen dürfen und was nicht.
Noch ein Beispiel: Im US-Wahlkampf 2020 veröffentlichte die New York Post Details über einen Laptop mit peinlichen Informationen über Hunter Biden, den Sohn eines der wichtigsten Präsidentschaftskandidaten. Dutzende Mitglieder der Sicherheitsbehörden veröffentlichten einen offenen Brief, in dem sie behaupteten, dabei handle es sich um russische Desinformation – obwohl das FBI schon zu diesem Zeitpunkt wusste, dass der Laptop echt war. Die Konsequenz: Der Twitter-Account der New York Post, einer der größten Zeitungen des Landes, wurde gesperrt.
Übrigens: Das sind keine Einzelfälle. Derselbe deutsche Politiker, den ich vorhin erwähnt habe, hat während seiner drei Jahre im Amt über 800 Bürger bei der Polizei angezeigt. In Großbritannien gab es allein im Jahr 2023 mindestens 12.000 Festnahmen aufgrund von Online-Äußerungen. Und trotzdem haben viele Sprecher auf diesem Treffen, das sich World Expression Forum nennt, jeden verteufelt, der eine „absolute“ Auffassung von Meinungsfreiheit vertritt. Einige behaupteten sogar ganz locker, dass natürlich jeder vernünftige Mensch dafür sein müsse, dass demokratische Regierungen sogenannte „Desinformation“ zensieren. Deshalb möchte ich im Rest meiner Rede ein paar Worte zugunsten dieser vielgescholtenen „absolutistischen“ Vorstellung von Meinungsfreiheit sagen.
Wenn wir über den Wert der Meinungsfreiheit sprechen, konzentrieren wir uns gern auf ihre positiven Beiträge. In On Liberty betont John Stuart Mill, dass freie Meinungsäußerung nicht nur notwendig ist, um nach Wahrheit zu suchen oder uns vor Irrtümern zu schützen; sie ist auch nötig, damit wir Überzeugungen, die sich als richtig herausstellen, nicht als „tote Dogmen“, sondern als „lebendige Wahrheiten“ behalten. Ich finde, er war ausgesprochen weitsichtig, als er vorschlug: Wenn sich einmal alle in einer wichtigen Frage einig sind, sollte man gezielt ein paar Advokaten des Teufels ermutigen, die Gegenposition zu vertreten – damit wir nicht alle vergessen, warum unsere Überzeugungen überhaupt gut begründet waren.
Mills Argumente überzeugen mich. Aber ich verstehe, dass das in einer Zeit, in der extremistische politische Kräfte ganz real zur Bedrohung werden, ein wenig abstrakt wirken kann – einer Zeit, in der viele Menschen, zu Recht oder zu Unrecht, den Aufstieg dieser Kräfte der Verbreitung sogenannter „Desinformation“ zuschreiben.
Deshalb habe ich im Kapitel über Meinungsfreiheit in meinem letzten Buch The Identity Trap nicht die positiven Seiten freier Rede in den Vordergrund gestellt – sondern die negativen Folgen, die daraus entstehen, wenn es sie nicht gibt. Und die erste Frage, die wir uns dann stellen müssen, ist ganz simpel: Wer bekommt eigentlich die Macht zu entscheiden, was gesagt werden darf – und was nicht – in einem System, das auf Zensur setzt?
Oft heißt es von Gegnern der Meinungsfreiheit: „Diese Einschränkungen sind notwendig, um die Schwächsten in der Gesellschaft zu schützen – die, die am meisten von Online-Hass betroffen sind.“ Aber wer genau hat denn wirklich die Macht, zu bestimmen, was zensiert wird und was nicht? Sind das etwa die Schwachen und Marginalisierten? Oder sind es die Manager großer Tech-Unternehmen, die festlegen, welche Inhalte man auf Twitter, Facebook oder TikTok teilen darf? Oder sind es vielleicht Abgeordnete, Bürokraten und Richter, die entscheiden, welche Online-Äußerungen so „böswillig“ sind, dass sie es rechtfertigen, Menschen dafür ins Gefängnis zu stecken?
Der andere Punkt, den ich machen möchte – als jemand, der sich seit Langem Sorgen um die Stabilität unserer politischen Systeme macht –, betrifft das grundlegende Versprechen der Demokratie. In einer Demokratie können wir es aushalten, wenn die Gegenseite die Wahl gewinnt, weil wir die Möglichkeit behalten, unsere eigenen Ideen und Werte zu vertreten. In den darauffolgenden vier Jahren können wir dafür kämpfen, wie unser Land aussehen soll, welche Politik wir wollen. Der entscheidende Punkt ist: Die Verlierer einer Wahl wissen, dass ihre Stimme weiterhin gehört werden kann – und genau das stabilisiert das System.
Wenn man die Meinungsfreiheit abschafft – selbst wenn es sich „nur“ um politische Äußerungen handelt, die den meisten von uns hier im Raum zutiefst zuwider sind –, dann bringt man genau dieses große demokratische Versprechen in Gefahr. In so einem Umfeld ist es viel wahrscheinlicher, dass Verlierer einer Wahl sagen: „Diese Wahl entscheidet über alles. Wenn ich verliere, darf ich mich womöglich nie wieder für das einsetzen, was mir wichtig ist. Warum sollte ich also einfach zur Seite treten?“
Genau das ist das paradoxe an der Berufung auf Bedrohungen der Demokratie als Rechtfertigung für Zensur – so wie es auf diesem Forum viele getan haben, einige offen, viele eher durch die Hintertür: Der harte Umgang mit freier Rede, den wir Bürger demokratischer Länder in den letzten Jahren weitgehend hingenommen haben, ist in der Regel aus echter Sorge über den Aufstieg politischer Extreme entstanden. Ironischerweise hat dieser Umgang aber genau das Gegenteil bewirkt: Viele Bürger sind dadurch misstrauischer geworden – gegenüber den demokratischen Institutionen, gegenüber den Medien, die ihnen angeblich das Denken abnehmen wollen, und gegenüber Politikern, die glauben, sie könnten für andere entscheiden, was man sagen oder lesen darf. Und dieses Misstrauen ist wiederum einer der Hauptgründe dafür, warum immer mehr Menschen extreme Parteien wählen.
Während ich diese Rede vorbereitete, erinnerte ich mich an einen eher kurzen Text von einem der großen Denker des 20. Jahrhunderts: George Orwell. Im Jahr 1946 nahm Orwell an einem Kongress von PEN teil – einer Organisation, die sich angeblich dem Schutz der Meinungsfreiheit verschrieben hatte. Doch wie er in einem wunderbaren kleinen Essay mit dem Titel The Prevention of Literature festhielt, hatte er nicht den Eindruck, dass dieser Kongress wirklich allzu sehr an der Verteidigung freier Rede interessiert war:
Bei dieser Versammlung von mehreren hundert Menschen – von denen vermutlich die Hälfte direkt mit dem Schreiben zu tun hatte – gab es nicht einen einzigen, der darauf hinwies, dass Pressefreiheit, wenn sie überhaupt etwas bedeutet, die Freiheit bedeutet, zu kritisieren und zu widersprechen. [Es fiel kein Wort] über die vielen Bücher, die während des Krieges in England und den USA „abgeschossen“ wurden. Unterm Strich war das Treffen eher eine Demonstration für Zensur. Und ehrlich gesagt: Überraschend war das nicht. In unserer Zeit wird die Idee geistiger Freiheit von zwei Seiten angegriffen. Da sind zum einen die theoretischen Feinde – die Verteidiger des Totalitarismus – und zum anderen die unmittelbaren, praktischen Gegner: Monopole und Bürokratie. Jeder Schriftsteller oder Journalist, der seine Integrität bewahren will, scheitert heute weniger an aktiver Verfolgung als vielmehr an der allgemeinen Schieflage der Gesellschaft.
Ich glaube, dass wir hier beim World Expression Forum eine Entscheidung treffen müssen: ob wir diesem PEN-Kongress von 1946 ähneln wollen – oder eben nicht. Und um es mal ganz amerikanisch zu sagen: Ich möchte Sie alle dazu ermutigen, gleichzeitig zu laufen und Kaugummi zu kauen. Wir können und sollten die schrecklichen Diktatoren verurteilen, die weltweit Menschen ins Gefängnis werfen. Wir können und sollten klar benennen, wie heuchlerisch es ist, wenn sich die Trump-Regierung auf Meinungsfreiheit beruft – während sie gleichzeitig Menschen wegen ihrer politischen Ansichten abschiebt. Und gleichzeitig können und sollten wir auch anerkennen, dass die drastischen Einschränkungen der Meinungsfreiheit, die in Ländern wie Deutschland und Großbritannien über die letzten Jahrzehnte hinweg zur neuen Normalität geworden sind, jeder ernstzunehmenden Vorstellung von „freier Rede“ fundamental widersprechen.
Vielen Dank.
Dieser Text wurde mit Hilfe von KI übersetzt und von Niya Krasteva redigiert.
Bravissimo! Und Gratulation zu Deinem Mut! Es ist nicht leicht, für die freie Rede der Anderes denkenden Menschen einzutreten.